14. Sonntag im Jahreskreis (A)

Predigtimpuls

„Spiegel der einfachen Seelen“ – Das Leiden der einfachen Seelen in der Kirche im Laufe der Jahrhunderte.

1. Lesung: Sach 9,9-10
2. Lesung: Röm 8,9.11-13
Evangelium: Mt 11,25-30

„Spiegel der einfachen Seelen“ – Das Leiden der einfachen Seelen in der Kirche im Laufe der Jahrhunderte.

„Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast“ (Mt 11,25).

Gilt das auch heute noch? Wer sind die Klugen und Weisen? Etwa die Theologen, die Gelehrten, die Forscher? Bleibt ihnen verborgen, was einfachen Menschen offenbart wird?

Als ich das heutige Evangelium las, kam mir die Schrift einer Begine namens Margareta Porete in den Sinn.

„Margareta Porete (französisch Marguerite Porète oder Porrette; geboren um 1250/1260 im Hennegau; † 01.06.1310 in Paris) war eine französische theologische Schriftstellerin. Sie gehörte der religiösen Bewegung der Beginen an. Als Autorin einer Schrift, die gewöhnlich mit dem Kurztitel `Spiegel der einfachen Seelen´ zitiert wird, erregte sie Aufsehen.“ (s. Wikipedia: `Margareta Porete´)

Mit „Spiegel“ bezeichnete man damals eine bestimmte Art von Büchern. So gab es z.B. Fürsten- oder Nonnenspiegel, in denen dargestellt wurde, wie der ideale Fürst bzw. die ideale Nonne zu leben habe. „Spiegel der einfachen Seelen“ befasste sich folglich mit dem idealen Leben einer einfachen Seele, eines einfachen Menschen. Es ist ein interessantes und lesenswertes Buch.
In der damaligen Zeit war es sehr gefährlich für Frauen zu „denken“, besonders wenn sie das, was sie dachten, auch mündlich oder schriftlich äußerten. Deshalb versicherte sich Margareta der theologischen Unbedenklichkeit ihres Buches durch verschiedene Bischöfe und Theologen. Andere theologisch Gebildete beanstandeten 15 Aussagen ihres Buches, und erklärten diese Texte, die sie aus dem Zusammenhang herausrissen, als irreführend und häretisch. So geriet Margareta „wegen der theologischen Lehre, die im `Spiegel´ verkündet wird, … in Konflikt mit dem kirchlichen Lehramt, dem sie die Befugnis zur Beurteilung ihrer Theologie absprach. Der für ihren Wohnsitz zuständige Bischof von Cambrai ordnete die öffentliche Verbrennung des als häretisch eingestuften Buches an und verbot die Verbreitung der darin dargelegten Auffassungen.

Da Margareta weiterhin für ihre Überzeugung eintrat, wurde sie von der Inquisition zum Verhör vorgeladen. Als sie sich weigerte, der Vorladung Folge zu leisten, wurde sie inhaftiert. Im anschließenden Inquisitionsverfahren in Paris lehnte sie es ab, sich zur Sache zu äußern, und zeigte keine Reue. Daraufhin wurde sie nach anderthalbjähriger Haft zum Tode verurteilt und öffentlich“ am 01.06.1310, „auf dem Scheiterhaufen hingerichtet“ (s. Wikipedia: `Margareta Porete´).

In diesem Zusammenhang kam mir ein Gedanke: Wir verehren diejenigen als Märtyrer, die von anderen, von Nichtkatholiken, von Ungläubigen, von Nichtchristen, um des Glaubens willen getötet wurden. Aber ich vermisse einen Tag, einen Festtag, an dem wir all derer gedenken, die im Laufe der Jahrhunderte wegen ihres Glaubens durch die Kirche selbst ermordet wurden. Und das waren nicht wenige!

„Als Beginen und Begarden wurden ab dem 13. Jahrhundert die Angehörigen einer Gemeinschaft christlicher Laien bezeichnet. Beginen (weibliche Mitglieder) und Begarden (männliche Mitglieder) führten ein frommes, keusches Leben in ordensähnlichen Hausgemeinschaften“ (s. Wikipedia: `Beginen und Begarden´), die versuchten, die Nachfolge Jesu im alltäglichen Leben in die Tat umzusetzen. Sie hatten nicht die Möglichkeit, Theologie zu studieren, lebten aus der Hl. Schrift und ihrer eigenen Lebenserfahrung, die ihnen oft genug verdeutlichte, wie sehr die an den Universitäten gelehrte Theologie vom Leben der Menschen abwisch. Deshalb „wurden <sie> von der römisch-katholischen Kirche teilweise als häretisch gebrandmarkt und sahen sich der Verfolgung“, der Verhaftung und Tötung „durch die Inquisition ausgesetzt“ (s. Wikipedia: `Beginen und Begarden´).

