3. Adventssonntag (B)

Besinnung

Betrachtung zur Lesung aus dem ersten Testament: Jes 61,1-11

Jes 61,1-11
(hier der komplette Text; der verkürzte Sonntagstext steht in Fettdruck)

Der Text
Lesung aus dem Buch Jesaja, 61,1-11

61,1 Der Geist Gottes, des Herrn, ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe und alle heile, deren Herz zerbrochen ist, damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Gefesselten die Befreiung,

61,2 damit ich ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe, einen Tag der Vergeltung unseres Gottes, damit ich alle Trauernden tröste, 

61,3 die Trauernden Zions erfreue, ihnen Schmuck bringe anstelle von Schmutz, Freuden Öl statt Trauergewand, Jubel statt der Verzweiflung. Man wird sie «Die Eichen der Gerechtigkeit» nennen, «Die Pflanzung, durch die der Herr seine Herrlichkeit zeigt».

erfreue: Text korr. - Schmuck anstelle von Schmutz, wörtlich: «einen Turban anstelle von Staub». Staub streut man sich bei Trauer auf den Kopf. In H ein Wortspiel.

61,4 Dann bauen sie die uralten Trümmerstätten wieder auf und richten die Ruinen ihrer Vorfahren wieder her. Die verödeten Städte erbauen sie neu, die Ruinen vergangener Generationen.

61,5 Fremde stehen bereit und führen eure Herden auf die Weide, Ausländer sind eure Bauern und Winzer.

61,6 Ihr alle aber werdet «Priester des Herrn» genannt, man sagt zu euch «Diener unseres Gottes». Was die Völker besitzen, werdet ihr genießen, mit ihrem Reichtum könnt ihr euch brüsten.

61,7 Doppelte Schande mussten sie ertragen, sie wurden angespuckt und verhöhnt; darum erhalten sie doppelten Besitz in ihrem Land, ewige Freude wird ihnen zuteil.
Schande: Text korr.; H: eure Schande. - sie wurden angespuckt: Text
korr.; H: sie jubeln.

61,8 Denn ich, der Herr, liebe das Recht, ich hasse Verbrechen und Raub. Ich bin treu und gebe ihnen den Lohn, ich schließe mit ihnen einen ewigen Bund.

61,9 Ihre Nachkommen werden bei allen Nationen bekannt sein und ihre Kinder in allen Völkern. Jeder, der sie sieht, wird erkennen: Das sind die Nachkommen, die der Herr gesegnet hat.

61,10 Von Herzen will ich mich freuen über den Herrn. Meine Seele soll jubeln über meinen Gott. Denn er kleidet mich in Gewänder des Heils, er hüllt mich in den Mantel der Gerechtigkeit, wie ein Bräutigam sich festlich schmückt und wie eine Braut ihr Geschmeide anlegt.
10e: sich festlich schmückt: Text korr.; H: Priesterdienst tut.

61,11 Denn wie die Erde die Saat wachsen lässt und der Garten die Pflanzen hervorbringt, so bringt Gott, der Herr, Gerechtigkeit hervor und Ruhm vor allen Völkern. 


Die Textbetrachtung

Diese Perikope vom 3. Adventssonntag stammt aus dem dritten Teil des Jesajabuches. In verschiedenartigen Texten richten sich die Kapitel 56 - 66 an die aus dem Exil Heimgekehrten. 

61,1: Hier spricht nicht der „Gottesknecht“ wie in Jes 42,1, dessen Aufgabe es ist, für Recht zu sorgen: „Seht, das ist mein Knecht, den ich stütze; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er bringt den Völkern das Recht. Das geknickte Rohr zerbricht er nicht, und den glimmenden Docht löscht er nicht aus; ja, er bringt wirklich das Recht“ (Jes 42,1.3). Aber ähnlich spricht jetzt die personifizierte Davidsstadt „Zion“ zu den Menschen in und um Jerusalem, die durch die persische Steuerpolitik großenteils in wirtschaftliche Not geraten sind. Diese Armen sehnen sich nach Befreiung aus ihrer Schuldknechtschaft wie sich vormals die Exilierten nach der Befreiung aus der Babylonischen Gefangenschaft gesehnt haben. 

