Liturgie vom Leiden und Sterben des Herrn – Karfreitag

Predigtimpuls

Crucifixus etiam pro nobis (Credo) Er wurde für uns gekreuzigt

1. Lesung: Jes 52,13 – 53,12
2. Lesung: Hebr 4,14-16; 5,7-9
Passion: Joh 18,1 – 19, 42

Das Ereignis des Karfreitags ist ein Geheimnis, das wir nie begreifen werden. Wir sollten erschrocken vor dem Gekreuzigten stehen und leise sagen: gekreuzigt auch für mich. Wieso? Warum? 

Dazu einige Gedanken, die zunächst den göttlichen Heilsplan, dann die Erfüllung desselben durch Jesus und zuletzt unsere Reaktion darauf betreffen.

Der göttliche Heilsplan 

Die Bibel berichtet uns, dass Gott die Welt gut gemacht hat. Doch durch die Sünde wurde sie verkehrt. Dabei hat es aber Gott nicht belassen: er machte eine Verheißung, die besagt, dass ein Retter als Schlangenzertreter kommen werde. Die gleiche Verheißung wiederholte sich im Laufe der Geschichte, und so wissen wir, dass aus dem Geschlechte Davids dieser Heiland kommen werde. 

Darauf bezieht sich die Botschaft des Erzengels Gabriel, der sagte, dass Mariens Sohn den Thron Davids einnehmen werde und dass sein Name Jesus, das heißt: „Gott rettet“, sein wird. Die Frage ist nur, wie dies geschehen soll. In der Folge zeigte sich, dass er nicht wie weltliche Herrscher auftreten wollte. Schon bei seiner Geburt in Betlehem wurde er in einen Stall als Ausweichquartier verwiesen. Bald kam die Flucht nach Ägypten, danach ein Leben wie bei jedermann in einer Kleinstadt bis zum vollendeten Mannesalter. Hiernach das Leben eines mittellosen Wanderpredigers, in dessen Begleitung ungebildete Fischer sich befanden. Seine Ansprechpartner waren nicht die maßgeblichen Leute von damals, sondern die Armen, die Sünder, die Kranken und Randgestalten. Dies führte zur Feindschaft mit der Obrigkeit und schließlich zum schmählichen Tod am Kreuz. Und so musste es kommen nach dem Plan Gottes. Denn es sollte sich zeigen, dass die Unwissenheit und Bosheit der Menschen nur durch die Lebensweise Jesu verändert werden kann. Sünde wird überwunden durch Austragen derselben, durch Verstehen der Sünder und durch grenzenloses Verzeihen. Dies ist die göttliche „Pädagogik“, wie sich die alten Kirchenväter ausdrückten. Ihr haben sich künftig alle zu unterwerfen, und so werden sie Heil und Rettung finden. 


Jesus verweigert sich nicht 

In keinem Augenblick seines Lebens hat Jesus gegen diesen Plan Gottes rebelliert. Mit dem Psalmisten (40,9) sagte er: Siehe, ich komme, deinen Willen zu erfüllen (Hebr 10,9). Er lebte darum in Armut und totaler Hingabe an die Menschen, wissend, was auf ihn zukam. Davor graute ihm mehrmals, zuletzt im Garten Getsemani (Lk 22,44), wo er rief: Vater, wenn es möglich ist, lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Aber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen. – Und so ergab er sich freiwillig seinen Mördern, die ihn schamlos misshandelten, ihm die Ehre raubten und ihn schließlich dem Kreuzestod überantworteten. Bei dieser bestialischen Hinrichtung, die darin bestand, den Verurteilten allmählich ersticken zu lassen (wegen Verkrampfung der Brustmuskeln), schrie er zu seinem Gott: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Doch kein Gott war sichtbar. Der Himmel verfinsterte sich. Die Erde bebte und gab ihre Toten heraus. Und er betete: Vater, in deine Hände lege ich jetzt meinen Geist (Lk 23,36; Ps 31,6). Mit diesen Worten hauchte er seinen Geist aus. 

