27. Sonntag im Jahreskreis (A)

Predigtimpuls

„Damit uns das Reich Gottes nicht genommen wird“

1. Lesung: Jes 5,1-7
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: Phil 4,6-9
Evangelium: Mt 21,33-44

Uns allen ist die Redewendung bekannt: „Wie sag ich’s meinem Kinde?“ Dahinter verbirgt sich eine echte Sorge. Wir sind überzeugt, einem anderen etwas sagen zu müssen, was für ihn wichtig, ja entscheidend ist. Wir spüren, dass alles darauf ankommt, wie wir es sagen. Sagen wir es in einer unverständlichen Ausdrucksweise, dann vermag es der Angesprochene nicht zu erkennen, es wird ihm nicht einsichtig. Wir haben in den Wind gesprochen. Das kann uns nicht egal sein, gerade wegen der Situation des Angesprochenen. So zu einem anderen sprechen, dass es in den Wind gesprochen ist, wäre es dann nicht besser zu schweigen? In wichtigen, ja entscheidenden Situationen miteinander sprechen, d. h. so sprechen, dass Betroffenheit entsteht. Der andere muss in seiner Lebenssituation angesprochen sein, denn um ihn und seine Situation geht es. Den anderen in seiner Lebenssituation ansprechen, vielleicht um ihn daraus zu befreien, vielleicht um ihn darin zu bestärken. Damit er nicht aufgibt. 

Wir wollen uns in dieser Stunde zuerst von Jesus ansprechen lassen. Was er den Menschen zu sagen hat, ist im besten Sinne des Wortes entscheidend. Die Ersten, zu denen er gesprochen hat, waren seine Zeitgenossen. Er hat in ihre Situation hineingesprochen in Bildern, in denen sie sich selbst erkennen konnten. Er sprach von Situationen in denen die Angesprochenen vorkamen. 

Er brachte die Botschaft vom Gottesreich, von der Gemeinschaft Gottes mit den Menschen. Er hat das in Bildern und Gleichnissen getan. Viele dieser Bilder sind aus der Arbeitswelt – aus dem Leben – dieser Menschen genommen. Wir kennen die Gleichnisse vom Sämann, vom Fischfang, vom Hausverwalter, vom unbarmherzigen Knecht, vom gütigen Arbeitsherrn, der die Schulden erlässt, oder auch das Gleichnis von den bösen Winzern, das wir jetzt hören wollen. Aber sperren wir uns jetzt nicht gegen das Zuhören mit dem Argument, dass die Welt von heute in anderen Bildern sich darstellt. Ich glaube dieses Argument sticht nicht. 

In diesem Gleichnis ist die Geschichte Gottes mit den Menschen beschrieben. Der Weinberg des Herrn ist das Haus Israel, sagt uns der Prophet Jesaja. Am Tag der Ernte fordert der Herr die Frucht, aber die die Ernte abholen sollen, werden geprügelt und gesteinigt. Als der Sohn kommt, nicht um ein Strafgericht auszurichten, sondern um die Winzer zum Einlenken zu bewegen, wird er aus dem Weinberg hinausgeworfen und umgebracht. Dieser Sohn ist Jesus Christus selbst. 

In diesem Gleichnis erkennen wir den dramatischen Höhepunkt der Heilsgeschichte. Das Volk Gottes erkennt seinen Messias nicht und übergibt ihn dem gewaltsamen Tod. Die Konsequenz: Dieses Volk wird nicht ausgelöscht. Das Reich Gottes wird ihm genommen. Gott schafft sich ein neues Volk, das seine Früchte bringt, ein Volk aus allen Stämmen, Rassen, Nationen und Sprachen. Sein Name ist: Kirche. 

Bei diesem Namen horchen wir auf. Kirche: Es gibt sie! Es gibt sie ganz sicher, sonst könnten nicht so viele über sie schimpfen. Kirche, das sind auch wir, ob wir jetzt hören oder sprechen. Wir sind der neue Weinberg des Herrn. Wie ist es in ihm um die Menschen bestellt? 