Das hebräische Wort für „Geist“ bedeutet „Wind, Sturm“. Man kann ihn nicht sehen und nur wie Gott an seinem machtvollen Wirken erkennen. Der Herrgott verleiht demnach „Zion“ die nötigen Energien und Kräfte, damit sie ihre Sendung auch erfüllen kann. Der Ritus der „Salbung“ galt schon in biblischen Zeiten als ein Versprechen und als eine Selbstverpflichtung Gottes, mit jemandem gemeinsam zu handeln. Wenn Jahwe „Zion“ mit seinem Geist, seiner Wirkkraft, gesalbt hat, dann hat er der Stadt versprochen, durch sie und mit ihr den Armen eine frohe Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu heilen, gefesselte (verschuldete?) Gefangene zu befreien. 

V 2: Für sie soll „Zion“ ein Gnadenjahr des Schuldenerlasses, das sonst nur für ein Sabbatjahr, (vgl. Ex 23,10-12) oder für ein Jubeljahr, (vgl. Lev 25) vorgeschrieben war, ausrufen. Der Tag der Vergeltung Gottes wird sich dann ereignen, wenn die personifizierte Stadt „Zion/Jerusalem“ den Armen endlich zu ihrem Recht verhilft und ihre Ausbeutung und Verschuldung durch die Reichen rächt. Das wird den jetzt Trauernden ein Trost sein, weil sie so erleben, dass Gott, ihr einziger Rechtsanwalt, sich besonders mit ihnen solidarisiert. 

V 3: Die Trauernden Zions werden sich wieder freuen können, wenn sie demnächst nicht mehr trauern müssen und Jubel statt Verzweiflung in der Stadt herrschen wird. Durch seine Pflanzung der „Eichen der Gerechtigkeit“ wird Jahwe seine Herrlichkeit und Gottheit offenbaren. Er handelt wahrhaft gerecht, weil er sich zu den Verschuldeten und Ausgebeuteten, zu den Armen Zions wie ein guter Freund in rechter Weise verhält. Solches Handeln erwartet man mit Recht in einer guten und freundschaftlichen Beziehung. Der Hilfsbedürftige muss sich in einer guten Beziehung auf den Freund unbedingt immer verlassen können. Und auf den treuen Gott ist Verlass. Die Armseligen der nachexilischen jerusalemer Tempelgemeinde sind seine Freunde. Als eine „Pflanzung mächtiger Bäume“ werden sie seine zuverlässige und vertrauenswürdige Gottheit und Herrlichkeit offenbaren.

V 4: Noch liegt die von den Babyloniern zerstörte Stadt Jerusalem samt Tempel, dem Wohnort Gottes, in Trümmern. Die verödeten Städte ringsum im Land sind Ruinen. Doch wird man schon bald hoffnungsvoll die uralten Trümmerstätten wieder aufbauen, die Ruinen verödeter Städte neu erbauen. 

V 5: Nach der Rückkehr einiger armseliger Exilierter, gibt es im Persischen Reich (550-330 v.Chr.) nur noch eine kümmerliche Tempelgemeinde in und um Jerusalem. Die politische Größe „Israel“ existiert seit 586 v. Chr. nicht mehr. Mit der Vernichtung Judas durch die Babylonier endete die Geschichte Israels, und es begann die Geschichte des Judentums. Fremdländische Hirten weiden im ehemaligen Gebiet von Juda ihre Herden, und ausländische Bauern und Winzer bewirtschaften schon ein halbes Jahrhundert das Land. 

