7. Sonntag im Jahreskreis (A)

Predigtimpuls

Neue Gerechtigkeit durch grenzüberschreitende Liebe

1. Lesung: Lev 19,1-2.17-18
2. Lesung: 1 Kor 3,16-23
Evangelium: Mt 5,38-48

Grenzen überwinden
In der großen Politik gibt es immer wieder Bemühungen, Grenzen zu überwinden und das Trennende zwischen Menschen zu verbinden. Für Europa wird das seit dem Zweiten Weltkrieg deutlich: aus ehemaligen Feinden wurden Verbündete, und die Europäische Union entstand. Bei allen Unterschieden und Schwierigkeiten gibt es viele Beispiele dafür, wie Menschen sich aufeinander zu bewegen. Der damalige deutsche Bundespräsident, Johannes Rau, stellte die Frage: „Was hält eine Gesellschaft zusammen, die von Vielfalt und Gegensätzen geprägt ist?“ Seine Antwort lautete: „Es ist der Respekt vor dem Anderen, - die Fähigkeit, zum eigenen Erbe wie auch zum fremden Zugang zu finden, und aus Konflikten Versöhnung wachsen zu lassen: Unsere Gesellschaft kann aus der Beliebigkeit nicht leben. Sie braucht Respekt und Toleranz.“

Die neue Botschaft Jesu
Auch in den heutigen Lesungen geht es um den Umgang von Menschen miteinander. Die Lesung aus dem Buch Levitikus erinnert uns: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (V 18b). Jesus geht noch einen Schritt weiter: „Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde…“.

Die Forderungen an den Umgang von Menschen miteinander ergeben sich aus der zutiefst biblischen Überzeugung, dass Gott sich immer wieder neu den Menschen zuwendet. Dabei wächst auch im Laufe der Geschichte des Alten Testaments das Bewusstsein, dass Gottes Zuwendung allen Menschen zu allen Zeiten gehört. Jesus bezieht sich auf das Alte Testament und greift dessen Aussagen auf, indem er sagt: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn…“(Mt 5,38), und: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen…“ (Mt 5,43). Diese damals sehr bekannten Regeln sind die Grundlagen der Rede Jesu. Aber er geht weiter und leitet seine Forderungen mit den Worten ein: „Ich aber sage euch…“ (Mt 5,39.44). Die Regelung „Auge um Auge…“ hatte Gott gegeben, damit die Blutrache in Israel nicht ausgeübt werde. Jesus fordert jetzt:„Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand“ (Mt 5,39). Mit den Beispielen von Ohrfeige, Hemd und Mantel sowie eine Meile mit jemandem gehen, nennt Jesus Begebenheiten aus dem damaligen Alltag und erklärt, was er damit meint, wenn er sagt: „Leistet dem, der euch etwas Böses antut keinen Widerstand“. Seine zentrale Forderung: „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen“, leitet Jesus wieder mit einem Verweis auf das Alte Testament ein. Er erläutert seine Aussage und verweist auf die Berufung derer, die an Gott glauben: „Ihr sollt vollkommen sein…“ Der Satz stellt die Herausforderung zu einer neuen Grundhaltung an die, die Jesus nachfolgen, dar.

Zwischenmenschlicher Umgang
Schon damals standen seine Worte in krassem Gegensatz zu dem üblichen zwischenmenschlichen Umgang. Dem „Anderen“ begegnete man mit einer gehörigen Portion Misstrauen, sobald ein Unrecht geschah, war man auf Vergeltung bedacht: Du schlägst mich, ich schlage dich. Du tust mir Unrecht, ich werde dafür sorgen, dass ich zu meinem Recht komme. Während die Bibel die Juden einlädt, ihre Nachbarn, also andere Juden (Lev 19,18) und auch Ausländer, die unter ihnen leben (Lev 24,22; Num 15,16), zu lieben, war es eigentlich klar, dass den Mitgliedern der eigenen Familie, des eigenen Clans oder Stammes, eine besondere Stellung zukam.

Jesus sagt: „So soll es bei euch nicht sein.“ Er stellt sich gegen das übliche Verhalten. Er fordert seine Zuhörer heraus, aber er bleibt nicht an der Oberfläche. Es geht Jesus um eine neue Haltung, eine liebende Grundhaltung. Er lädt uns ein, auf eine Weise zu lieben, die keine Grenzen von Rasse oder Kultur, Farbe oder Klasse, kennt. Er selbst gibt uns immer wieder Beispiele von dieser Art zu lieben. Er ruft ganz einfache Menschen, mit ihm zu arbeiten (Mt 4,18-22), er heilt die Kranken (Mt 4,23-25) ohne sich darum zu kümmern, zu welcher sozialen Klasse, ethnischen Gruppe oder Religion sie gehören. Das Reich, das er ankündigt, ist für alle offen.

