25. Sonntag im Jahreskreis (A)

Predigtimpuls

Gott handelt oft ganz anders, als wir es von ihm erwarten

1. Lesung: Jes 55,6-9
2. Lesung: Phil 1,20ad-24.27a
Evangelium: Mt 20,1-16a

 

Wie häufig hören wir solche Worte: „Wenn der in den Himmel kommt, dann will ich nicht dorthin!“ Das Gefühl hinter den Wörtern ist uns nicht fremd. Nun, es gibt viele Menschen, die glauben: sie würden an Wert gewinnen, wenn sie den Wert anderer heruntersetzen. Sie reden die ganze Zeit nur schlecht über andere. Es gibt viele Menschen, die nur an die eigenen Vorteile denken. Angesichts solcher Tatsachen und Erfahrungen fragt man früher oder später nach der Gerechtigkeit Gottes. Warum lässt Gott solche Menschen weiterhin in Freiheit leben? Sogar hat man oft den Eindruck, dass sie doch ein besseres Leben führen als alle, die immer in die Kirche gehen und ihr Leben stets nach dem Gesetz Gottes gestalten?

Die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes hört damit nicht auf. Wie oft denkt man sich dann, dass sie sich eines Tages die Strafe Gottes zuziehen, wenn nicht in dieser Welt, dann später in Jenseits, wenn sie vor Gott ihr Tun in dieser Welt verantworten müssen. In jener Zeit werden sie bitterlich erfahren, wie grausam die Hölle ist. Sie haben es verdient, dorthin zu gehören als Sühne für all das, was sie in der Welt getan haben. Sie gaben in ihrem Leben keinen Platz für Gott. Nun ist die Zeit reif dafür, dass sie in das Reich der Dunkelheit eintreten, um ihre Sünden tilgen zu lassen.

Eine andere Situation. Aus politischer Verfolgung kommen viele Flüchtlinge zu uns und beantragen politisches Asyl. Viele Menschen streuen dann ironische Bemerkungen ein: „Da werden in den Ländern mit massiver Unterstützung des Westens (finanziell und militärisch) die angeblichen Diktatoren davongejagt und dann, sobald die eigenen Grenzkontrollen wegfallen, hauen die Leute ab, um in Europa auf unsere Kosten wie im Schlaraffenland zu leben.“ Da sind oft Bemerkungen, die die Güte Gottes und seine Gerechtigkeit infrage stellen, weil sie nur vermeintliches Abkassieren und nicht das Opfer sehen.

Das Gleichnis Jesu im heutigen Evangelium ist vielen Menschen ein Dorn im Auge. Ihnen wird der Eindruck vermittelt, dieses Gleichnis stelle die Erwartungen des Menschen auf den Kopf – Erwartungen, die Menschen bezüglich des Gerechtigkeitsempfindens und der Arbeitsentlohnung gesetzt haben. Aber so soll es sein, so war’s erdacht. In dem Moment also, in dem ich spüre, dass mein Standpunkt durch dieses Gleichnis erschüttert wird, da bin ich herausgefordert, über die Enge meines eigenen Schattens zu springen. Mit seinem Gleichnis möchte Jesus mich aus dem Sumpf meiner Ungestörtheit herausholen und mich neugierig machen auf das, was hinter seinem provokativen Gleichnis steht. Gleichzeitig möchte er, dass ich in Bezug auf die „Sache Gottes“ einen Paradigmenwechsel im Denken herbeiführen muss, um das Geheimnis Gottes mehr zu verstehen. Gott ist viel größer als alles, was wir denken und beten können. Er handelt oft ganz anders, als wir es von ihm erwarten. Oft geht er ganz andere Wege mit uns, als wir erhoffen. Seine Gerechtigkeit kann nicht durch mathematische Berechnung begründet werden. Das Herausragende der Gerechtigkeit Gottes ist, dass es gerade keine Leistungsgerechtigkeit ist, wie wir sie aus unseren alltäglichen Erfahrungen und Lebenszusammenhängen allzu gut kennen. Gottes Gerechtigkeit orientiert sich an den Bedürfnissen der Menschen.
Damit möchte auch Jesus mit seinem Gleichnis erreichen, dass wir von einem irrtümlichen Blickwinkel bewahrt werden, nämlich dass die Gnade und die Liebe Gottes verdient werden können. Alles, was wir von Gott empfangen, bekommen wir umsonst. Nichts, aber auch wirklich gar nichts können und brauchen wir zu tun, um unsre Erlösung zu erwirken. Nicht materiell und nicht ideell, ohne Leistung und ohne Anstrengung sind wir erlöst. Alles ist umsonst. Nicht, dass die Erlösung umsonst zu haben gewesen wäre. Jesus hat teuer dafür bezahlt. Petrus erinnert uns daran: „Ihr wisst, dass ihr … nicht um einen vergänglichen Preis losgekauft wurdet, nicht um Silber oder Gold, sondern mit dem kostbaren Blut Christi, des Lammes ohne Fehl und Makel“ (1 Petr 1,18f).

