20. Sonntag im Jahreskreis (A)

Predigtimpuls

Was Du willst, soll geschehen

1. Lesung: Jes 56,1.6-7
2. Lesung: Röm 11,13-15.29-32
Evangelium: Mt 15,21-28

 

Die Gelegenheit und ihre Wahrnehmung

Bei der Einführung in den heutigen Gottesdienst war die Rede von den Gelegenheiten, die es wahrzunehmen und umzusetzen gilt. Wer weiß, wie viele solche Gelegenheiten, die unser Leben verändern könnten, bereits unerkannt und ungenutzt an uns vorbeigegangen sind. Gott aber ist zu gut, um sich durch unsere Unaufmerksamkeiten enttäuschen zu lassen. Er schenkt uns neue Angebote und Gelegenheiten, unser Leben auf das Wesentliche auszurichten und es entsprechend sinnvoll zu gestalten. Jedoch ist mit vermehrter Gleichgültigkeit gegenüber den angebotenen Gelegenheiten auch die Gefahr verbunden, mehr und mehr die Fähigkeit zu verlieren, in den Personen, Dingen und Ereignissen, die uns begegnen, die Zeichen zu erkennen, die uns als Wegweiser dienen und auf das Ziel ausrichten.

Was uns heute im Evangelium erzählt wird, ist ein sprechendes Beispiel einer voll wahrgenommenen Gelegenheit, die richtunggebend wurde für einen neuen Lebensabschnitt. Der Urkirche, die sich anfangs mit der Integrierung von Angehörigen nicht jüdischer Abstammung in die christliche Gemeinschaft noch etwas schwertat, war die Begegnung der kanaanitischen Frau mit Jesus ein wegweisendes Ereignis, das nie vergessen wurde, und das dem Evangelisten Matthäus wertvoll genug erschien, um es in sein Evangelium aufzunehmen. Für uns, die wir diesen Text lesen oder hören, wird er zu einem Aufruf zur Wachsamkeit. Wir sollen mit wachen Augen und offenem Herzen durch die Welt gehen und Menschen und Ereignissen die gebührende Aufmerksamkeit schenken. Es könnte sich in ihnen die Stimme Gottes melden, und die darf nicht ohne Resonanz bleiben, oder sich um Zeichen handeln, die auf seine kreative Gegenwart aufmerksam machen wollen. Dann sind Wunder nicht mehr ausgeschlossen.

 

„Was du willst, soll geschehen“

„Was du willst, soll geschehen“ – sagt Jesus am Ende des kurzen Dialogs zu der Frau. Es ist die Erfüllung aller Hoffnung und Erwartung, welche mit der Bitte der Frau um Heilung für ihre Tochter verbunden war und die Befreiung von aller Angst und Enttäuschung, welche das Leben dieser jungen Mutter begleitet haben mag. „Von dieser Stunde an war ihre Tochter geheilt“ heißt es dann zum Abschluss. Dieses Wort Jesu wird zur Sternstunde ihres Lebens, es bedeutet eine Wende, gleichsam den Eintritt in einen neuen Lebensabschnitt. Aber wie kam es zu diesem Wort: „Was du willst, soll geschehen“?

Wie so oft im Leben beginnt der Prozess mit einer Notsituation. Vor allem, wenn es um Schwierigkeiten geht, wo menschliche Macht und Weisheit am Ende sind und jede Hilfe sich als wirkungslos erweist, greift der Mensch verzweifelt nach jedem Strohhalm, der noch einen Hoffnungsschimmer in sich birgt. Es kann zu Verhaltensweisen kommen, wo Aberglaube und echter Glaube miteinander im Wettlauf liegen. Welcher Missionar, der unter Neuchristen gewirkt hat, unter einem Volk mit religiösen Traditionen, die noch sehr der Reinigung bedürfen, hat das nicht schon erlebt? Gläubige, die sich bereits zum Christentum bekannten, lassen sich in extremen Notsituationen, seien es Krankheiten oder Naturkatastrophen, wenn menschliche Hilfe sich als aussichtslos erweist und das Gebet unbeantwortet zu bleiben scheint, auf eine Gratwanderung zwischen Glauben und Magie ein, und suchen schließlich in einer abergläubischen Praxis ihre letzte Zuflucht.

Wir wissen nicht, welche Erfahrungen diese kanaanitische Frau hinter sich hatte und wie weit sie mit den überkommenen religiösen Riten Kanaans verhaftet war. Auch ist unklar, ob deren Gottheiten in ihrem Leben eine Rolle gespielt haben und was sie alles versucht hatte, um für ihre Tochter Heilung zu finden. Der Text spricht von einem Dämon, der von dem Kind Besitz ergriffen hatte. Die Vorstellung, dass Dämonen von einem Menschen Besitz ergreifen können und ihn völlig beherrschen, war damals sehr verbreitet und zeigt, in welch trauriger Lage sich die Menschheit befand, die sich solchen Mächten hilflos ausgeliefert sah. Auch viele Krankheiten, vor allem psychisch krankhaftes Verhalten, wurden auf den Einfluss von Dämonen zurückgeführt.