Die Einladung zu bedingungsloser Liebe durchzieht das gesamte Neue Testament. Wahre Liebe fordert, dass wir bereit sind, unser Leben selbstlos für andere zu geben (Joh 15,12f). Die Liebe zum anderen, der sichtbar ist, ist der einzige Weg sicher zu sein, dass wir den unsichtbaren Gott lieben. Worte sind wichtig, aber erst unser Handeln wird bestätigen, ob unsere Liebe genuin ist.

Liebe, die Grenzen überwindet, und Dialog
Nichts ist schwieriger, als unsere Liebe auch auf diejenigen auszuweiten, mit denen wir normalerweise nichts zu tun haben wollen. Aber genau darum geht es Jesus: Grenzen abzuschaffen, Ausgrenzungen aufzuheben und auf eine andere Grundhaltung derer, die ihm nachfolgen, hinzuwirken. In seiner zentralen Botschaft vom Reich Gottes geht es Jesus um eine solche neue Grundhaltung, die zu neuen, lebenspendenden Beziehungen unter den Menschen führt. Im Römerbrief schreibt Paulus: „Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, es ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist“ (Röm 14,17).
Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist werden von Jesus verwirklicht, der uns im Matthäusevangelium als Lehrer einer neuen, besseren Gerechtigkeit präsentiert wird. Vor allem in der Bergpredigt, zu der unser heutiges Evangelium gehört, wird konkret entfaltet, was diese neue Gerechtigkeit bedeutet. Der Grund dafür liegt in der grenzenlosen Liebe und Zuwendung Gottes, die nun auch die Jünger verpflichtet, alle menschlichen Grenzen zu überschreiten. Wir sprechen heute viel vom „Dialog“ und meinen damit zunächst einmal eine Haltung von Solidarität, Achtung und Liebe: „Dialog ist die Norm und die notwendige Weise jeder Form christlicher Mission, als auch von jedem ihrer Aspekte, sei es einfache Präsenz und Zeugnis, Dienst oder direkte Verkündigung.“

Es geht auch darum, dass wir als Christen unseren Beitrag leisten zu einer Weltsicht, die Einbindung, Teilhabe, humanen Umgang mit Unterschieden in den Mittelpunkt stellt und die die vielen Gemeinsamkeiten akzeptiert, die alle Menschen verbinden. Der Schlüssel zu einem neuen Paradigma der globalen Beziehungen liegt in der Überwindung des Missverständnisses, dass Unterschiedlichkeit mit Feindseligkeit gleichzusetzen ist. Das beginnt in unserem ganz konkreten Alltag. In Zeitungen aus dem Jahr 2000 fand ich ein Beispiel:
„Am 20. Juli 2000 verbrachten zwei junge Familien unabhängig voneinander einen Sommertag an den Ufern des See Genezareth, an dessen Ufer drei Länder grenzen. Der kleine Junge der ersten Familie entschloss sich, schwimmen zu gehen. Nachdem er ein paar Minuten lang fröhlich geschwommen war, bekam er Angst und rang um Luft. Vom Ufer aus beobachtete dies der Vater der anderen jungen Familie. Sofort sprang er ins Wasser, um das Kind zu retten. Dem Kleinen gelang es dank seiner Hilfe, den sicheren Strand wieder zu erreichen. Der junge Mann aber, der den Knaben gerettet hatte, erlitt noch im Wasser einen Schwächeanfall und ertrank. Die anschließenden Zeitungsartikel über diesen Vorfall berichten, dass der gerettete Knabe ein Jude und sein Lebensretter ein Moslem war. Dem neuen Paradigma zufolge hatte ein Vater das Leben eines Jungen gerettet, der nicht sein Sohn war, wie es jeder Vater und jede Mutter allerorten selbst um den Preis des eigenen Lebens tun würde.“

Die Worte und die Botschaft Jesu fordern zu einem alternativen Umgang miteinander auf. Sein Gebot der Feindesliebe ist radikal und muss jeden Tag neu umgesetzt werden. Die daraus erwachsende Haltung wäre eine dialogische Haltung, die Menschen zusammenbringt und das Reich Gottes, das ja Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist ist, sichtbar werden lässt.

P. Dr. Martin Üffing SVD