Diese Frage zwingt uns, die Aussagen des Gleichnisses in unser Leben hereinzuholen. Damit steht die Eingangsfrage vor mir: „Wie sag ich’s meinem Kinde?“ 

Jesus Christus hat von sich selber gesagt, dass mit ihm das Reich Gottes zu uns gekommen ist. Er hat damit begonnen, die Gottesherrschaft in den Herzen der Menschen aufzurichten. Wenn sein Wort und sein Beispiel in den Menschen lebt, dann werden Früchte sichtbar, die seinen Erwartungen entsprechen. Die Menschen kommen dadurch zur Vollendung, dass sie Gott über sich herrschen lassen. Wenn wir uns in seine Verfügbarkeit begeben, werfen wir uns nicht weg, sondern bergen uns im Reich Gottes. Es ist wie mit dem Zaun, den der Herr um seinen Weinberg angelegt hat, um ihn vor Verwüstung zu schützen. Wenn der Herr uns in seinen Herrschaftsbereich holt, uns zu seinem Weinberg macht, dann haben wir die Chance, so heranzureifen, dass er uns ernten kann, um uns für immer bei sich zu bergen. 

Der Weinberg der Marxisten, den sie „Paradies auf Erden“ nennen, ist alles andere als ein fröhlicher Weinberg. Die Frage nach Gott ist unter marxistischer Unterdrückung nie verstummt. Eben weil, wo Lenin ist, nicht Bethlehem ist, wie Papst Johannes Paul glasklar formuliert hat. Darum bricht in marxistischen Ländern die Sehnsucht nach Bethlehem mit nicht mehr unterdrückbarer Sehnsucht auf. Aus Nova Huta, der ersten Stadt ohne Gott in der [ehemaligen] Volksrepublik Polen, ist längst eine Stadt Gottes geworden. 

Die übervollen Regale eines totalen Materialismus haben bei uns zu einer nie gekannten Sinnentleerung des Lebens geführt. Volle Regale können Gott nicht ersetzen. Lebenssinn kommt von ihm, darum suchen die Menschen neu nach ihm, bis hinein in die junge Generation. Der Hinauswurf Gottes, wie er auch versucht wird, ist kein Fortschritt, sondern Rückschritt, der die Menschen zuletzt an den Rand der Verzweiflung treibt. Beweise dafür müssen nicht erfunden werden. Die Menschen selber erbringen sie. 

Den Sohn, den der Herr schickt, über die Mauer werfen und töten, heißt innerhalb der Mauer der Unmenschlichkeit Tür und Tor öffnen. Dies sind zweifellos nicht die Früchte, die der Herr als Ernte möchte. Ein solcher Weinberg wird der Zerstörung anheimfallen. So lesen wir beim Propheten Jesaja: „Nun will ich euch sagen, was ich mit meinem Weinberg mache: Entfernen seinen Zaun, einreißen seine Mauer. Zu Ödland will ich ihn machen“ (Jes 5).

Der Weinberg wird zum Ödland. Wir sprechen von der Sinnentleerung des Lebens. Wie die Bilder sich gleichen! 

Damit stellt sich im Zusammenhang mit dem Gleichnis eine dritte Frage: „Könnte es sein, dass auch uns das Reich Gottes genommen wird?“ 

Was erwarten wir? Wir erwarten Freiheit, Glück, Gerechtigkeit, Frieden, Leben. Das alles kann hier sein. Wir können es erleben. Aber in welch brüchiger Form und wie befristet! Wir erhoffen Freiheit: uneingeschränkte Entfaltungsmöglichkeit für den Menschen, für alle Menschen, nicht nur für einige auf Kosten anderer, nicht nur für kurze Zeit. Glück: Mensch sein können ohne wenn und aber, mit Hoffnung leben können nicht nur selber, nein, auch andere in diese Hoffnung hineinführen, sich verschenkend ohne Neid. Gerechtigkeit: nicht jene kalkulierte, die exakt ausrechnet nach Schuld und Lohn bis auf viele Stellen hinter dem Komma, sondern Gerechtigkeit, die jedem das Lebensrecht und die Chance wahrer Brüderlichkeit freigibt. So bewegen mich im Zusammenhang mit dem Gleichnis vom Weinberg drei Fragen. 

Die erste Frage: „Kann der Mensch die Sache Gottes an sich reißen? Die Pächter wollten die ganze Ernte für sich behalten. Hätten sie überhaupt ernten können, wenn sie nicht die Chance gehabt hätten, einen Weinberg zu pachten? Die Lebensgrundlage, aus der sie etwas machen konnten, hatte ihnen ein anderer bereitet. Der Mensch verweigert sich Gott, weil er meint, sein eigener Herr sein zu müssen. Wohin führt das? Mir drängt sich hier der biblische Schöpfungsbericht auf. Die Menschen probten den Aufstand. Sie wollten sein wie Gott. Sie verloren ihren Lebensraum an der Seite Gottes und waren sich selbst überlassen. Genau das, was sie wollten. Die Konsequenzen waren katastrophal und hießen in ihrer letzten Zuspitzung Tod und Ausweglosigkeit. Dies ist kein biblisches Märchen, sondern erlebbare Wirklichkeit bis in diese Stunde. 

