2. Adventssonntag (B)

Besinnung

„Barriere freier Zugang“ zu Gott

1. Lesung: Jes 40,1-5.9-11
Antwortpsalm: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: 2 Petr 3,8-14
Evangelium: Mk 1,1-8
Zum Kantilieren des Evangeliums: www.stuerber.de


2. Adventssonntag (B) / 07.12.2014
Betrachtung zur Lesung aus dem ersten Testament: Jes 40, 1-11
(hier der komplette Text; der verkürzte Sonntagstext steht in Fettdruck)


Der Text
40,1: Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott.

V 2: Redet Jerusalem zu Herzen und verkündet der Stadt, dass ihr Frondienst zu Ende geht, dass ihre Schuld beglichen ist; denn sie hat die volle Strafe erlitten von der Hand des Herrn für all ihre Sünden.
2e: Wörtlich: «sie hat Zweifaches empfangen». Das Strafrecht fordert in bestimmten Fällen doppelte Wiedergutmachung (vgl. Ex 22,3.6.8).

V 3: Eine Stimme ruft: Bahnt für den Herrn einen Weg durch die Wüste! Baut in der Steppe eine ebene Straße für unseren Gott!

V 4: Jedes Tal soll sich heben, jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, und was hüglig ist, werde eben.

V 5: Dann offenbart sich die Herrlichkeit des Herrn, alle Sterblichen werden sie sehen. Ja, der Mund des Herrn hat gesprochen.

V 6: Eine Stimme sagte: Verkünde! Ich fragte: Was soll ich verkünden? Alles Sterbliche ist wie das Gras, und all seine Schönheit ist wie die Blume auf dem Feld.
Ich fragte: Text korr. nach G, vgl. den Qumran-Text.

V 7: Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, wenn der Atem des Herrn darüber weht. Wahrhaftig, Gras ist das Volk.

V 8: Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, doch das Wort unseres Gottes bleibt in Ewigkeit.

V 9: Steig auf einen hohen Berg, Zion, du Botin der Freude! Erheb deine Stimme mit Macht, Jerusalem, du Botin der Freude! Erheb deine Stimme, fürchte dich nicht! Sag den Städten in Juda: Seht, da ist euer Gott.

V 10: Seht, Gott der Herr, kommt mit Macht, er herrscht mit starkem Arm. Seht, er bringt seinen Siegespreis mit: Alle, die er gewonnen hat, gehen vor ihm her.

V 11: Wie ein Hirt führt er seine Herde zur Weide, er sammelt sie mit starker Hand. Die Lämmer trägt er auf dem Arm, die Mutterschafe führt er behutsam.


Die Textbetrachtung

In den Kapiteln 40-55 des Jesajabuches befindet sich die Oberschicht des jüdischen Volkes noch im Babylonischen Exil (586-538 v. Chr.), Jerusalem liegt in Trümmern, das Südreich Juda existiert nicht mehr. Da tritt ein Prophet auf, der Gottes Auftrag vernommen hat, das für seine Untreue und seine Sünden bestrafte Jerusalem zu trösten und zu ermutigen. Schon bald würden alle Menschen die Herrlichkeit, das Gott-Sein, Jahwes erkennen, wenn er sich wie ein guter Hirt um sein Volk kümmert und es aus der Diaspora sammelt und zurückbringt.

40,1: "Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott", so lautet der Auftrag Gottes, den ein Prophet, der Gott unter den Menschen zur Sprache bringen soll, vernommen hat.

V 2: Folglich wendet er sich mit dieser tröstlichen Botschaft Gottes auch an andere Verkünder des Wortes Gottes, die Jerusalem zu Herzen reden sollen. Die zurückgebliebene armselige Bevölkerung der durch die Babylonier zerstörten Stadt wird es ganz sicher zu Herzen gehen, wenn sie verheißen, dass ihr Frondienst nun endlich beendet und ihre Schuld beglichen ist. Für die Untreue Israels und die Nichtbeachtung der Tora und Weisung Jahwes hat das Volk schließlich genug büßen müssen - so sollen sie predigen.

V 3: Einer aus der Gruppe der Propheten, die in der Stadt Jerusalem das Ende des Frondienstes ankündigen sollen, erhebt nun seine Stimme und ruft zum gemeinsamen Handeln auf: Er ruft die Jerusalemer auf, einen Weg für Jahwe, "unseren" Gott durch die Wüste und eine Straße durch die Steppe zu bauen. Diese Sprachform erinnert an die unter dem Namen des Mose gesammelten Auszugsgeschichten einstmals aus Ägypten.

V 4: Hier nun die Ausführungsbestimmungen für den Wegebau. Gott soll auf einer ebenen, geraden, gut ausgebauten Straße möglichst schnell in den Trümmern Jerusalems ankommen können.

V 5: "Herrlichkeit" ist ein biblisches Wort für "Gott". Und den kann man nach jüdischer Glaubensüberzeugung niemals definieren und erklären. Gott ist und bleibt ein Geheimnis, das sich allein in seinem Wirken, in seiner Schöpfung und Heilsgeschichte, erschließen und erkennen lässt. Was der Mund des Herrn gesprochen hat, hat der prophetische Sprecher selbst ja gar nicht gehört. Es wurde ihm überliefert. In seiner Predigt verkündet er seine Überzeugung und Auslegung vom ihm erzählten Gotteswort: "Tröstet, tröstet mein Volk spricht der Herr, " (40,1). Ähnlich haben bereits mit ihm und vor ihm andere Propheten Trostpredigten gehalten. Die Absicht Gottes und sein Wort "wächst" gleichsam in seiner immer erneuten Auslegung. Gott hat nicht die gleichen Worte des Verkünders gesprochen, aber der Prophet hat das "Wort", das der Mund des Herrn gesprochen hat, situationsgerecht "wahrhaftig" ausgelegt und gedeutet.