 

Jesus die letzte und einzige Zuflucht

Wann und bei welcher Gelegenheit die Frau von Jesus und der Heilkraft, die von ihm ausging, gehört hat, wird nicht gesagt. Der Ruf Jesu, dass er auch Dämonen austreibe, muss sie wie ein Blitz getroffen mit neuer Hoffnung erfüllt haben. Nichts lag näher als die einmalige Gelegenheit wahrzunehmen und alles einzusetzen, seine Nähe zu suchen. Konsequent ging sie daran, alle Hindernisse zu überwinden und alle Tabus, die sie als Frau und Nicht-Jüdin von Jesus trennten, einfach zu ignorieren. Schon ihr Mut, ihr Vertrauen und die feste Überzeugung, dass Jesus ihre einzige Zuflucht ist, war bereits ein Teil des Wunders, das hier geschieht. Sie bekennt sich zu Jesus als Sohn Davids. Dass sie Jesus unter diesem Titel, der ihn zu „Christus“, dem Messias macht, anspricht, zeugt von großer Klugheit und einem Vertrauen, das Jesus selbst unter Juden vergeblich suchte. Der Dialog, der sich daraus ergibt, ist in seiner Schönheit durch nichts zu überbieten. Er ist eine Bitte und ein Gebet. Jesus selbst hat ja immer wieder darauf hingewiesen, dass ein Gebet echt und tief und anhaltend sein muss. Echt ist es dann, wenn Glaube, Liebe und Demut sich zu einem einzigen Motiv vereinen, das zur Begegnung des Menschen mit Gott führt. Der Dialog mit Jesus wird aber zugleich auch zu einer Prüfung für Echtheit und Ausdauer des Gebetes dieser Frau, deren Liebe und Verantwortung für ihre leidende Tochter keine Grenzen kennt, und deren Glaube an seine Vollmacht selbst Jesus in Erstaunen versetzt.

Auch für Jesus wird die Begegnung zu einer Herausforderung. Er weiß sich für die „verlorenen Schafe Israels“ verantwortlich. Erst über die Bekehrung Israels sollte die große Rückkehr der Völker zum wahren Gott geschehen, wie sie der Prophet Jesaja in seinen Visionen angedeutet hat. Es ist eine der schmerzlichsten Erfahrungen Jesu, dass sein eigenes Volk in seiner Gesamtheit die Umkehr nicht vollzog, ja, dass es den Retter verworfen hat. Erschütternd ist die Stelle, wo die Evangelien berichten, wie Jesus im Anblick Jerusalems weinte und sagte: „Wenn doch auch du den Tag deines Heils erkannt hättest und wüsstest, was dir zum Frieden dient! Du hast die Zeit der Gnade nicht erkannt.“ Umso größer ist Jesu Verwunderung über den Glauben und das Vertrauen, das Menschen, die aus einer heidnischen Umwelt kommen, ihm wiederholt entgegenbringen. Mehr und mehr bildete sich in Jesus die Überzeugung, dass seine Botschaft von Gerechtigkeit, Frieden und wahrer Freiheit nicht auf Israel beschränkt bleiben durfte, sondern dass die Zeit bereits gekommen ist, wo sie auch auf den Glauben und die Hoffnung der Völker eine Antwort schuldig war.

 

Eine neue Ära

So wird diese kanaanäische Frau zum Zeichen für eine neue Ära. Ihr Wort von den Brosamen vom Tisch des Herrn für die Hunde wird zum Symbol für die Größe ihres Glaubens und zum Zeichen dieser Hoffnung, die sich mit dem Geringsten aus Gottes Hand zufriedengibt, wohl wissend, dass alles, was aus Gottes Hand kommt, groß genug ist, um Heilung und Leben zu schenken. Aus dem Wort: Ich bin nur zu den „verlorenen Schafen Israel gesandt“ wird das Wort aus Joh 10,16: „Ich habe noch andere Schafe, die nicht zu diesem Schafstall gehören; auch die muss ich herbeibringen. Sie werden auf meine Stimme hören, und alle werden in einer Herde unter einem Hirten vereint sein.“ So wie diese Frau zum Zeichen für Gottes Wirken in Jesus Christus und zum Zeugnis für die Ankunft des Reich Gottes bei allen Menschen geworden ist, so ist auch heute jeder Christ berufen, Zeuge für Gottes Handeln in diesem von Konflikten zerrissenen Zeitalter zu sein und am Aufbau einer wahrhaft katholischen – also allumfassenden – christlichen Gemeinschaft mitzuwirken.

 

P. Dr. Anton Weber SVD