Pfingstsonntag (H)

Predigtimpuls

Angst, ein Existential menschlichen Lebens - überwunden durch den Geist des Vertrauens und der Freude

1. Lesung: Apg 2,1-11
Zwischengesang : www.antwortpsalm.de
2. Lesung: 1Kor 12,3b-7.12-13
Evangelium : Joh 20,19-23
Zum Kantillieren des Evangeliums: www.stuerber.de

Die Liturgie des Pfingstsonntags versetzt uns noch einmal um 50 Tage zurück an den Ostertag. Es ist derselbe Ort wie am Pfingsttag, jenes Obergemach in Jerusalem, in dem Jesus am Abend vor seinem Tod das letzte Mahl mit seinen Jüngern gefeiert hat. Angst, bleierne Angst liegt in der Luft, Todesangst. Die Türen verschlossen, die Herzen erstarrt, alle Hoffnung zertrümmert. Wie hatte nur geschehen können, was wenige Stunden zuvor passiert war? Das Unausdenkbare war eingetreten: Der, auf den sie ihre ganze Zukunft gebaut hatten, war nicht mehr. Neid, Hass, religiöser Fanatismus oder eiskalte Religionspolitik, je nachdem, wie man es betrachten mag, hatten mit seinem Leben alle hochfliegenden Pläne zerstört. 

Ja, Angst lag in der Luft; an die Oberfläche gespült durch diese jüngsten Ereignisse; Angst, wie sie jeder Mensch irgendwann kennenlernt. 

Angst ist, wie die Philosophen sagen, ein menschliches Existential. Kein Mensch, der gänzlich angstfrei wäre. Gleichsam wie ein Drache lauert sie auf dem Grund unserer Seele, jederzeit bereit, uns anzuspringen, wenn die Umstände ihr Raum geben.

Wenn wir fragen, was das für Ängste sind, ließen sich mit Blick auf unsere Gegenwart zunächst einmal die kollektiven Ängste nennen. Noch nie in unserer deutschen Geschichte ging es uns insgesamt so gut, waren wir so nach allen Seiten hin abgesichert gegenüber den Unwägbarkeiten des Daseins, und doch scheinen wir aus dem Krisenmodus einfach nicht mehr herauszukommen: Bankenkrise, Griechenlandkrise, Eurokrise, Terrorkrise, Ukrainekrise, Syrienkrise, Schuldenkrise: schließlich, uns schon annähernd drei Jahre fast täglich in Atem haltend: Flüchtlingskrise. 

All das löst Ängste aus: Angst vor Überfremdung; Angst, uns werde weggenommen, was wir uns so hart erarbeitet haben; Angst, ob wir es wirklich schaffen; Angst, ob die vielbeschworene Integration ausreichend gelingen werde; nicht zuletzt Angst vor Islamisierung. Daneben Angst wiederum der Flüchtlinge vor dem braunen Sumpf in unserer Gesellschaft, der Flüchtlingsheime anzündet; Angst christlicher Flüchtlinge vor Diskriminierung, Mobbing, psychischer und physischer Gewalt muslimischer Mitflüchtlinge und Wächter, die all jene Muslime in Misskredit bringen, die auf friedliche Weise bei uns Zuflucht suchen. 

Angst ist kein guter Ratgeber. Eine der aus meiner Sicht beängstigendsten Entwicklungen ist die Renationalisierung unseres Kontinents. Eines der größten Projekte der jüngsten europäischen Geschichte, nachdem man sich in zwei Weltkriegen gegenseitig massakriert hatte, nämlich das Nationale und die damit einhergehenden nationalen Egoismen zurückzustellen zugunsten einer gemeinsamen europäischen Unionspolitik, droht zu kippen, weil der Nationalismus fröhliche Urständ feiert. Polen den Polen, Ungarn den Ungarn, Österreich den Österreichern, Frankreich den Franzosen, Deutschland den Deutschen – nicht alle denken so, aber inzwischen, wie ich finde, zu viele. 

Nationalismus ist ein Ungeist, der unendlich weit vom Heiligen Geist entfernt ist, auch wenn Christen ihn vertreten. Weihbischof Puff aus Köln hatte es vor einiger Zeit m.E. gut formuliert, als er sagte, es stünde so manchen nationalen Bischofskonferenzen gut an, vom Schoß ihrer Regierungen herunterzuklettern. 

Pfingsten vor 2000 Jahren hat vor Augen geführt, dass der Heilige Geist sprachliche, nationale und kulturelle Grenzen überwinden hilft, um das Verschiedene im gemeinsamen Glauben an Jesus Christus zueinander zu führen. Nur das ist auch katholisch. Nationalismus ist restlos unkatholisch. Wo Muslime religiösen Fanatismus in unsere Gesellschaft hineintragen, gilt es, dies in Schranken zu weisen. Und diesbezüglich ist sicher noch einiges verbesserungswürdig. Aber der Heilige Geist, der einfach die Liebe ist, und nicht Liebe nur zu bestimmten Leuten, will uns helfen, die Hand auch über religiöse Grenzen hinweg auszustrecken. 