V 6: Die Verse 6 - 8 werden am zweiten Adventssonntag nicht gelesen. Der Adressat ist nicht mehr der Hörer des Gotteswortes aus V 1 und auch nicht die Gruppe V 2 - 5. Mit einer erneuten Redeeinleitung wird diesmal ein Einzelner angesprochen. Auch er soll verkünden, aber was? Er soll das Vergängliche mit dem Bleibenden vergleichen. Wie das Gras und die Schönheit einer Blume wird alles Sterbliche und Materielle dieser erfahrbaren Welt vergehen und "sterben".

V 7: Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, wenn der Wind und Atem Gottes darüber weht. "Wahrhaftig Gras ist das Volk" ist eine später eingefügte etwas unpassende Glosse. Der Endredaktor dachte wohl schmerzhaft dabei an die Vernichtung seines Volkes durch die Babylonier.

V 8: Der Vergleich mit dem Gras und der Blume wird hier nochmals erwähnt, um den Gegensatz zwischen der Vergänglichkeit der irdischen Dinge unserer Welt und der ewigen Unvergänglichkeit des Wortes unseres Gottes, des Gottes Israels, zu betonen. Bleibt noch zu klären, welches Wort Gottes denn ewig und unvergänglich bleibt und verkündet werden soll. Das kann doch nur im Zusammenhang des gesamten Textes das Wort sein, das ein Prophet von Gott erfahren hat: "Tröstet, tröstet mein Volk," (40,1). Das "Wort Gottes" meint im semitischen Denken nicht nur ein einzelnes Wort. Für abendländisches Verstehen kommt zuerst der Singular und dann der Plural. Die hebräische Sprache erkennt auch in einer singularen Wortform aber zuerst den Plural. Wir denken von der Einzahl zur Mehrzahl, der Semite denkt zuerst die Mehrzahl, das Kollektiv, das Genus und dann das Einzelne.

V 9: Erst wenn der Jerusalemer Tempel, Jahwes Wohnung unter seinem Volk, und die zerstörte Stadt wieder aufgebaut worden sind, wird Zion zur Botin der Freude für alle Städte in Juda werden können. "Zion" ist ursprünglich nur der südliche Burghügel der sogenannten Davidsstadt, wird aber auch später und so ebenfalls hier eine Bezeichnung für ganz Jerusalem. Von einem hohen Berg soll dann Jerusalem als Botin der Freude über Gottes Heilshandeln seine machtvolle Stimme erheben und furchtlos den Städten Judas ihren einzigen und wahren Gott zeigen: Seht, da ist euer Gott.

V 10: Was sie sehen sollen, ist Gottes machtvolles Heilshandeln. Er ist also kein durch die Babylonier vernichteter Gott, sondern er erweist sich als machtvoller Herrscher, indem er als Siegespreis die nach Babylon Verbannten vor sich her zurückbringt.

V 11: Die Perikope schließt mit dem in den biblischen Büchern mehrfach verwendeten Bild vom Hirten und seiner Herde. Wie ein Hirte weiß Jahwe für die Herde, für sein Volk, zu sorgen. Er sammelt sie, sein Volk, mit starker Hand in Jerusalem und Juda. Die schwachen Lämmer trägt er und geht mit den trächtigen Mutterschafen behutsam um.

Für gläubige Jüdinnen und Juden gibt es nur einen einzigen Gott. Und das gläubige Volk Israel (nicht mit dem derzeitigen Staat zu verwechseln!), das auf seine Tora und Weisung verpflichtet ist, gehört ihm zu eigen. Er hat es an sich gebunden. Und dieser Bund Gottes mit seinem Volk ist von seiner Seite bis heute nicht aufgekündigt worden.
Sein Gott bleibt für das gläubige Judentum auch Herr der Geschichte "er herrscht mit starkem Arm" (Jes 40,10). Die biblischen alttestamentlichen Bücher berichten allerdings nicht die tatsächliche Geschichte Israels, sondern seine gedeutete Heilsgeschichte. Historische Tatsache ist das "Babylonische Exil" (586 - 538 v. Chr.). und das Befreiungsedikt des Perserkönigs Kyrus des Jahres 538 v. Chr. wie es in Esra 1,1 - 4 überliefert ist. Dass aber Gott mit dem Exil sein Volk nur bestrafen wollte, dass er es auch wieder in Jerusalem um einen neu erbauten Tempel bei sich sammeln würde, ist gedeutete Profangeschichte Israels, ist Heilsgeschichte wie sie in Jes 40,1-11 erzählt wird. Jahwe, der Gott seines Eigentumsvolkes, wird, wie schon in den unter dem Namen des Mose gesammelten sehr verschiedenen Geschichten von einem "Auszug aus Ägypten", als dessen "Erlöser und Befreier" verkündet. Aus einem Land fremder babylonischer Götzen hat er es erlöst und befreit wie man es sich schon lange vorher von Mose und seiner in Ägypten versklavten Schar erzählt hat. So schildert unser Text Erlösung und Befreiung aus einem Leben ohne Gott, und Befreiung von ohnmächtigen "Göttern", die Götzen sind und nichts bewirken können.
Gläubige Jüdinnen und Juden wie Jesus aus Nazaret lesen Jes 40,1 - 11 als nie vergehende Zusage Gottes, Jes 40,8, dass er sein Volk niemals zugrunde gehen lässt und immer wieder aus der Ferne in seine Nähe ruft, um es bei sich zu sammeln.


P. Hieronymus Horn OSB