5. Sonntag der Osterzeit (A)

Predigtimpuls

Was der Kirche heute nottut

1. Lesung: Apg 6,1-7
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: 1Petr 2,4-9
Evangelium: Joh 14,1-12
Zum Kantilieren des Evangeliums: www.stuerber.de


Wem folgen wir eigentlich? 

Bestünde unser christlicher Glaube nur aus Geboten, Verboten und Regeln, wäre er schnell zu ersetzen und zu erledigen. Aber er ist in erster Linie doch auf den gegründet, der von sich sagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Wer ihm folgt, ist sicher und geborgen – und findet so zu dem Gott, der seiner Liebe zu uns Menschen immer treu bleibt. 

Die Aufgabe unserer Kirche ist es, dies den Menschen zu vermitteln und erfahrbar zu machen. Deshalb muss sie sich immer wieder erneuern und wandeln. In der Lesung hörten wir heute folgendes: „Brüder, wählt aus eurer Mitte sieben Männer von gutem Ruf und voll Geist und Weisheit; ihnen werden wir diese Aufgabe übertragen.“ Hier ist die Rede von Männern, die den Tischdienst, also die Caritas in der Gemeinde, übernehmen sollten. Heute sprechen wir in der Kirche wieder von den sogenannten „Viri Probati“. Gottesdienst, Verkündigung und Dienst am Nächsten gehörten schon immer für eine christliche Gemeinde zusammen. Auf den damaligen Konflikt in der Gemeinde haben die Apostel mit einer konkreten Entscheidung geantwortet. Und wir heute? Wie gehen wir mit den Herausforderungen unserer Zeit um, mit den Nöten im kirchlichen und pastoralen Bereich?

Verpflichtung zu Kontinuität und Verbundenheit mit dem Ursprung 

Die Verbundenheit mit der Tradition (oder besser: Traditionen) ist sicherlich wichtig und erhaltenswert. Aber doch nicht um jeden Preis, meine ich. Wir müssen immer die aktuelle Situation vor Ort mitbedenken. Welchen „Typ“ von Priester, Diakon, Pastoralreferentin und -referenten, Gemeindereferentin und -referenten, von Ordensleuten und von engagierten Laien brauchen wir heute? Welche Zulassungsbedingungen für die vielfältigen Aufgaben in der Gemeinde sind heute gefordert, notwendig und sinnvoll? Wo müssen wir unbedingt umdenken und Neues zur Sprache bringen und zu realisieren wagen? Was man gemeinhin als „unumstößliche“ Tradition darstellt, ist ja auch nicht vom Himmel gefallen; hat sich entwickelt; es gab unterschiedliche Wege, Umwege und sogar Irrwege. Das war und ist doch nicht schlimm. Weit wichtiger und letztlich entscheidend ist doch, dass wir mit dem verbunden bleiben, der ausgesandt hat, und dem wir treu sein sollen. Da spielen Strukturen nur eine sehr untergeordnete Rolle. Aber das „kratzt“ offensichtlich am Selbstbewusstsein mancher Amtsträger und Frommen, die doch eine ungeheure Verantwortung übernommen haben; die einfach nicht anders können als sich beharrlich und bewahrend zu verstehen. Wenn ich mir da die Bibel und so einige Aussagen Jesu anschaue, komme ich zu einem anderen Schluss. Er hatte keine Schwierigkeiten, die oft festgefahrenen religiösen Traditionen zu hinterfragen und „außer Kraft“ zu setzen. Er wollte diese nicht einfach umstoßen, sondern setzte sie ins rechte Licht - um Gottes und der Menschen willen. Alles sollte dem einen Ziel dienen, dass die Menschen das Leben haben und es in Fülle haben (Joh 10,10b). Und diese Fülle hatte für ihn unbedingt mit Gott zu tun. Das scheint mir gerade für unsere heutige missionarische Situation ein entscheidendes Kriterium zu sein, dem wir mehr Beachtung schenken sollten. 


Offenheit für das Wagnis und für das Neue 

Die Jünger damals, die doch Jesus begleiteten und Zeugen all dessen waren, was er wirkte und wo er neues Leben schenkte, haben lange auch nicht recht verstanden, worum es Jesus eigentlich ging. Auch sie waren geprägt von ihren Traditionen, Wünschen und Plänen. Wen sollte das wundern! „Wohin ich gehe, den Weg dorthin kennt ihr,“ sprach Jesus – und mutete damit den Jüngern viel zu. Auch für uns wäre es gut und schön, wenn wir immer den Weg wüssten; wie es ausginge; ob das, was wir planen, auch richtig wäre. Es gibt ja Menschen, die eher risikobereit sind; andere, die überaus vorsichtig sind und lange abwägen; und wieder andere, die sich einfach hineinstürzen, ohne groß zu denken bzw. abzuwägen. Was bräuchten denn wir – h. h. unsere Kirche -, um angemessene und notwendige Erneuerungen anzugehen und neue Schritte zu wagen? „Prüft alles – und das Gute behaltet“ heißt es im Ersten Thessalonicher-Brief (1Thess 5,1-28). Da gibt uns Paulus eine ganze Reihe guter Ratschläge, die auch für uns heute bedenkenswert sind. Ein offener Austausch darüber, was diese dann konkret bedeuten könnten, würde uns ein ganzes Stück weiterführen und den Menschen näherbringen – und ließe uns nicht an überholten Strukturen und Traditionen ohne Leben „gläubig“ (hier im Sinne von „blind“) festhalten. 


