24. Sonntag im Jahreskreis (A)

Predigtimpuls

Vergebung

Lesung: Jesus Sirach 27,20–28,7
Lesung: Röm 14,7-9
Evangelium: Mt 18,21-35

 

Eine Vorbemerkung

1942: Im Lager von Lemberg liegt ein SS-Lagerführer im Sterben. Er lässt durch eine Krankenpflegerin den jüdischen Häftling Simon Wiesenthal rufen. Der Nazijäger der Juden bittet den späteren Nazijäger um Vergebung. In seinen späteren Memoiren bekennt S. Wiesenthal (reuevoll?): „Ich hörte ihn an, sah auf seine bittenden Hände, erhob mich und verließ wortlos das Zimmer“.

Wie würde in dieser Situation ein anderer Jude – Jesus von Nazaret gehandelt haben? Der Evangelist Lukas berichtet uns die letzten Worte Jesu: „Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun“ (23,34).

Nach dem 11. September 2001 rief der Präsident der USA zum „gnadenlosen“ Krieg gegen Terrorismus auf und die ganze Welt tat mit. Menschen, ob sie Terroristen oder nur zufällig am falschen Ort waren, wurden mit Duldung von Regierungen geheim quer durch Europa in Verhörzentren und nach Guantanamo auf Kuba transportiert. Sie durften „gefoltert“ (offiziell: verschärftes Verhör) und „gnadenlos“ (Terroristen sind keine Menschen) behandelt werden. Als später einige von ihnen entlassen wurde, weigerten sich beinahe alle Staaten, sie aufzunehmen. Der berühmteste Anführer der Terroristen, Bin Laden, wurde in einem souveränen Land von den USA „liquidiert“.

Vergeltung hat sich so tief in die Herzen der Menschen eingebrannt, dass darin für Vergebung kein Platz ist. In diese Wunde legt Jesus seine Hände und lehrt Vergebung.

 

Tarif der Vergebung

Die Frage des Petrus im Evangelium nennt einen Tarif: „Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben …? Siebenmal?“ (V. 21).

Petrus kennt wie jeder andere Jude die Schriften. Darin ist zu lesen: „Lamech sagte zu seinen Frauen … Ja, einen Mann erschlage ich für meine Wunde und einen Knaben für eine Strieme. Wird Kain siebenfach gerächt, dann Lamech siebenundsiebzigfach“ (Gen 4,23-24). Immerhin ist Petrus milder: „siebenmal“ scheint ihm ein angemessener Tarif. Jesus kehrt den Tarif der Vergeltung in Vergebung um (nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal) – und er geht noch weiter, wie das folgende Gleichnis zeigt. Am Ende heißt es, dass die Vergebung aus ganzem Herzen erfolgen muss (V. 35). Vergebung hat keinen Tarif – sie geschieht aus dem Herzen.

 

Vergeben

Eine Politik der Rache, der Gegenschläge, der gezielten Tötung von Feinden, der Spirale der Gewalt, jeder unversöhnlichen Haltung im menschlichen Zusammenleben kann vor Jesus nicht bestehen. Solche Haltungen missachten Gott, denn Gott will, dass wir Menschen in Frieden und Geschwisterlichkeit leben. Jesus nennt eine solche Welt ohne Hass und Rache Reich Gottes.

Polarisierung, Verhärtung und rigoros-juridische Maßnahmen passen schon gar nicht in die Kirche – nicht nach außen und nicht nach drinnen: Reiche – Arme, Alte – Junge, Nord – Süd, Progressive – Konservative … Solche Polarisierungen schaffen Spannungen und erzeugen Hass – auch in der Kirche.

Doch Vorsicht: Vergeben besagt nicht, Fehler zu rechtfertigen, das Böse heiligzusprechen. Auf der anderen Seite darf die Kirche den Einsatz für Gerechtigkeit nicht behindern. In der Nachfolge Jesu muss sie bedacht sein, gleich ihm das Herz von Hass zu befreien und eine neue Gesellschaft im Sinne des Reiches Gottes schaffen zu helfen. In der Gesellschaft und in der Kirche bedeutet Vergeben, dem Anderen zuzugestehen, dass er sich ändern kann.