Wenn Gott dem Menschen die Chance des Lebens gibt und die Fähigkeit, sich als Mensch zu verwirklichen, reif zu werden, dann steht diesem Gott auch die Ernte zu. Wird sie ihm streitig gemacht, ist der Leidtragende der Mensch. Wen trifft es, dass die Winzer ihrem Herrn die Ernte verweigern? Die Boten des Herrn – also Menschen – werden erschlagen. Von diesen Schlägern heißt es: „Den Bösen wird ein böses Ende bereitet.“ Wo Menschen sich Gott verweigern, wird ihre Freiheit nicht größer, wohl aber die Verrücktheit übereinander herzufallen! Wenn Menschen sich selber unter den Nagel reißen, was Gottes ist, haben sie durchaus nicht mehr vom Leben. Das Abrücken von Gott wird zum Heranrücken an ein böses Ende. 

Da stellt sich vom Gleichnis her eine zweite Frage: 

„Was bringt das eigentlich, wenn die Menschen Gott aus der Welt hinauszuwerfen versuchen?“ Die Frage stellt sich, weil die Situation im Weinberg nicht Vergangenheit ist. Was Gott als äußersten Rettungsversuch für die Menschen getan hat, ist nicht gescheitert, weil sie den Retter hinausgeworfen und erschlagen haben. „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben – weil sie glaubten bessere Steine zu haben – ist zum Eckstein geworden. Das ist ein Wunder in unseren Augen.“ Der Mensch kann Gott nicht überwinden, wohl aber Gott den Menschen, und darin liegt unsere Rettung. Er kann unsere Herzen so bewegen, dass wir Antwort auf sein „Auf-uns-Zukommen“ geben und unsererseits auf ihn zugehen. 

Was wir erhoffen, ist im Grunde das, was nur Gott geben kann. Reich Gottes muss unter uns werden. So berichtet uns das Evangelium nach Lukas, wie Jesus in der Synagoge seiner Heimatstadt Nazaret gelehrt hat. „Als er aufstand, um vorzulesen, reichte man ihm die Buchrolle des Propheten Jesaja. Er öffnete sie und fand die Stelle, wo geschrieben steht: Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe. Dann schloss er die Buchrolle, gab sie dem Synagogendiener und setzte sich. Die Augen aller in der Synagoge waren auf ihn gerichtet. Da begann er, ihnen darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt“ (Lk 4,17-21). 

Jesus hat in seiner Heimatstadt nichts ausgerichtet. Das Reich Gottes wurde ihnen genommen. Wir kennen die Botschaft Jesu. Wir haben uns auf sie eingelassen, wir tragen den Namen Christen. Wir können das Reich Gottes unter uns erleben. Jeden von uns hat der Herr zu einem kleinen Weinberg gemacht, oder wenigstens zu einem Rebstock darin. Er wartet, dass wir Frucht bringen. In uns und durch unser Tun im Geiste Jesu ist die Gottesherrschaft zu errichten. Wenn wir uns diesem Gott verweigern, dann bringen wir uns selbst um das Reich Gottes. Die Konsequenzen werden mit schrecklicher Deutlichkeit am Zustand dieser Welt sichtbar. 

Christliches Abendland war einmal der Name für Europa. Als Kardinal Wyszynski bei seinem Besuch in der Bundesrepublik Europa die Aufgabe stellte, ein neues Bethlehem des Friedens zu werden, hat er wohl drastisch aufgezeigt, was zu tun ist, damit uns das Reich Gottes nicht genommen wird. Europa kann und muss mehr tun für die Welt, als Geld geben. 

Gott will das böse Ende der Menschen nicht. Das hat er in der Geschichte deutlich sichtbar werden lassen. Das böse Ende können nur die Menschen sich selber schaffen. Dann aber haben sie auch die Fähigkeit, es zu verhindern. Alles hängt ab vom christlichen Engagement des Einzelnen, von seiner Bereitschaft, im Geiste Jesu tätig zu werden. Daran führt kein Weg vorbei!

 

Pfr. Klaus Mucha - [Anmerkung der Redaktion: Die von Pfr. Mucha verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1999 S. 312-315]