2. Adventssonntag (C)

Predigtimpuls

„Flüchtlingskrise“

1. Lesung: Bar 5,1-9
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: Phil 1,4-6.8-11
Evangelium: Lk 3,1-6
Zum Kantilieren des Evangeliums: www.stuerber.de

„Gott führt Israel heim in Freude, im Licht seiner Herrlichkeit: Erbarmen und Gerechtigkeit kommen von ihm!“ Dieser Ruf des Propheten Baruch galt dem Volk Israel, das in der Zerstreuung lebte. Und er gilt den vielen Millionen Menschen heute, die vertrieben durch Krieg und Terror fern ihrer Heimat leben müssen. Der Prophet ist überzeugt: „Gott aber bringt sie heim!“

Viele sprechen heute von einer „Flüchtlingskrise“. Kein Wunder. Denn über 60 Millionen sind weltweit auf der Flucht, und Hunderttausende strömen nach Europa auf der Suche nach einem Leben in Frieden und Sicherheit. Trotzdem – mir gefällt das Wort „Flüchtlingskrise“ nicht. Denn es suggeriert, dass die Flüchtlinge Auslöser der Krise sind. Dass sie schuld an der Krise seien. Aber das stimmt einfach nicht. Niemand verlässt freiwillig seine Heimat. Flüchtlinge sind Vertriebene. Sie laufen davon, weil sie im eigenen Land – oder in einem Flüchtlingslager an der Grenze des eigenen Landes – keine Zukunft für sich und ihre Familie sehen. Schuld an dieser Krise sind unterlassene Bemühungen, vor Ort Frieden zu schaffen. Der Prophet Baruch sagt, dass Erbarmen und Gerechtigkeit von Gott kommen. Über viele Jahre hat es weder Erbarmen noch Gerechtigkeit für den Irak und Syrien und viele andere Krisenherde gegeben. Statt Erbarmen gab es Waffen, statt Gerechtigkeit Ausbeutung. Hauptsache, das Öl fließt! Hauptsache, unsere Wirtschaft profitiert! 

Was der Prophet Baruch über das Volk Israel vor 2500 Jahren sagte, hört sich wie ein Kommentar zu unserem Zeitgeschehen an: „Zu Fuß zogen sie fort, weggetrieben von den Feinden; Gott aber bringt sie heim zu dir!“ Kann es gelingen, im Kommen der vielen Flüchtlinge keine Krise, sondern eine Heimkehr zu sehen, die Gott selbst bewirkt? Das ist angesichts der vielen Herausforderungen und kaum zu bewältigenden Probleme scheinbar unmöglich. Und doch, wenn wir wirklich an das Kommen des Erlösers glauben, wenn wir wirklich adventliche Menschen sind, dann kann das gelingen. Denn für uns Christinnen und Christen gehört untrennbar zu unserem Glauben, dass uns Jesus Christus selbst in den Flüchtlingen begegnet. Jesus sagt von sich selbst im Matthäusevangelium: „Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen.“ Die Flüchtlinge sind fremd und obdachlos. Unser ewiges Heil entscheidet sich also daran, ob wir Jesus Christus in den Flüchtlingen sehen und ihn aufnehmen. Daran führt also kein Weg vorbei.

„Bereitet dem Herrn den Weg, ebnet ihm die Straßen!“ So hat Johannes der Täufer im Evangelium gerufen. Wir sind eingefordert, in den Flüchtlingen den Herrn zu erkennen und ihm den Weg zu bereiten. Tun wir schon genug, und vor allem, tun wir das Richtige und Notwendige, um der Not der Flüchtlinge zu begegnen? Setzen wir miteinander die richtigen Schritte, um den Obdachlosen Herberge zu geben, um bei unmittelbarer Not Abhilfe zu schaffen, um den Schutzsuchenden zu begegnen, ihnen beim Deutschlernen und bei der Integration zu helfen, um ihnen Schule und Ausbildung zu ermöglichen und um ihnen Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten zu vermitteln? Sind wir bereit, mit unseren Bekannten und Nachbarn zu diskutieren und Partei zu ergreifen für Flüchtlinge? Bringen wir uns auf politischer Ebene genug ein, damit eine christliche Politik der Solidarität und der Nothilfe gemacht wird? Machen wir genügend Druck, damit die unseligen und totbringenden Waffenlieferungen in den Krisenregionen eingestellt werden und damit auf diplomatischem Weg alles getan wird, damit in diesen Krisenregionen der Friede einkehrt? 

So viele Fragen! So viele Herausforderungen! Aber wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott uns nicht vergessen hat. Er wirkt in der Geschichte, auch durch das Kommen der Flüchtlinge. Durch ihr Kommen werden uns die Augen geöffnet für die Not in ihren Herkunftsländern. Durch ihr Kommen werden wir herausgefordert, aufzuwachen und die Wirklichkeit der Welt ernst zu nehmen. Wir sind verantwortlich für das gemeinsame Haus, in dem wir leben, für den Planeten Erde! Und diese Verantwortung gilt es voller Gottvertrauen inmitten von Krisen zu leben. 

Weil Gott uns nicht verlässt, können wir ihn - mit den Worten des Paulus in der heutigen zweiten Lesung - darum bitten, dass unsere Liebe „immer noch reicher an Einsicht und Verständnis wird, damit wir beurteilen können, worauf es ankommt.“ Ja, als Christinnen und Christen dürfen wir hoffen, dass Gott uns bei unserem Nachdenken, unserem gemeinsamen Planen und Arbeiten beisteht. Und wir dürfen dankbar wahrnehmen, dass wir nicht allein sind. Wir können uns verbünden mit anderen gesellschaftlichen Kräften, die sich für die Flüchtlinge und für Frieden und Lebensmöglichkeiten in ihren Herkunftsländern einsetzen. Durch die Krise kommt keiner allein. Miteinander und durch Gottes Hilfe wird es gelingen!

 

P. Dr. Franz Helm SVD