6. Sonntag im Jahreskreis (A)

Predigtimpuls

Jesus dringt mit seinen Forderungen bis zum Kern des gesunden und ungetrübten Lebens.

1. Lesung: Sir 15,15-20
2. Lesung: 1.Kor 2,6-10
Evangelium: Mt 5,17-37 (Mt 5,20-22a.27-28.33-34a.37) 

Ich kann mir leicht vorstellen, dass die Juden-Christen des Matthäus keinen leichten Stand hatten gegenüber den Schriftgelehrten und Pharisäern. Sie sahen sich gezwungen, die freie Haltung Jesu gegenüber dem Gesetz sich selbst und den streng Gesetzestreuen zu erklären. Wie konnte Jesus sich einfach so locker dem Gesetz und den altehrwürdigen Vorschriften gegenüber verhalten? Er heilte je nach Bedarf am Sabbat; er berührte Aussätzige; er hielt Gemeinschaft mit Zöllnern und Sündern, er stellte sich schützend vor die Ehebrecherin, die laut Gesetz hätte gesteinigt werden müssen. - Kein Zweifel, dieser Jesus war selbst für die Matthäusgemeinde ein Problem. Das musste erklärt werden.

Natürlich zweifelt niemand an der Notwendigkeit von Gesetzen, Vorschriften und Verboten für das harmonische Zusammenleben der Menschen. Davon zeugt der Codex Hammurapi, der eine Gesetzessammlung enthält, die schon 1800 Jahre vor Christus Gültigkeit hatte. Wir finden darin Gesetze für Soldaten, Bauern, Wirte, Kaufleute, und er äußert sich auch schon über die Ehe und die Rechte der Frau.

Auch das verstehen wir: nicht jeder kann daherkommen und seine Regeln der Gemeinschaft aufzwingen. Gesetze entstehen um Gerechtigkeit, Frieden und Leben zu schützen. Ganz genau: Gesetze müssen Leben schützen, sonst haben sie keinen Sinn. Leben ist das Auslegungsprinzip des Gesetzes. Wir haben das in der heutigen Lesung aus dem Buche Jesus Sirach gehört: „Gott gab den Menschen seine Gebote und Vorschriften… strecke deine Hände aus nach dem, was dir gefällt. Der Mensch hat Leben und Tod vor sich; was er begehrt, wird ihm zuteil…“ Wir können also die Gesetze halten und ein friedliches Leben genießen, oder eben unserem eigensüchtigen Willen und Ehrgeiz nachgehen, Recht und Leben anderer missachten und so Streitigkeiten und Tod in die Gemeinschaft tragen. „Wähle … das Leben…“, empfiehlt das Buch Deuteronomium in 30,19.

Jetzt aber, wo sollen wir die Haltung Jesu einordnen mit seinem: „Ihr habt gehört… Ich aber sage euch…“ Wie kann er sagen, dass er gekommen sei, ‚nicht aufzuheben, sondern um zu erfüllen‘ (Mt 5,17b), obwohl er doch von den Strenggläubigen empfunden wird, dass er es nicht so genau nimmt mit dem Gesetz? - Wir wollen uns also genauer auf die Worte und Lehre Jesu einlassen, um ihn recht zu verstehen. Nicht nur nicht töten, sondern nicht mal zürnen, oder verleumderisch reden; nicht nur nicht das Eheversprechen brechen, sondern nicht mal lüstern auf eine andere Frau schauen. Wenn Jesus noch weiter fordert, dass wir unsere Gaben mit einem versöhnten Herzen vor den Altar bringen müssen, wenn wir von Gott gehört werden wollen; oder wenn er fordert, dass unser Ja ein Ja sein soll und die Wahrheit nicht durch einen Eid relativiert werden darf, so scheinen mir all diese Forderungen wie eine Steigerung, die uns immer näher zu Gott selbst bringen und schließlich dahin münden: „Ihr sollt vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist“ (Mt 5,48).

Ich sehe, Jesus geht weit über die Gesetzesvorschriften hinaus. Er dringt mit seinen Forderungen bis zum Kern des gesunden und ungetrübten Lebens. Wir merken auch, dass keine Gesetze soweit vordringen können. Man kann keine Gebote machen, die das Maß der Liebe bestimmen könnten. Bis ins Herz, den Sitz der Liebe, zielen die Worte Jesu und er selber lebt sie uns vor mit seiner Liebe, trotz Hass und Verleumdung rund um ihn herum.

Viele sind aufgebracht über das Bonus-System und überhaupt über die wachsenden Lohn- und Gehaltsunterschiede. Manchmal hört man das Argument, dass diesbezüglich kein Gesetz verletzt werde, ja sogar, dass das Gesetz dies erlaube. Soziales Empfinden ist eben Sache des Herzens und nicht der Gesetze. Achte in deinem eigenen Leben einmal darauf, wie oft du dir durch dein Gesetzesdenken ein reines Gewissen schaffen willst. Selbst wenn du merkst, dass du ganz unfair handelst, argumentierst du: „Ich habe kein Gebot übertreten!“ - Freudlos ist der Mensch, wenn sein Leben nur von Geboten und Verboten her bestimmt wird. Genau dieses Gesetzesdenken greift Jesus an, wenn er sagt, dass er die Gesetze und die Propheten nicht aufheben, sondern zur Erfüllung bringen will.

Fast möchte ich Jesus mit einem Goldwäscher vergleichen, der Schaufel um Schaufel von Sand und Erdklumpen wäscht bis das leuchtende Gold sich zeigt. Zu diesem Gold will er uns führen. - Wir sind eingeladen in unserem Tun, ganz aus der Liebe heraus zu handeln und Liebe kann nicht begrenzt, noch kann ihr Maß bestimmt werden. Wie könnte sonst Begeisterung, Freude und selbstlose Hingabe entstehen? Eine sorgfältige und aufmerksame Herzenskultur ist notwendig – wir sollten sie pflegen! – damit das Göttliche aus unserem Herzen überfließt in die Beziehungen des Familienlebens und in das alltägliche soziale Zusammenleben.

[In der Schule des Meisters: Unaufgefordert geht Jesus auf den gelähmten Mann in Bethesda zu (Joh 5,2-9), oder speist die Fünftausend (Mt 14,14-21), oder bemitleidet die Witwe in Naim, die ihren Sohn bestattet (Lk 7,12-15). Er übersieht die Kinder nicht (Lk 18,15-17) und auch nicht den vom Volk verhassten Zachäus (Lk 19,1-10) usw., usw. An vielen Beispielen zeigt uns Jesus, wie er das Gesetz zur Erfüllung bringt. Er ist von Mitleid und Barmherzigkeit motiviert, lindert Not, schenkt Aufmerksamkeit ohne geheißen zu werden. Er hätte doch einfach auf die andere Seite schauen und wohlerzogen nach den Konventionen der Zeit sich verhalten können. Warum denn mehr tun und damit noch in Schwierigkeiten kommen? - Überhaupt, wer hätte Gottes Sohn auf die Erde zwingen können, um uns den Weg zu zeigen! – Jesu Handeln fordert uns heraus, ihm auch hier im Alltag nachzufolgen.]  

P. Johann Rudolf Krieg SVD