Wer sagt: Du, Kirche, bist o.k.? 

In seinen Gebeten und Ansprachen ruft Papst Franziskus wiederholt auf, für »Überraschungen Gottes« offen zu sein, Mut zu haben und im Vertrauen auf Gott neue Wege zu gehen. Und er geht mit gutem Beispiel voran. Diese Überzeugung des Papstes, die einladend und zugleich ansteckend ist, dürfen wir ruhig mutiger aufgreifen. Doch allzu oft sind wir von Vorbehalten oder Ängsten blockiert, weil ja etwas schiefgehen könnte; wir könnten ja Wesentliches verlieren. Während meiner Studienzeit rief das Buch von Thomas Harris „Ich bin o.k., Du bist o.k.“ viel Beachtung hervor. Der Versuch, das Positive in mir und dem anderen zu sehen, stand im Vordergrund. Es ging darum, sich selbst besser zu verstehen und die Einstellung zu anderen verändern zu können. Die dahinterstehende Transaktionsanalyse rief aber auch Widersprüche und Kritik hervor – auch von katholischer Seite, wie z. B. mit der Erwiderung „Wer sagt: du bist o.k.?“ Wenn man dies nun auf die Kirche hin anwendete und fragte: Wer sagt dir, Kirche, du bist O. K. – so wie du bist und warst? - dann kommt man ins Schwitzen. Mir fallen etliche Situationen ein, in denen „Kirche“ sich nur verteidigte und Kritik und Veränderungen ziemlich weit von sich wies. Neue Wege könnten nur begangen werden, wenn sie erst einmal sehr gründlich angeschaut und mit vielen Vorbehalten und großer Vorsicht geprüft würden. Aber derweil gehen die Zeit, gehen Menschen mit ihren Fragen und Erfahrungen, gehen mögliche Neuerungen baden. So bleibt kein Platz mehr für Überraschungen von Seiten Gottes. Da täten etwas mehr Wagemut und Vertrauen auf Gottes Geist gut. Es geht um eine Balance zwischen Bewahren und Wagen und Aufbrechen, auch wenn nicht immer klar zu sehen ist, wohin es geht. Hat nicht auch Abraham, der Vater des Glaubens, eine solche existenzielle Erfahrung machen müssen – und sich darauf eingelassen? „Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Haus in ein Land, das ich dir zeigen will“ (Gen 12,1). Welches „Land“ will Gott uns und seiner Kirche heute zeigen? Wohin sollen wir uns aufmachen: in kritischen pastoralen Fragen, in der Ökumene, in den schwierigen Fragen der Ethik, angesichts so vieler Entwicklungen, die uns zu überrollen scheinen?


Der Geist Gottes weist uns neue Wege 

Der Geist Gottes ist es, der uns in alle Wahrheit einführt. Der uns behutsam oder auch sehr kraftvoll dahinführt, dass wir Jesus wieder als den Weg erkennen, der zum Leben führt. Er tut das aber nicht ohne uns, wir müssen schon mithelfen. Im Vertrauen auf diesen Geist legten die Apostel damals einigen die Hände auf. Das war ein Prozess. Als Menschen, die in die Geschichte eingebunden sind, befinden wir uns immer in einem Prozess. Dazu gehört dann: bitte auch vor-wärts-gehen (nicht rück-wärts gehen oder stehenbleiben!), nicht alles im Voraus endgültig geregelt haben wollen. An anderen Orten der Weltkirche gibt es schon viele Beispiele für gelungene Veränderungen. Wir müssen sie nur ernstnehmen und sie nicht nur aus unserer westlichen (oder römischen) Perspektive anschauen. Ich persönlich bin dankbar dafür, dass ich solche positiven Erfahrungen außerhalb Europas machen durfte. Und das gibt mir auch Zuversicht, mehr die Chancen im Heute zu sehen als die schmerzlichen Verluste, die sich aber in neues Leben wandeln können, immer oder mehr als Verhinderung von Neuanfängen vorzuschieben. Der Hl. Arnold Janssen hat dies nach langem Ringen auch erfahren und sich auf Gottes Geist eingelassen, während andere nur den Untergang sahen.


P. Heinz Schneider SVD