Noch einmal: Führt Vergebung nicht zu Missbrauch oder zu Relativismus? Manche Übeltäter wie Terroristen wurden in die Gesellschaft integriert und entpuppten sich als Bürde. Ähnliches kann auch in der Kirche geschehen. Petrus ist deshalb vorsichtig und meint „siebenmal vergeben“ genügt. Doch Jesus bleibt dabei: Vergebung kennt keine Grenze. Die Botschaft der Vergebung ist der wichtigste und entscheidende Beitrag des Christentums für die Welt. Mit dieser Botschaft trägt die Kirche zur Heilung der konfliktgeladenen Welt bei.

Das Evangelium, das wir heute verkünden, klingt wie ein Kommentar Jesu zum Vaterunser mit der Bitte um Vergebung. Es widerspricht einem arabischen Sprichwort: „Das Volk wird niemals vergeben“. Ein „heidnischer“ (= „römischer“) Schriftsteller dagegen „ist nicht weit vom Reiche Gottes“: „Die Vergebung ist die Rache der guten Menschen“ (Epiktet).

Vergeben kommt vom Lateinischen „donare“ (schenken), das per davor (also per-donare) ist eine Steigerung: Vergeben ohne Grenze.

 

Warnung vor falscher Auslegung des Gleichnisses

Das Gleichnis, das Jesus gleichsam als Kommentar zur Vergebung erzählt, wurde leider während der gesamten Kirchengeschichte missverstanden und missdeutet. Es handelt von einem „Menschenkönig“, der zwei Finanzsklaven zur Ablieferung der eingehobenen Steuern empfängt. Der eine Sklave ist oberster Steuereintreiber (10.000 Talente entsprechen den Steuern einer Provinz), der andere ist ein kleiner Finanzsklave (100 Denare entsprechen dem Halbjahresverdienst eines Taglöhners).

Die Steuereintreibung erfolgte mit unvorstellbarer Brutalität (ganze Städte und Landstriche konnten in Geiselhaft genommen werden). Die Sympathie im Gleichnis gilt dem zweiten Sklaven. Der König gewährt zunächst auf Bitte des obersten Sklaven einen Schuldenerlass für das ganze Herrschaftsgebiet (= 10.000 Talente), zieht aber wegen der Unbarmherzigkeit dieses Sklaven den Erlass wieder zurück. Der Schluss des Gleichnisses zeigt, dass der Herrscher nicht gütig ist, sondern erbarmungslos seine Interessen durchsetzt. Das steht im Widerspruch zur Einleitung es Gleichnisses = 77mal, denn es folgt keine zweite Vergebung.

Wenn der Herrscher, wie es seit jeher geschehen ist, mit Gott gleichgesetzt wird, dann ist Gott so gnadenlos wie dieser Herrscher. Zur Entlastung von Gott wird gelehrt, , es handle sich um eine „pädagogische Maßnahme“ (= streng, aber seid vorsichtig, versöhnt euch). So kann Gott nicht entlastet werden. Die Frage bleibt: Wird Gott wie dieser König die nicht vergebenden foltern?

Die damals Jesus zuhört haben, wussten aus ihrem jüdischen Glauben, dass der „himmlische Vater“ (V. 35) nicht mit einem Menschenkönig gleichzusetzen ist, denn Gewalt und Angst haben bei Gott keinen Platz. Die Rabbinen lehrte nicht Nachdruck, dass Gott immer neu verzeiht.

Es geht um die Vergebung zwischen Menschen. Versöhnung zwischen Menschen ist ein Zeichen von Gottes Gegenwart. Aber nicht so: Gott vergibt, wenn Menschen einander vergeben. Jesus meint es wohl so: Gott vergibt dem Menschen, wenn dieser sich versöhnen möchte, auch wenn der andere dazu nicht bereit ist.

 

Jesus verbindet im Evangelium Vergebung mit dem Vaternamen Gottes. Das Königtum Gottes, das Jesus verkündet, ist das Königtum des Vaters, der aber gerade nicht wie ein menschlicher Vater ist: „… nur einer ist euer Vater, der himmlische“ (Mt 23,9). Der Vater drückt die Hoffnung für die Welt aus, sie ist jetzt schon erfahrbar. Die Vergebung zwischen Menschen ist so wichtig, dass Jesus das Gleichnis vom König und seinen Finanzsklaven erzählt.

Das Gleichnis ist auch eine Warnung: Gott wird euch zur Rechenschaft ziehen, wenn ihr einander nicht vergeben habt. Die Zeit der Vergebung aber ist jetzt!

P. Dr. Jakob Mitterhöfer SVD