2. Sonntag im Jahreskreis (A)

Predigtimpuls

Die Frage nach dem Sinn des Lebens

1. Lesung: Jes 49,3.5-6
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: 1Kor 1,1-3
Evangelium: Joh 1,29-34

Es gibt ein Thema, das immer und für jeden gültig und aktuell ist, ob reich oder arm, ob gläubig oder ungläubig, ob hoch begabt oder einfältig – es ist die Frage nach dem Sinn des Lebens. Die Kirche versuchte über Jahrhunderte den Menschen nahezulegen, dass sie die Spur kennt, die zu diesem Geheimnis einer sinnvollen Lebensgestaltung führt. Aber findet die Kirche mit ihren Impulsen aus Bibel und Liturgie und aus ihrer gelebten 2000-jährigen Glaubenserfahrung noch das nötige Echo, um einen Aufbruch in der von ihr vertretenen Richtung zu rechtfertigen? Wird ihr in dieser unserer Zeit der betonten Freiheit von jeder Bevormundung überhaupt noch Beachtung geschenkt? Als normgebende und richtungweisende Institution ist die Kirche für viele Menschen weitgehend bedeutungslos geworden. Wo früher durch Richtlinien und Glaubensunterweisung, durch Gesetze und Normen ein Verhaltensrahmen als hilfreich vorgegeben war, wird das heute als Einengung der persönlichen Freiheit und als Hindernis für die Selbstverwirklichung abgelehnt. Selbständigkeit und freier Wille jedoch stellen hohe Anforderungen an die Fähigkeit, eine gelungene individuelle Lebensgestaltung zu erstellen. Die Psychologen sagen, dies gehe mit einer erhöhten Verwundbarkeit des Einzelnen einher, weil die psychischen Strukturen keinen Halt mehr im Allgemeinen finden. Statt der Angst, Verbotsnormen nicht zu entsprechen, stelle sich zunehmend die Angst vor dem eigenen Versagen ein, begleitet von Zweifel und Depressionen. Die Psychotherapeuten haben es zunehmend mit Menschen zu tun, die es als beschämend erleben, nicht glücklich zu sein, weil sie glauben, das Glück sei machbar, und dass sie versagt haben, wenn es ihnen nicht gelingt, es herzustellen. 


In dieser nachweihnachtlichen Zeit, wo die Weihnachtslichter als Stimmungsverstärker längst erloschen, die gut gemeinten Geschenke vergessen und die Weihnachtsbäume entsorgt sind, versucht die Kirche mit ihren Hinweisen auf die Gegenwart des Herrn Licht und Anregung für die Gestaltung eines sinnvollen Lebens zu geben. Die Kirche steht dabei aber nicht als Gesetz- und Norm-gebende Institution bedrohlich im Raum, sondern als Vermittlerin der göttlichen Verheißung, die in der Menschwerdung des Erlösers an Weihnachten ihre Erfüllung gefunden hat, aber im Leben eines jeden und einer jeden Einzelnen ankommen muss, um als gestaltende Kraft und als Licht dem Leben Halt und Richtung zu geben. Für uns gilt: wo der Herr wirklich angekommen und aufgenommen ist, da schwindet dieser unausstehliche Druck, sich ständig vor einer erbarmungslos kritischen und anspruchsvollen Gesellschaft rechtfertigen zu müssen. Unser Leben ist ein Geschenk Gottes, versehen mit einem ungeheuer reichen Potential an geistigen Fähigkeiten, die sich aber erst in der Ausrichtung auf Gott voll entfalten können.

Die Kirche kann nur wahrnehmen, konkretisieren und weitervermitteln, was schon die Propheten mit großem Feingefühl erahnt und verkündet haben: Gott liebt die Menschen und ist ihnen nahe, und dies ohne Ausnahme, grenzenlos. Etwas davon ist schon angedeutet in der heutigen Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja, wo er von Israel als dem Träger des Heils spricht, das berufen ist, dieses Heil an die gesamte Menschheit weiterzugeben: „Ich mache dich zum Licht für die Völker, damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht“ – haben wir soeben gehört. Dieser Heilsträger hat in Jesus eine einmalige geschichtliche Gestalt gewonnen. Was in seiner Menschwerdung als das große Zeichen der Solidarisierung Gottes mit der Menschheit gefeiert und in den Worten „Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade“ (Lk 2,14) allen Menschen als bleibende Sinngebung für ihr Leben mitgegeben wurde, soll in jedem einzelnen Menschen konkrete Gestalt gewinnen. Im liturgischen Prozess des Kirchenjahres geschieht dies nun durch eine schrittweise Hinführung zur Begegnung mit diesem Jesus von Nazareth. Sein Wort und sein Handeln sind maßgebend, die Begegnung mit ihm wird zum großen Ereignis, der Anschluss an ihn in Glaube und Vertrauen schenken einen ganz neuen Zugang zu Gott und den Mitmenschen.