Oft höre ich, das man sagt: „Der arme hl. Vater, was muss der doch heutzutage alles an Anfeindungen ertragen. Aber hat einmal jemand sagen hören: „Diese armen Frauen von damals! Was hat man ihnen alles angetan?!“ Obwohl sie gläubigen Menschen waren und in der Nachfolge Jesu standen, das Evangelium ernst nahmen und versuchten im Alltag zu leben, wurden sie verfolgt und getötet!

Jesus hat einmal ein sehr gefährliches (!) Wort gesagt: „An ihren Früchten also werdet ihr sie erkennen.“ (Mt 7,20). Soll das die Frucht der Gemeinschaft Jesu sein, dass so viele – nicht nur Frauen, sondern auch Männer und Kinder – durch die Kirche zu Tode gebracht wurden?!

 

Das ihr Buch nicht von allen gutgeheißen werden würde, ahnte Margareta und schrieb: „Ach, Freund“ <damit ist Gott gemeint> „was werden Beginen sagen und die geistlichen Leute, wenn sie die Vortrefflichkeit eures göttlichen Liedes vernehmen. (Mit `eures göttlichen Liedes´ umschrieb sie die Dreifaltigkeit.) „Die Beginen sagen, ich irre. Dasselbe sagen die Priester, die Kleriker und Prediger, die Augustiner und auch die Karmeliter und die minderen Brüder, darum, weil ich vom Wesen schreibe der vollendeten Liebe.“

Margareta Porete schreibt also von der vollendeten Liebe, ähnlich wie viele Mystikerinnen des 12., 13. und 14. Jh. und auch später noch gab es Frauen, die von ihrer persönlichen Liebe zu Gott und seiner Liebe zu ihnen berichteten. Schade, dass diese Bücher mit ihrer tiefen Frömmigkeit heute so wenig Beachtung finden, denn vieles, was heute an spiritueller Literatur angeboten wird, ist im Vergleich zur Literatur der Mystikerinnen zweit- oder drittklassig.

„Spiegel der einfachen Seelen“ – was Jesus gewollt und gesagt hat, das richtet sich nicht nur an Theologen und Intellektuelle. Das betrifft alle Menschen zu allen Zeiten und auf allen Kontinenten, unabhängig von der jeweiligen Kultur.

Heute, im 21. Jh., gibt es Menschen, die kulturell gesehen, noch in der Steinzeit leben, deren Leben von Angst und Sorge vor bösen Geistern und Dämonen bestimmt wird. Auch ihnen gilt die Botschaft Jesu von der Liebe Gottes zu uns Menschen. Im Johannesevangelium betont Jesus: „Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer mich aber liebt, wird von meinem Vater geliebt werden und auch ich werde ihn lieben …“ (Joh 14,21).

Der christliche Glaube ist also etwas, was zunächst nicht unseren Verstand, sondern unser Herz anspricht und ich bin überzeugt davon, dass wir uns, die wir hier anwesend sind, als `einfache Seelen´ bezeichnen können, weil jeder von uns in seinen Möglichkeiten, danach strebt, Gott zu lieben.

Dabei kann es auch passieren, dass unsere Überzeugung nicht mit den Lehren der hohen Theologie in dicken Büchern übereinstimmt. Unser Leben mit Gott sollte gekennzeichnet sein von einer tiefen, persönlichen Beziehung, von dem, was sich zwischen ihm und uns/mir abspielt. Wir dürfen uns ihm nahe fühlen, uns von ihm geliebt wissen und uns ihm hingeben. Jede Einflussnahme von außen ist hier fehl am Platz.

Ist das nicht überwältigend, dass wir ihm in jeder Eucharistiefeier so nahe sein dürfen? In den Gestalten von Brot und Wein gibt Jesus sich uns selbst, wird eins mit uns. Gleichzeitig ist diese Feier aber auch das große Danke schön an den Vater im Himmel, dem wir in Jesus begegnen dürfen. Unsere Dankbarkeit zeige sich aber auch darin, wie wir IHM in unseren Mitschwestern und –brüdern im Alltag begegnen.  Amen.

 

P. Dr. Alois Kehl SVD