Diesen entsetzlichen Vorgang nennt der Evangelist Johannes die Erhöhung und Verherrlichung Jesu. Unglaublich! Und doch, so steht es da (3,14; 12,34; 8,26; 12,32). Kurz gesagt: wenn Jesus über der Erde am Kreuze erhöht ist, wenn er seinen Feinden verziehen hat, wenn er bekennt, Gottes Auftrag erfüllt zu haben. Genau in diesem Augenblick ist Gott die Ehre wiedergegeben, die ihm gebührt, und ist die Sünde vergeben, die den Menschen von Gott trennt. Als Versöhner von Erde und Himmel hing er am Kreuz, mit den Armen die ganze Welt umfassend. Und so herrscht er als König über alle. 

Der anerkannte Theologe Schwier hat dies folgendermaßen ausgedrückt: „Was besagt ,der Gekreuzigte‘? Es meint den, der Gott sein Leben für uns angeboten hat, der uns angenommen hat, indem er uns in unserer Schuld und Sünde, in unserer Ungerechtigkeit und Selbstgerechtigkeit und deren verderblichen Taten in Liebe ausgehalten und auf sich genommen hat… Die vergebende und uns in unserer Sünde tragende Liebe hat den Tod besiegt, und der Sieger lebt nun uns nahe aus Gottes Macht“ (Stundenbuch, Lekt. II, 1,114f).

Was dachten die Anwesenden? 

Da gab es Leute, die dieser Exekution beiwohnten wie einem Spektakel und sie mit lästerlichen Reden kommentierten (Mk 15,29). 

Da waren auch Frauen, die Jesus von Galiläa gefolgt waren und von weitem zuschauten (Mk 15,40). Sie erlitten die Marter und Schmach ihres geliebten Herrn wie die eigene. Was sie noch zu tun gedachten, war, den Leichnam ehrfurchtsvoll zu salben. 

Auch gab es Männer, die total niedergeschlagen waren und resignierten, so die zwei Männer, die am Ostertag nach Emmaus gingen. Sie sagten: Wir hatten gehofft, dass er es sei, der Israel erlösen werde; doch die Hohenpriester und Führer haben ihn der Todesstrafe ausgeliefert. 

Und die Mutter Jesu? Sie stand da wie versteinert, wort- und regungslos vor der Gewalt des Schmerzes. Sie hörte zwar noch die Worte Jesu, die sie an Johannes als künftigen Schützer verwiesen, doch das Schwert, von dem einmal Simeon gesprochen hatte, das durchbohrte sie in dieser Stunde (Lk 2,35). Sie war wie tot.

Um diese Situation irgendwie begreifen zu können, scheint es mir nützlich, die Erfahrungen jener zu verwerten, die Hinrichtungen als Seelsorger begleiteten. Ich beziehe mich auf Kriegspfarrer im letzten Weltkrieg, von denen ein Buch erschienen ist (Mensch, was wollt ihr denen sagen…? Pattloch 1991). Sie schildern, wie sie die letzte Nacht mit den Unglücklichen verbrachten. Sie konnten nicht begreifen, dass diese wegen eines dummen Wortes oder einer sonstigen Kleinigkeit gleich mit dem Tode bestraft wurden. Diese starben in der Blüte der Jahre ohne Rücksicht auf ihre Familien. – Und die Pfarrer? Alle sagen, dass jetzt, nach 40-45 Jahren, diese Exekutionen sie nicht in Ruhe lassen. Man wird sprachlos vor solch einem Tod. – Ist Jesu Exekution nicht auch so ein Fall? Hingerichtet ohne Schuld, der Beste der Menschen? Wir sollten seinen Tod nicht verharmlosen oder verklären. Es bleibt Tatsache: er ist auch für mich, für dich gekreuzigt worden. Er war der Mann mit dem leuchtenden Herzen. (Ich denke an M. Gorki und die Erzählung von Danko.) 


P. Dr. Heinrich Dumont SVD - [Anmerkung der Redaktion: Die von P. Dumont SVD verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1992, S. 150-152]