Die Feier des Einzugs Christi in Jerusalem – Palmsonntag (B)

Predigtimpuls

Wozu diese Verschwendung?

Evangelium: Mk 11,1-10 oder: Joh 12,12-16
1. Lesung: Jes 50,4-7
2. Lesung: Phil 2,6-11
Passion: Mk 14,1-15,47

 

„Wozu diese Verschwendung?“ Diese Frage steht ziemlich am Anfang der Leidensgeschichte Jesu im Markusevangelium. Natürlich hätte man das Alabastergefäß mit dem kostbaren Nardenöl verkaufen und das Geld den Armen geben können. In der Version des Johannesevangeliums ist die Frau Maria aus Bethanien und der, der protestiert Judas (Joh 12,1-8). Die Reaktion ist die gleiche – Empörung über die offensichtliche Extravaganz des Ganzen.

Das erinnert mich an den Film „Babettes Fest“, der von einer französischen Dame erzählt, die während der Revolution im Exil lebt und im Hause eines gerade verstorbenen Pastors Zuflucht findet. Die zwei Töchter des Pastors haben keine Ahnung davon, dass die Frau die ehemalige Chefköchin eines bekannten Pariser Restaurants ist. Sie mögen sie und sind froh, sie als eine Helferin in der Küche zu haben, machen sich aber gleichzeitig Sorgen darüber, was geschehen wird, wenn die Frau sich entscheiden sollte, in ihre Heimat zurückzukehren. Als Babette in einer Lotterie gewinnt, denken die beiden Pastorentöchter, dass es jetzt wohl so weit sein müsse, dass sie geht. Diese Angst wird unterstützt, weil Babette ein großartiges Essen organisiert, dass wie ein Abschiedsmahl aussieht. Erst später realisieren sie, dass Babette sie nicht verlassen will; sie hat ihren gesamten Gewinn für das außergewöhnliche französische Menu ausgegeben, dass sie selbst zubereitet hat. Und ihre Gastgeberinnen erkennen die Bedeutung dieser „Verschwendung“: als Babettes neugefundene Familie sind die beiden Töchter ihr viel mehr wert als alles Geld, dass sie bei einer Lotterie gewinnen könnte.

Sie kennen sicher ähnliches aus der eigenen Erfahrung: Menschen, die durch ihre Großzügigkeit oder einfach dadurch, dass sie das wenige, das sie besitzen mit anderen teilen zum Ausdruck bringen, dass es wichtigeres gibt als alle materiellen Werte.

Im Evangelium ist die Frau, die das Öl über Jesu Haar ausgießt ein Beispiel genau dafür, was Jesus von jenem Zeitpunkt an mit seinem eigenen Leben zu unserem Heil machen würde: es „verschwenden“. Die ganze Passion ist ein Akt der Liebe; und wer liebt, fragt nicht nach den Kosten.

Beim letzten Abendmahl nimmt Jesus diese „Verschwendung“ vorweg, die mit seiner Passion und seinem Tod geschieht. Er gibt ihnen Brot, und er sagt ihnen, dass das, was er anbietet, sein eigenes Fleisch wäre. Er bietet ihnen einen Becher Wein an und sagt, „Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird...“ (Mk 14,24). Er will es nicht behalten oder für sich selbst bewahren, er will alles ausgießen.

Bei vielen früheren Gelegenheiten hatte Jesus schon darauf hingewiesen. Einmal, als Antwort auf die heftige Reaktion des Petrus, als er sein Leiden und seinen Tod voraussagt, sagt Jesus seinen Jüngern, „Wer immer sein Leben retten will, wird es verlieren, aber wer immer sein Leben verliert... wird es retten“ (Mk 8,35). Der Einwand des Petrus kann genauso gedeutet werden: warum diese Verschwendung? Ich stelle mir vor, dass er sagt, „Auf keinen Fall, Jesus! Du bist zu wertvoll um verschwendet zu werden.“

Wir haben gesehen, dass die Reaktion im Johannesevangelium von Judas kommt, „Wozu die Verschwendung?“ Vielleicht wird damit angedeutet, was Judas über die bevorstehende Verhaftung und Hinrichtung Jesu empfindet. „Wenn es schon geschehen soll, dann sollte es auch wert sein zu geschehen“, mag Judas zu sich selbst gesagt haben. Wir werden nie sicher die Motivation des Judas kennen, Jesus zu verraten. Es gibt ein kleines Detail in der Geschichte des Markus, das sich in den anderen Evangelien nicht findet; es ist diese seltsame Bemerkung des Judas bei der Szene seines Verrates. Er sagt zu dem Soldaten, der Jesus gefangen nimmt: „Der, den ich küssen werde, ist es. Nehmt ihn fest und führt ihn sicher ab...“ (Mk 14,44). Es könnte auch heißen, „Nehmt ihn fest, aber, bitte, behandelt ihn gut“. Könnte das Judas‘ Art sein zu sagen, „Er ist wertvoll, bitte behandelt ihn gut“? Wir können nur vermuten, was wirklich in ihm vorging. Dreißig Silberstücke sind sicher nicht viel für einen guten Freund, aber auch dieser Betrag könnte für einen guten Zweck eingesetzt werden – z.B. für eine Revolution?

Spekulationen wie diese, die Exegeten immer wieder anstellen, sind sicher nicht zu weit hergeholt. Ja, manchmal können Leute einen Verrat durch alle möglichen guten Intentionen rechtfertigen – soziale Gerechtigkeit, Emanzipation der Massen, Veränderung von unterdrücktem Leben, usw.
Nach dem Mahl und der Gefangennahme Jesu geht die Geschichte der „Verschwendung“ seines Lebens weiter: beim Verhör vor dem Hohen Rat, bei der Verleugnung durch Petrus, bei der Verhandlung vor Pilatus und dann seine Kreuzigung, sein Tod und sein Begräbnis. „Wozu diese Verschwendung?“ Warum musste er leiden und hingerichtet werden? Er hatte doch eine gute, eine frohe Botschaft. Seine Worte und sein Wirken haben viele Menschen fasziniert – er hat geheilt und Trost gespendet; er hat Menschen, die am Rande standen ins Zentrum gestellt; er hat immer und immer wieder von Gott als dem Vater gesprochen, der sein ganzes Leben bestimmte. Er hätte noch so vieles bewirken können... „Wozu diese Verschwendung?“

Die Jünger – und wohl auch wir – begreifen das Ganze erst im Lichte der Wirkungen seines Leidens und Sterbens, im Lichte seiner Auferstehung. Es ist die Erfahrung von neuem Leben – Jesus lebt und lässt sich jetzt auf eine neue, andere Weise erfahren, die Menschen wieder Hoffnung, Orientierung, Leben... schenkt. Jetzt bekommt die „Verschwendung“ einen Sinn... und sie geht weiter, weil Jesus sich weiter den Menschen schenkt und weil unzählige Menschen seit jener ersten Karwoche in Jerusalem sich – von ihm und seiner Botschaft motiviert – anderen geschenkt haben. In der Hoffnung auf und im Glauben an die Auferstehung haben sie ihren eigenen Leidensweg erlebt, weil sie ihm, der lebt und der sich immer neu für uns „verschwendet“ begegnet sind.

Ich wünsche uns allen, dass diese Karwoche, (die heute beginnt,) für uns eine Woche neuer Begegnungen mit Jesus wird, so dass wir daraus Leben empfangen, dass er sich uns schenkt.

 

P. Dr. Martin Üffing SVD