28. Sonntag im Jahreskreis (A)

Predigtimpuls

Die Freiheit eines Christenmenschen

1. Lesung: Jes 25,6-10a;
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: Phil 4,12-14.19-20
Evangelium: Mt 22,1-14

Beim Themenkomplex „Reformation“ drängt sich meist der Glaubensbegriff auf. Bei verschiedenen Reformatoren selbst bildet der Begriff „Freiheit“ eine zentrale Rolle in ihrem theologischen Denken und Handeln. Beim Themenkomplex „Reformation“ drängt sich meist der Glaubensbegriff auf. Bei verschiedenen Reformatoren selbst bildet der Begriff „Freiheit“ eine zentrale Rolle in ihrem theologischen Denken und Handeln.

Eine ganz eigene, streng theologische Auffassung der Freiheit findet sich bei Martin Luther. Vor der inhaltlichen Konzeption soll an einigen Beispielen aufgezeigt werden, wie die Erfahrung der Freiheit bzw. Befreiung für Luther auf seinem Weg zum Reformator existentiell war.

Die Sicherheit seines Lebens fand er nicht mehr, wie es ihm die spätmittelalterliche Kirche nahelegte, im Gebrauch der kirchlichen Hilfsmittel, der Sakramente, im häufigen Messbesuch, in Wallfahrten, Gebeten, Askese, Mönchtum und anderen Hilfsmitteln, sondern allein in der Zusage Gottes. Gottes Wort allein ist gewiss, nicht die Heilsmittel, so nützlich deren Gebrauch auch sein mag. Gottes Verheißung nimmt der Mensch im Glauben an, dadurch wird er seines Heils gewiss. 


Freiheit zu biblischer Theologie

Diese neue Glaubensgewissheit verlieh Luther die Kraft, freimütig Stellung gegen die missbräuchliche und schändliche Ablasspraxis seiner Zeit zu nehmen. In der öffentlichen Auseinandersetzung erwies er einen erstaunlichen Mut und immer neue Einsatzbereitschaft zur Verteidigung der befreienden Wirkung des Evangeliums. Gegen den Ketzerprozess, der gegen ihn angestrengt wurde, unternahm er alles, um die „captivitas ecclesiae“, die Gefangenschaft der Kirche, aufzubrechen. Dies manifestiert sich insbesondere in seinen Schriften aus dem Jahre 1520. Die Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ brach mit der Vorherrschaft des Klerus in der Kirche und sichert mit der Wiederentdeckung des Priestertums aller Gläubigen das Recht der Laien auch zur Reform der Kirche. Die Schrift „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ wollte die Sakramente aus ihrer Verrechtlichung, Verritualisierung und Verdinglichung lösen und ihre Funktion als befreiendes und „sichtbares Wort Gottes“ wiederherstellen. Die Schrift „Vom Papsttum zu Rom wider dem hochberühmten Romanisten zu Leipzig“ griff die Machtausübung der Kirche, vor allem des Papstamtes an. Die Kirche ist nicht in erster Linie eine äußere Organisation, die Macht über ihre Gläubigen ausübt, sondern die Versammlung all derer, die im rechten Glauben, in der rechten Hoffnung und in der rechten Liebe leben. Seine neugewonnene Auffassung von der Freiheit legte Luther dann dar in der Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, über die gleich noch zu handeln sein wird.

Die Einleitung zu Luthers Traktat ist ein kleines Meisterstück. Er stellt zunächst die besondere Bedeutung des Glaubens heraus. Der Glaube ist nach Luther keine Tugend. Über ihn kann man recht nur schreiben, wenn man ihn erfahren hat. Die Themenstellung seiner Abhandlung kennzeichnet Luther durch ein berühmtes Paradoxon, das er der Schrift entnommen hat: 

„Der Christenmensch ist ein ganz freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.“
„Ein Christenmensch ist ein ganz dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“


Luther – der Freie

Luther war sich seiner Befreiung bewusst. Deutlich wird dies an einem kleinen Detail, nämlich der Änderung seines Namens von Luder, mit einem „d“ geschrieben, so wie es in seiner Familie üblich war, hin zu dem uns heute geläufigen Luther mit „th“. In der Zeit von November 1517 bis Januar 1519 unterschrieb Luther seiner Briefe mit „Eleutherius“. Im Griechischen und heißt dies der Freie, der Befreite. Es gibt gute Gründe, anzunehmen, dass Luther das „th“ aus Eleutherius, nämlich das griechische „theta“, anstelle des „d“ in seinen Namen aufgenommen hat, um sich als den Freien zu bezeichnen. 

Die Kraft, die diese Befreiung in Luther bewirkte, erwies sich nicht zuletzt deutlich in der wohlüberlegten Verweigerung des Widerrufs auf dem Reichstag in Worms 1521. Der kleine Mönch bäuerlich-bürgerlicher Herkunft berief sich vor Kaiser und Reich auf sein Gewissen, das gebunden sei durch Gottes Wort und Gründe der Vernunft. Dies war ein außergewöhnlicher Akt der Freiheit, indem ein einzelner seinem Wahrheitsgewissen folgte. Obwohl Luther wusste, dass nun die Reichsacht folgte, war er überwältigt vom Gefühl des Befreit-Seins. Augenzeugen berichten, wie er nach seiner Rückkehr in seine Herberge ausrief „ich bin hindurch, ich bin hindurch“.


