6. Sonntag im Jahreskreis (A)

Predigtimpuls

Aus der Liebe heraus unser Leben gestalten

1. Lesung: Sir 15,15-20 (16-21)
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: 1Kor 2,6-10
Evangelium: Mt 5, 17-37

Es wäre doch schon ein wenig anmaßend, wenn ich in meiner Aufgabe als Noviziatsleiter den Novizen sagen würde: „Ihr habt in unserer Ordensregel gelesen … ich aber sage euch…“ Zu Recht würden die jungen Männer fragen: „Wer bist du denn, dass du das Erbe unseres Ordensgründers so selbstmächtig auslegst und dich über unsere Lebensregel stellst…“ Aber genau das scheint Jesus heute im Evangelium zu tun – und das gleich dreimal:

Ihr habt gehört: Du sollst nicht töten!“ – Getötet hat wohl noch keiner von uns. Gott sei Dank: das braucht sich wohl keiner vorwerfen zu lassen. Nein, Mörder sind wir nicht!

Ihr habt gehört: Du sollst nicht die Ehe brechen.“ – Die Ehe in Ehren zu halten, sie nicht zu brechen… darum haben sich die meisten wohl ein Leben lang bemüht. Auch hier brauchen wir uns nichts vorzuwerfen.

„Ihr habt gehört: Du sollst keinen Meineid schwören!“ – Einen Meineid schwört man doch hierzulande nur vor Gericht und damit haben viele auch noch nie was zu tun gehabt. Auch hier brauchen die meisten von uns sich nichts vorzuwerfen.

Wir könnten also beruhigt zur Tagesordnung übergehen, denn wir haben dem Gesetz Genüge getan. Wir könnten Gott danken, dass wir eigentlich keine schlechten Menschen sind und er mit uns im Grunde „einen guten Fang“ gemacht hat, wenn …, ja wenn Jesus nicht noch etwas hinterhergeschickt hätte und zwar dieses: „Ich aber sage euch…“ Diesem Jesus scheint das Gesetz nicht zu genügen. „Eure Gerechtigkeit muss größer sein“ sagt er. Er setzt gleichsam noch einen drauf:

Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein.“ – Jesus scheint keinen Unterschied zu machen zwischen einem Mörder und einem Menschen, der zornig ist auf einen anderen Menschen. Damit wird deutlich: den Zorn, den Groll, die Ablehnung, die wir gegenüber unserem Nächsten herauslassen, ist genauso mörderisch. - „Mobbing“ heißt eine moderne Variante.

Ich aber sage euch: Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen.“ – Jetzt wird die Luft dünn für uns, denn wer von uns kann schon behaupten, dass er das nicht schon einmal getan hat: einer feschen Dame oder einem hübschen Kerl hinterhergeschaut? Wer hat da vor Gott eine reine Weste? Wohl niemand. 

Ich aber sage euch: Schwört überhaupt nicht.“ – Zumindest für uns Priester und Theologen wird es jetzt eng: beim Antritt meiner Arbeit als Spiritual in der Diözese musste ich seinerzeit noch vor ein paar Jahren dem Bischof versprechen, alles im Sinne der römisch katholischen Kirche zu verkünden, dem Bischof und Papst treu und gehorsam zu sein.

Will Jesus uns mit diesem Evangelium also tatsächlich sagen, dass wir uns noch mehr anstrengen, uns noch mehr zusammenreißen müssen, noch mehr beten, noch mehr aufopfern, noch mehr verzichten sollen? Ist es das, was Jesus vom Menschen wirklich will: Spitzenleistungen im spirituellem Leben? Das glaube ich nicht. Jesus geht es nicht um eine Gesetzesverschärfung. Er will aber sehr wohl, dass wir den Wesenskern seines Evangeliums begreifen – und das ist die Liebe. Mit seinem „Ich aber sage euch“… zeigt uns Jesus, dass das Gesetz immer dann zu kurz greift, wenn wir die Liebe nicht höher einstufen, als das Gesetz. Denn Liebe verlangt mehr als legalistische Buchstabengerechtigkeit. Der Jesuit Willi Lambert sagt es so schön: „Liebe kann nicht beglichen werden wie finanzielle Schulden. Sie kann nicht sagen: Jetzt habe ich dich genug geliebt. Wir sind quitt – jetzt reicht’s mir mit dem Lieben. Genug jetzt! Das ist eine andere Sprache als die der Liebe!“ Vergessen wir nicht: Jesus brachte nicht den Codex, nicht das Kirchenrecht – er brachte das Evangelium: die befreiende Botschaft von der Liebe und Menschenfreundlichkeit Gottes.

Allein das Faktum, das wir Menschen Eide schwören müssen, ist doch ein Zeichen der Unwahrhaftigkeit in einer Gesellschaft, wo sich Menschen nicht aufeinander verlassen können. Jesus zielt aber auf eine generelle Wahrhaftigkeit und Echtheit im Leben eines Menschen – nicht nur, wenn er vor Gericht schwören muss. „Euer Ja sei ein Ja und euer Nein ein Nein!“ sagt er. – Menschen sollen sich auf das Wort des anderen verlassen können. Darum geht es. 

Wenn wir aus der Liebe heraus versuchen, unser Leben zu gestalten, dann werden wir befähigt, über das Gesetz hinauszuwachsen. Liebe und nicht das Gesetz – auch nicht das Kirchenrecht – macht uns fähig, den Rahmen der Gebote nach oben hin verantwortlich zu überschreiten. Ja, in der Tat: Liebe verlangt immer mehr, als die Gebote fordern können. Aber Liebe gibt dem Menschen auch immer mehr, als das Gesetz. So stimmt dann doch der gewagte Satz des Heiligen Augustinus: „Liebe, und dann tu, was du willst.“ Zu diesem Wagnis der Liebe lädt uns Jesus heute ein.

 

© Norbert Cuypers SVD