V 6: In der Tora und Weisung Israels bestimmt Gott: „Ihr aber sollt mir als ein Reich von Priestern und als ein heiliges Volk gehören“ (vgl. Ex 19,6). Jüdinnen und Juden, die auf die Stimme Gottes hören und seinen Bund halten, werden Gottes besonderes Eigentum unter allen Völkern sein (vgl. Ex 19,5). Die nachexilische jerusalemer Tempelgemeinde begreift sich nicht mehr als eine politische Größe, sondern nur noch als priesterliche Gemeinde Jahwes beim Tempel, die dort den Gottesdienst verrichtet, und für deren Lebensunterhalt die Völker sorgen sollen.

V 7: Die Exilierten wie die im Land Zurückgebliebenen haben doppelt schwere, sehr viel Schmach und Schande erleiden müssen. Darum werden sie auch einmal über den doppelten Landbesitz verfügen dürfen. 

V 8: Den Ausgebeuteten und Armseligen verhilft Gott immer wieder zu ihrem Recht. Er ist treu und darum auch vertrauenswürdig. Die unerschütterliche Treue Gottes, selbst wenn wir ihm untreu sind, bleibt eine seiner beglückendsten Eigenschaften. Sie lässt gläubige Menschen niemals an Gottes Hilfsbereitschaft und Gerechtigkeit zweifeln. In einem von seiner Seite unauflöslichen Bund bindet sich Gott auf ewig an seine Versprechungen. Und so wird das erduldete Unrecht den Jerusalemern belohnt werden. 

V 9: Noch ist die kümmerliche Tempelgemeinde in Jerusalem eine kleine Gruppe im persischen Reich. Aber einmal werden ihre Nachkommen bei allen Nationen und in allen Völkern als die bekannt sein, die Jahwe gesegnet hat. „Segen“ Gottes bedeutet in biblischer Sprache seine Zuwendung und sein Mitwirken, seine Solidarität mit den Kleinen, Schwachen, und sein fortwährendes Dasein für alle, die sich ihm in Not anvertrauen und an ihn glauben. 

V 10: Wenn Zion seinen Auftrag erfüllt hat, wird es dieses Danklied anstimmen. Es wird sich über Gott von Herzen freuen und seine Seele soll jubeln. Denn Gott hat die personifizierte Stadt Jerusalem in Gewänder des Heils gekleidet, um durch sie zerbrochene Herzen heilen zu können. In den Mantel der Gerechtigkeit Gottes gehüllt, wird Zion an seiner Stelle handeln. Freude und Jubel wie bei einer Hochzeit wird dann in Jerusalem herrschen. 

V 11: Wie Gott die Saat, und in den Gärten die Pflanzen wachsen lässt, so sorgt er auch dafür, dass nach der Katastrophe des Exils in der jerusalemer Tempelgemeinde wieder nach seiner Tora und seiner Weisung gerecht gelebt wird. Darin besteht der Ruhm Israels bei allen Völkern. 

Im Buch Deuteronomium heißt es: „Hiermit lehre ich euch, wie es mir der Herr, mein Gott, aufgetragen hat, Gesetze und Rechtsvorschriften. Ihr sollt sie innerhalb des Landes halten, in das ihr hineinzieht, um es in Besitz zu nehmen. Ihr sollt auf sie achten und sollt sie halten. Denn darin besteht eure Weisheit und eure Bildung in den Augen der Völker. Wenn sie dieses Gesetzeswerk kennenlernen, müssen sie sagen: In der Tat, diese große Nation ist ein weises und gebildetes Volk. Denn welche große Nation hätte Götter, die ihr so nah sind, wie Jahwe, unser Gott, uns nah ist, wo immer wir ihn anrufen? Oder welche große Nation besäße Gesetze und Rechtsvorschriften, die so gerecht sind wie alles in dieser Weisung, die ich (Mose) euch heute vorlege?“ (Dtn 4,5-8). Bis heute ist diese Tora und Weisung für das Judentum bindend. Es wäre sehr unklug, das Alte Testament als Gesetzesreligion abzutun. Die Tora, die fünf ersten Bücher unserer Bibel, gelten den gläubigen Jüdinnen und Juden bis heute als Realpräsenz unseres gemeinsamen Gottes. 


P. Hieronymus Horn OSB