Was ist dann der Sinn unseres Tuns und unserer Anstrengungen? Nichts anderes als eine Antwort auf die Liebe und die Gnade Gottes, die jederzeit in uns eingegossen werden ohne unser eigenes Zutun. Rechnen wir die Gerechtigkeit Gottes mit unserer mathematischen Formel, so laufen wir leicht Gefahr, dass wir unsere Verdienste vor die Gnade Gottes stellen. Darum warnt Jesus uns durch dieses Gleichnis davor, dass wir nicht in Versuchung geraten sollen, die Gerechtigkeit Gottes mit unseren menschlichen Kalkulationen zu messen. Denn für Gott gilt ein anderes Gesetz, das wir nicht verstehen können und nicht verstehen brauchen.
Martin Luther hat recht, wenn er sagt, dass das Reich Gottes vom Reich der Welt unterschieden werden müsse. Im Reich der Welt gelten Angebot und Nachfrage, Anstrengung und Prämie. Im Reich Gottes herrscht anderes Gesetz, in dem Menschen, die in der Welt zu kurz gekommen sind, auch Anteil haben an der ewigen Freude bei Gott.

Klar ist, dass in der Welt die Gerechtigkeit herrschen soll. Aber können wir denn die wirkliche Gerechtigkeit hier im irdischen Leben erreichen? Was bedeutet Gerechtigkeit, wenn es nur eine kleine Gruppe von Menschen gibt, die alles haben, während die anderen verhungern, weil sie nicht in der Lage sind, gegen die ungerechte Struktur zu kämpfen? Was bedeutet Gerechtigkeit, wenn nur das Gesetz des Stärkeren gilt, während das Recht der Zu-kurz-gekommenen mit Füßen getreten wird?

Solange wir noch in der Welt leben und auf unserer irdischen Pilgerschaft unterwegs sind, können wir den wirklichen Sinn der Gerechtigkeit nicht erfahren. Unser Herz und unser Denken werden noch mit Zorn erfüllt sein, wenn wir sehen, wie die Letzten auch genau so bezahlt werden wie wir, die seit den ersten Stunden hart gearbeitet haben mit der Hoffnung, dass uns besser gezahlt wird als die Letzten. Uns allen gilt das Wort: „[...] bist du neidisch, weil ich zu anderen gütig bin?“ Vor Gott kann ich mich mit meinen Ansprüchen nur schämen, weil Gott alle Menschen liebt – auch mich – mit einer Liebe, die so groß ist, dass alles Böse daran endet. Gott fragt nie, wie viel Stunden ich dafür gearbeitet habe. Er nimmt mich an, wie ich wirklich bin. Er hat nicht aufgeschrieben, wie oft ich in meinem Leben „gefallen“ bin und wie oft ich meinen Mitmenschen geholfen haben. Vor ihm bin ich nur „Staub und Asche“ (Gen 18,27). Alles, was ich in meinem Leben gemacht habe, war nur ein kleiner Enzian am Wegesrand der überströmenden Liebe Gottes.

Gott sei Dank! Gott ist doch keine Krämerseele, die genauestens darüber Buch führt, was wir im Einzelnen geleistet haben, um dann am Ende mit uns fein säuberlich abzurechnen. Er liebt alle Menschen ohne Ausnahme. Jeder hat Anteil am ewigen Leben unabhängig von seinen Leistungen und Anstrengungen. Am Ende können wir uns nur noch vor Ihm schämen, weil Er uns liebt, mehr als wir erwarten. Wir können nicht unser Leben auf das Fundament unseres eigenen Könnens bauen, sondern nur auf dem Fundament der Liebe Gottes, das standhaft bleibt, auch wenn die Wellen und Stürme unserer Zeit nie aufhören zu toben. Jedem, der glaubt, wird die Gewissheit gegeben: Er hat einen Platz im Herzen Gottes.

P. Dr. Polykarp Ulin Agan SVD