Fest der Hl. Familie (A)

Predigtimpuls

Das Heil der Völker

Lesung: Sir 3,2-6.12-14 (Sir 3-7.14-17a)
Evangelium: Mt 2,13-15.19-23

Die Menschheit Jesu ist die Offenbarung des Heiles Gottes. In den Aussagen über die Niedrigkeit Jesu zeichnet Lukas als Gegenüber zur menschlichen Eigenmächtigkeit und Selbsterhörung den Weg des Heiles Gottes, der sich im Leben Jesu zeigt. Seine Menschwerdung bedeutet Sendung des Retters. In ihm ergeht das Heilswort Gottes an die Unheilsgeschichte der Völker. So muss man wohl die Texte über die Menschwerdung und die Menschheit Jesu lesen. Sie sind nicht neutral oder gar erbaulich, sondern stellen seine Niedrigkeit in der konkreten Geschichte der Welt dar. Sie tragen alle das Moment der Unscheinbarkeit und Schwäche des Kindes. 

Das wird überdeutlich in der Offenbarung Jesu im Tempel zu Jerusalem. „Das Licht zur Erleuchtung der Heiden“, das Gott vor allen Völkern sichtbar werden lässt, wird als unscheinbares Kind in den Armen des Simeon dargestellt. Das universale Heil erscheint in einer kleinen, erniedrigten menschlichen Gestalt, aber zugleich als Macht, als Verwirklichung und Verdichtung dessen, was in den alten prophetischen Texten bei Jesaja beschrieben wird (Jes 52,7-10); Gott ist der König Israels auch in seiner Niedrigkeit und Verbannung. Er kehrt heim auf den Zion, das zerstörte Jerusalem wird erlöst und erneuert, und das geschieht vor den Augen aller Völker. Die Heilszusage Gottes umgreift ein Doppeltes. Sie ist eine Neuoffenbarung Gottes in seiner Einzigartigkeit, vor der alle heidnischen Götter verblassen; und es ist eine Kundgebung seiner Macht in der Geschichte. Beides ist aufeinander bezogen. Nach alter Auffassung sind die Gottesvorstellungen und Götter eines besiegten Volkes dem Gott des Siegers unterworfen. Darum wurde die politische Niederlage zur Glaubenskrise, das Volk war in seiner Überzeugung und seiner Glaubenskraft gebrochen. Heil, Rettung im umfassenden Sinn, musste sich deshalb durch einen Wandel in der politischen Macht anzeigen, wie es bei den Propheten im Auftreten des persischen Großkönigs Kyros geschah; aber dass dieses Geschehen in der Völkerwelt in seiner Bedeutung als Befreiungstat Jahwes für Israel verstanden wurde. Dazu brauchte es eine Offenbarung Gottes. Nur so konnte der wankende, verkümmerte Glaube in Israel zu neuem Leben erweckt werden. 

Denn nachdem die selbstverständliche Identität der Nation Israel mit dem erwählten Gottesvolk zerbrochen war, brauchte es eine neue Glaubensschau, um in dem heidnischen Eroberer Kyros „den Gesalbten Jahwes“ zu erkennen. Es zeigt sich hier, dass die Geschichte ebenso wenig wie die Natur ohne das offenbarende Gotteswort und den sich ihm öffnenden Glauben zum Zeugnis für Gottes Walten wird. Darum wird Israel ein blinder und tauber Zeuge genannt, blind und taub für das Walten Gottes, solange ihm nicht die Augen geöffnet werden, und es wird doch gerade in dieser Situation von Gott zum Zeugen für die Völker, d. h. für die Heiden, erwählt. Israels Mission in der Völkerwelt beginnt also genau da, wo es am tiefsten Punkt seiner Macht und seines Glaubens angelangt ist. 

Nochmals verwirklicht werden dieser Gedanke und diese Vorstellung in dem Kinde, das im Tempel dargestellt wird. Seine Funktion, sein Licht müssen gedeutet werden. Da werden die Niedrigkeit und Schwachheit des Kindes zum Zeugnis für die Allgewalt Gottes. Die Erkenntnis wird zur Wende für das Volk Israel. Es versteht sein Heil und seine Aufgabe damit neu. In der unheiligen Erde Babylons, im fremden Land erlebt Israel die Universalität seines Gottes: Himmel und Erde, der ganze Kosmos ist von ihm geschaffen. Er ist am Werke in allen Völkern, aber sein Wirken und sein Licht müssen aufgezeigt werden. Das sind die Aufgabe und die Sendung dieses Kindes. Die neue Erkenntnis aber, dass Jahwe nicht nur der König Israels, sondern Weltenkönig ist, wird zum Auftrag. Israel hat seinen Zeugendienst in der Heidenwelt zu leisten. Das Gericht und die Erniedrigung, die Schwachheit des Glaubens wird zum Neuanfang, zur Berufung für die Mission unter den Völkern Dieser neugewonnene Glaube und das erstarkte Vertrauen haben neben ihrer religiösen und vergeistigten Tiefe eine ganz konkrete Aufgabe und Gestalt. Sie bedeutet die politische Befreiung Israels, die Heimkehr aus der Verbannung und den Wiederaufbau des Tempels. 

Das Heil in der neuen Offenbarung Gottes wird im heutigen Evangelium gedeutet und erwächst wie in Israel aus der Schwachheit, wird dann aber zur Bedeutung für alle Welt. Es bedarf aber der Öffnung der Augen durch die Menschen und die „Gerechten“. Durch den Sonntag und das Fest wird dieses Evangelium auf die Familie eingeengt. Hier wird in der Urzelle des Heils zunächst die Erniedrigung und die Gebrochenheit des Glaubens erfahren, aber auch der Weg durch die Hilfe des anderen und damit die neue Sicht von Heil und Geschichte, von menschlichem Geschehen und dem durchbrechenden Licht Gottes. In Israel wird wie in einem Modell die Geschichte Jahwes mit seiner Welt durchgespielt. Er zeigt sich in einer anderen und neuen Form, birgt dann aber auch für den Glauben den Weg zu allen Völkern. In Jesus wird diese Schwachheit des Glaubens und der Hoffnung der Menschheit bis in eine letzte Schwachheit und Erniedrigung dargeboten. Auch hier wird das Heil dann für alle Menschen und alle Welt in einer neuen Blickrichtung offenbart. Die Befreiung des Menschen liegt darin, dass er sein Heil annimmt aus der Erniedrigung Jesu. Das Kreuz offenbart dabei die letzte Zuspitzung und die äußerste Dichte und Tiefe des göttlichen Heilswillens. Das ist aber nicht sogleich sichtbar und erkennbar. Es muss gedeutet werden, dass auch in der Erniedrigung und im Leid sich Gottes Licht bricht. 

So wie hier das Leben Jesu in die Familie eingebettet ist, so ist jedes Leben in einer Familie eingefangen. Hier findet es Anker, aber auch seine Deutung und seine Zielrichtung für das Licht. Das menschliche Leben, das Leben und Denken der Völker, bedarf der deutenden Worte der Offenbarung und der Ansage Gottes, damit in ihm, gesehen werden kann. Gesehen werden kann. 


Horst Rübel - [Anmerkung der Redaktion: Die von Horst Rübel verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1999; S. 402ff]