Neben all jenen Ängsten, die mit gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun haben, gibt es auch die, die jedes Menschenleben begleiten: Angst, nicht geliebt zu sein oder geliebte Menschen zu verlieren, Angst vor Ansehensverlust, Angst, etwas zu verpassen, Angst vor Krankheit, vor Altwerden, vor Leiden, vor Einsamkeit, Gewissensangst, wenn ich schuldig geworden bin; und über all dem die Angst vor dem Tod. 

Gibt es eine Medizin dagegen? Begeben wir uns noch einmal in das Obergemach in Jerusalem am ersten Tag nach dem jüdischen Pascha. Von einer Sekunde auf die andere ist alles anders. ER steht da, mitten unter ihnen. Sein „Ausweis“, seine Identitätskarte sind die Wundmale. Alles, was Angst macht in unserem Leben, was uns versehrt und verwundet, ist da, wird nicht verharmlost oder überspielt. Nein, es ist bleibend sichtbar, aber verwandelt. Er, der sich für uns hat verwunden lassen, um für uns alles zu verwandeln, will eintreten auch in unser Leben, in all unsere Ängste. ER, das Leben, hat alle negativen Mächte unseres Lebens samt dem Tod besiegt. 

50 Tage wird es dauern, bis sie verstehen, was hier geschehen ist; dass es keine Fata Morgana, kein Gespenst, keine Illusion ist, was ihnen hier begegnet. Er selbst ist es, Gott, der sich von und für uns hat verwunden lassen. 

Doch wie soll es weitergehen? Es ist der Heilige Geist, der endgültig die verschlossenen Türen aufsprengt und Petrus eine Predigt halten lässt, von der es am Ende heißt: Es traf sie mitten ins Herz. Diese Frohe Botschaft von dem ganz Neuen, das mit Jesus von oben, vom Himmel her in unser irdisches Dasein eingebrochen ist. Paulus formuliert es in seinem Brief an die Römer so: „Ihr habt nicht einen Geist empfangen, der euch zu Sklaven macht, so dass ihr euch immer noch fürchten müsstet, sondern ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Söhnen macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater!“ 

Es ist die Geburtsstunde der Kirche. Es ist die Geburtsstunde der Mission, der Aussendung, die Frohe Botschaft hinauszutragen bis an die Enden der Erde.

Hat der Geist ihnen die Ängste genommen? Sie im Sturm seines Kommens einfach weggeblasen? Nein, denn die Ängste, von denen wir Menschen heimgesucht werden, sind ja begründet. Sie gründen in der Fragilität unseres Daseins. Der Heilige Geist macht sie nicht inexistent. Aber was macht er dann? 

Ich denke, der geisterfüllte Mensch empfängt eine Kraft, die verhindert, zum Spielball all dieser Ängste und angstmachenden Sorgen des Lebens zu werden. Angst wird besiegt durch Vertrauen. Der Heilige Geist zeigte den Frauen und Männern, die um Maria im Abendmahlsaal im Gebet versammelt waren, ein Antlitz: das Antlitz des gekreuzigt-auferstandenen Herrn. Es ist nicht einfach die Kraft des positiven Denkens, sondern es ist ER, eine lebendige Person, Gott mit menschlichem Antlitz, der mir das Vertrauen gibt, dass am Ende alles gut wird; dass ich getragen bin auch in den schwierigen Situationen des Lebens. 

Und es ist noch etwas, wofür der Heilige Geist steht. Das Gegenteil von Angst ist neben Mut und Tapferkeit vielleicht noch mehr Freude. Wo der Geist Gottes ist, da ist Freude. 

Es ist oft so viel Freudlosigkeit und Verbissenheit in den Gesichtern so mancher Getaufter, so viel Überdruss, weil vieles in der Kirche nicht so ist, wie man es gerne hätte. Daher könnte eine gute Frage an sich selbst sein: Bin ich eigentlich voller Freude, dass ich nicht Hindu, nicht Buddhist, nicht Moslem bin, sondern das Privileg habe, Christ zu sein? Und zwar ohne jeden Überlegenheitsgestus, der alles zerstören würde, denn es ist ja überhaupt nicht mein Verdienst. Freue ich mich daher, getauft zu sein? Freue ich mich, an Jesus Christus glauben zu dürfen? Freue ich mich, an einen Gott, glauben zu dürfen, der nichts als Liebe, Barmherzigkeit und Güte ist, mich aber auch in meiner Freiheit ernst nimmt und für meine Lebensgestaltung zur Verantwortung rufen wird? Freue ich mich, dass er mich unsäglich liebt? Dass er mich erlöst hat? Dass er mir alle Schuld vergeben will? Dass er mich zu ewiger Gemeinschaft mit sich beruft? Freue ich mich, den Gottesdienst am Sonntag besuchen zu dürfen, und nicht als Pflichtveranstaltung, die einen schon ärgert, wenn sie länger als 60 Minuten dauert? 

In wem diese Freude ist, der kann gewiss sein, dass der Heilige Geist in ihm wohnt; dass er in mir alle Angst besiegen wird; dass er alles in meinem Leben gut machen wird. 

Das wünsche ich von ganzem Herzen: dass der Geist der Freude Sie erfülle.

Pfr. Bodo Windolf