1. Adventssonntag (B)

Predigtimpuls

„Im Wolkendunkel komme ich zu dir“ (Ex 19,9)

1. Lesung: Jes 63,16-19; 64,3-7
Antwortpsalm: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: 1Kor 1,3-9
Evangelium: Mk 13,33-37
Zum Kantilieren des Evangeliums: www.stuerber.de

Seid wachsam! Im Dunkel der Wolken werde ich dir begegnen

Gott hat sich zurückgezogen von dieser Welt 

„Ich würde ja an Gott glauben…. aber wenn ich mir unsere Welt so ansehe, frage ich mich: wo ist dann dieser Gott? Warum greift er nicht ein?“ – so oder ähnlich äußern sich viele Menschen, die unter einer menschenfeindlichen Atmosphäre leiden; denen es nicht egal ist, ob andere untergehen, verfolgt und ausgeschlossen werden. Sie träumen den Traum Gottes vom Paradies – und müssen doch feststellen, dass dies nur ein Traum ist, alles andere als Wirklichkeit. Da hören sie: Seid wachsam! Was bedeutet das und warum sollen wir wachsam sein? Es scheint mir wie das resignative und angestrengte Wachbleiben eines Menschen, der jemanden erwartet, aber im Grunde weiß, er kommt nicht. Und doch versucht er, wach zu bleiben. Wer am Bett eines Schwerkranken wacht – und die Stunden scheinen nicht zu vergehen – der wartet doch auf Besserung, auf Erlösung. Der Beter im Psalm 121 erwartet Hilfe vom Herrn. Der im Psalm angesprochene Schatten schützt und behütet – eine andere, positive Erfahrung von Geborgenheit und die Überzeugung, dass Gott sich eben nicht zurückgezogen hat. 


Gott mutet uns etwas zu oder gar zu viel zu?

Gerade in Krisenzeiten zeigt sich doch, inwieweit unser Glaube wirklich trägt. Das Bild oder besser die Bilder, die wir von Gott in uns tragen, erweisen sich dann als hilfreich oder nicht. In solch einer Spannung liegt aber gleichzeitig eine enorme Chance zum Wachsen. Gott hat uns nicht als willenlose Wesen geschaffen und gewollt, sondern er hat uns eine relative Freiheit in Verantwortung geschenkt. Sie gestalterisch zu gebrauchen ist eine Herausforderung für jeden. So wie im Evangelium der Mann auf Reisen ging und die Seinen „alleine“ ließ, so erwartet Gott von uns, dass wir unser Leben selbst in die Hand nehmen. Das können wir aber nicht allein. Wir brauchen dazu einander: Gemeinschaft, Gemeinde, Ehe und Familie – bis hin zur Völkerfamilie. Mehr denn je sind wir auch mitverantwortlich für die Menschen, die vielleicht tausende von Kilometern entfernt leben; für ihr Wohlergehen, für ihre Freiheit, für die Werte ihrer Kultur. 


Das Dilemma der Vorhersagen

Was früher oft mit magischen Vorstellungen oder dem begrenzten Wissen um naturwissenschaftliche Zusammenhänge nur sehr schwer zu erfassen war, gelingt uns heute besser oder unmittelbarer, – zum Beispiel die Wettervorhersage. Gleichwohl müssen wir auch hier Grenzen anerkennen, die nicht so leicht zu überwinden sind. Wir meinen etwa, bestimmte Naturgewalten im Griff zu haben – und müssen doch feststellen, wie schnell Entwicklungen und Katastrophen uns eines Besseren belehren. Wir sollen nicht schlafen, sondern wachsam sein und Gottes Spuren in unserer Welt erkennen; seinen Plan für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung entschlüsseln lernen und entsprechend handeln. Das könnte ein gutes Programm für diese Adventszeit sein: Gott auch in den dichten Wolken unserer Welt suchen und finden – und ihm dort begegnen. Er wird immer der Un-Begreifliche sein, der Ganz-Andere, dessen Nähe und Hilfe sehr oft nicht unseren Vorstellungen und Wünschen entspricht und der sich unserer Verfügbarkeit entzieht. 


Die Chance derjenigen, die in der „Zwischenzeit“ leben

Bis in unsere Zeit hinein machen sich die Vorstellungen der Nah-Erwartung des Herrn in der Urkirche bemerkbar und haben ihre Auswirkungen auf den Glauben und ebenso bestimmte Verhaltensweisen bzw. Vorschriften – nicht immer positiv und hilfreich, wie sich zeigt. Es ist deshalb unsere Aufgabe, die entsprechenden Texte kritisch zu lesen und zu interpretieren. Vielleicht muss sich dann einiges bei uns selbst und in der Kirche insgesamt ändern. Wir dürfen nicht nur in diese Richtung denken, wir müssen es sogar, meine ich. Wir dürfen z. B. nicht an Gesetzen festhalten, wenn sich die Umstände – und damit auch die Menschen – so sehr verändert haben, dass ein Festhalten nicht nur anachronistisch wäre, sondern auch kaum dem Plan Gottes entspricht. Dabei finde ich wichtig, nüchtern zu werten dass Institutionen immer ein beharrendes und bewahrendes Element darstellen, das auch seinen Sinn hat – auf der anderen Seite aber nicht zu übersehen, dass Reformen und Neues nie von „Oben“ kommen, sondern immer von „Unten“. Das heißt, auch Kirche braucht unbequeme Querdenker und sogar Menschen, die (von außen betrachtet) ungehorsam sind, aber so einem anderen Gesetz gehorchen. 


Sich vorbereiten – das Leben gestalten

Ich lebe jetzt seit einem Jahr in unserer SVD-Kommunität in München. Wir wohnen in gemieteten Räumen der Pfarrgemeinde „Wiederkunft des Herrn“ – haben also hier kein eigenes Haus mehr wie früher. Das schränkt uns auf der einen Seite ein, macht uns aber auf der anderen Seite frei und mehr „adventlich“, dass wir uns nicht allzu sehr einrichten, meine ich. Wir bereiten uns (jedes Jahr) auf Weihnachten vor, auf die Neu-Ankunft des Herrn und Erlösers. Hat dies Folgen für unser Leben? Beeinflusst dies unsere Werte und die Gestaltung des Lebens? Welche Zukunft erwarten wir? Im Lied „Tauet Himmel den Gerechten, Wolken regnet ihn herab“ beten wir singend um das Kommen des Gerechten. Seien wir auch bereit, uns von ihm und seiner Botschaft verändern zu lassen – angesichts so vielen Scheiterns und von so viel Negativem. Übersehen wir aber auch nicht die vielen positiven Entwicklungen gerade dort, wo Menschen über ihren Tellerrand hinausschauen; wo sie bereit sind, für andere da zu sein, auch wenn dies unter Umständen lebensgefährlich ist (Freiwillige im Einsatz gegen Ebola; das Engagement für Flüchtlinge oder Asylanten). Nehmen wir die vielen Menschen wahr, die ihr Leben nicht allein für sich gestalten, sondern andere mit einbeziehen, ihnen Zeit und Zuwendung schenken. Sie schauen mit wachen Augen und wachem Sinn in die Welt – und können dort die Nähe Gottes erkennen und erfahren.


P. Heinz Schneider SVD