Was 30 Jahre hindurch an Jesus in der Stille einer Schreinerwerkstatt in Nazareth verborgen war, wird nun öffentlich und entwickelt sich zu einer Herausforderung für die Welt, die eine Neuorientierung für die Menschheit und ihre Geschichte mit sich bringt. Aber schon am Anfang des öffentlichen Auftretens Jesu, beginnend mit seiner Taufe im Jordan, zeigt sich auch, dass es Menschen mit spirituellem Tiefgang brauchte, um Jesus als den zu erkennen, der er war. Im Evangelium wird uns heute im Zeugnis des Johannes des Täufers ein Hinweis auf die wahre Identität Jesu gegeben. „Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinweg nimmt!“ - verkündet Johannes, als er Jesus begegnet. Johannes spricht in der Symbolsprache der religiösen Überlieferung seines Volkes und deutet damit an, dass Jesus mit endgültiger Konsequenz seine Solidarität mit der sündigen Menschheit durch die Hingabe seines Lebens wahrmacht und sie aus Sünde und Tod befreien wird. Ein Zweites, was nach dem Zeugnis des Johannes Jesus als den endgültigen Heilbringer ausweist, ist das Herabkommen des Hl. Geistes auf Jesus. Hierin wird seine göttliche Sendung und Bevollmächtigung, Welt und Menschheit vom Untergang zu retten, bekundet. Alles ist kurz und knapp im Zeugnis des Johannes zum Abschluss des heutigen Evangeliums zusammengefasst in den Worten: Ich habe gesehen und bezeuge – Er ist der Sohn Gottes.

Für uns als Christen ist das alles sehr bedeutsam und es ist auch durchaus angebracht, immer wieder daran erinnert zu werden, dass wir durch die Taufe auf den Namen dieses Jesus, den Johannes der Täufer als den Sohn Gottes ausweist, in den Prozess eines Wandels hin zu einem Leben in Gottes Gegenwart hineingenommen sind. Gott übernimmt die Initiative in diesem Wandel, der zur Neugestaltung unseres Lebens führt, aber ohne dabei unsere Freiheit für ein kreatives, sinnbezogenes Handeln zu verletzen. Mit der Taufe sind auch die Voraussetzungen für eine echte Kommunikation und einen fruchtbaren Dialog grundgelegt – einmal die Freiheit von Sünde und Schuld, womit eine geradezu unbegrenzte Offenheit und Aufnahmefähigkeit für Gottes Wort und Anregung gegeben ist. Ferner die Gabe des Geistes, den Jesus allen versprochen hat, die sich ihm in Glaube und Vertrauen anschließen und seiner Gemeinschaft angehören. Natürlich wäre es angesichts des Versagens so vieler auf den Namen Jesu Getaufter naiv zu glauben, dass der Weg von der ersten Begegnung in Wort und Zeugnis bis hin zu einer bleibenden, tief greifenden persönlichen Heilserfahrung in einem erfüllten christlichen Leben reibungs- und problemlos abläuft. Die Herausforderungen eines anspruchsvollen sozialen Umfelds und die Schwierigkeiten und Krisen in der individuellen Erlebniswelt stellen Anforderungen und bilden Hindernisse, denen sich auch der überzeugte Christ häufig hilflos ausgeliefert sieht. Sie machen den Weg zur Begegnung mit dem Sohn Gottes zu einem anhaltenden Prozess der Umkehr und Erneuerung.

Vielleicht ist dieser Erneuerungsprozess nachvollziehbarer und wirkungsvoller unter dem Aspekt der göttlichen Barmherzigkeit, die ja über ein Jahr im Fokus der Aufmerksamkeit aller Gläubigen gestanden hat und mit dem Ende des Jahres der Barmherzigkeit in keiner Weise bedeutungslos geworden ist, sondern weiterhin als gestaltende Kraft unser christliches Leben begleiten soll. Die Barmherzigkeit Gottes – so die Botschaft von Papst Franziskus, steht für Gottes Namen und bildet das Fundament eines christlichen Lebens. Sie ist auch der Schlüssel, der das Tor zum Verständnis des Geheimnisses „Mensch“ öffnet und zu einer Menschlichkeit führt, die gerade heute auf Versöhnung und Frieden in der Welt angelegt ist. Vor allem ein Christ weiß, dass es sich im Vollzug der göttlichen Barmherzigkeit um eine Berufung handelt, die sich nicht in Gedanken und Worten erschöpft, sondern in konkreten Taten zu einem Zeugnis dafür wird, dass ein Leben erst dann sinnvoll wird, wenn selbstlose Liebe, brüderlich-schwesterlicher Dienst und aufrichtiges Mitteilen als seine Grundbestandteile wahrgenommen werden.