Freiheitschrift

Was sich in Luthers Leben als Befreiung, als Haltung und als Tat äußerte, war das Ergebnis einer wohlgegründeten Theologie, die er selbst in einer Schrift zusammengefasste: Von der Freiheit eines Christenmenschen. 

Wer seines Heiles gewiss ist, der beginnt erst als Christ zu leben: Er kann alle seine Kräfte, seine Fähigkeiten, seine geistigen und materiellen Mittel einsetzten für den Mitmenschen. Er braucht n nicht zu befürchten etwas zu verpassen, denn für ihn ist grundsätzlich schon gesorgt.

So gibt es auch bei Luther die Notwendigkeit guter Werke.

Die Werke erforderlich, damit die Nächstenliebe verwirkt werden kann. Der Mensch lebt nicht für sich allein, sondern er ist verantwortlich für seinen Nächsten. Dieser Einsatz für den Nächsten soll aber wertfrei geschehen, d.h. man soll Werke gegenüber dem Nächsten nicht tun, um damit das eigene Heil verdienen zu wollen, sondern um des Nächsten selbst willen. Die guten Werke gegenüber dem Nächsten tut man nicht, um sich selbst damit zu retten, sondern weil der andere sie braucht. Alle Werke, die für den Nächsten, für eine Gruppe, für eine Gemeinschaft und für den Staat geschehen, sind notwendig und sollen aus freier Liebe geschehen. Werke sind nach Luther also zu tun, jedoch nicht zur Erreichung der Gerechtigkeit, sondern zum Dienst am Nächsten. 

Luther schreibt: „Deshalb kommen wir zu dem Schluss, dass ein Christenmensch nicht in sich selbst lebt, sondern in Christus und seinem Nächsten, oder er ist kein Christ. In Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe.“

Diese neue Glaubensgewissheit verlieh Luther die Kraft, freimütig Stellung gegen die missbräuchliche und schändliche Ablasspraxis seiner Zeit zu nehmen. In der öffentlichen Auseinandersetzung erwies er einen erstaunlichen Mut und immer neue Einsatzbereitschaft zur Verteidigung der befreienden Wirkung des Evangeliums. 

Die Kraft, die diese Befreiung in Luther bewirkte, erwies sich nicht zuletzt deutlich in der wohlüberlegten Verweigerung des Widerrufs auf dem Reichstag in Worms 1521. Der kleine Mönch bäuerlich-bürgerlicher Herkunft berief sich vor Kaiser und Reich auf sein Gewissen, das gebunden sei durch Gottes Wort und Gründe der Vernunft. Dies war ein außergewöhnlicher Akt der Freiheit, indem ein einzelner seinem Wahrheitsgewissen folgte. Obwohl Luther wusste, dass nun die Reichsacht folgte, war er überwältigt vom Gefühl des Befreit-Seins. Augenzeugen berichten, wie er nach seiner Rückkehr in seine Herberge ausrief „ich bin hindurch, ich bin hindurch“. 

Die Freiheit zur der Christus uns befreit hat, wurde von Luther derart neu entdeckt und ausgesprochen, dass es zu einer theologischen Reform, um nicht zu sagen zu einer Revolution der Kirche kam. All die Anstrengungen des mittelalterlichen Menschen, ihr eigenes Heil durch fromme Werke zu sichern, waren vergebliches Tun und Abwendung von den eigentlichen Aufgaben des Menschen. Das Heil nämlich hat Gott den Glaubenden in Christus bereits geschenkt. Die Menschen sind befreit von der Last, ihr Heil selbst wirken zu müssen. In der Erklärung zur 28. Heidelberger Disputationsthese von 1518 hat Luther dies unübertroffen formuliert: „Denn die Sünder sind deshalb schön, weil sie geliebt werden, sie werden nicht deshalb geliebt weil sie schön sind.“ 

Für Luther bedeutet die Befreiung des inneren Menschen nicht Rückzug in die Innerlichkeit. Eher das Gegenteil ist wahr, befreit von der Sorge um sich selbst, kann der Mensch all seine Kräfte nach außen einsetzen, um sich selbst gemäß der vorgegebenen Liebe Gottes zu gestalten, vor allem aber um sich für den Nächsten einzusetzen. Während das Wort Beruf im Mittelalter gleichbedeutend war mit Berufung im religiösen Sinn, erhält es in der Reformationszeit seine heutige Bedeutung, Bewährung im Alltag, in der Arbeit, in der Familie, im Staat, gegenüber dem Mitmenschen.

Luther schreibt: „Deshalb kommen wir zu dem Schluss, dass ein Christenmensch nicht in sich selbst lebt, sondern in Christus und seinem Nächsten, oder er ist kein Christ. In Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe.“

Prof. Dr. Rolf Decot CSsR