Das Rosenkranzgebet – Hilfe zur Meditation

Rosenkranz

1. Woche

Kein Papst hat so oft über das Rosenkranzgebet in Enzykliken geschrieben wie Leo XIII. 1883 wies er daraufhin, was dieses Gebet im Leben der Kirche bedeutet hat. Rufen wir uns die Geschichte des Rosenkranzes innerhalb der Kirche ins Gedächtnis! Er entwickelte sich aus alten Formen der Begrüßung und Anrufung Mariens. Wir kennen den Grußpsalter von Pontigny im 12. Jahrhundert, nach dem Maria mit 50 oder 150 „Ave Maria“ oder mit dem Gruß Elisabeths angesprochen wurde. Diese Art der Begrüßung Mariens verband man mit Betrachtungen und Gebeten wie dem Vaterunser. Daraus entstand das Psalterium Beatae Mariae, das im 13. Jahrhundert ein Pflichtgebet der Beginen und marianischen Bruderschaften bildete. Die heutige Form des Rosenkranzgebetes geht auf die Kartäuser Dominikus von Preußen († 1427) und Adolf von Essen († 1439) zurück. In Trier vereinten sie 50 Ave-Maria mit 50 Betrachtungen zum Rosenkranz – einer Gebetsform, die außerhalb des Christentums weit verbreitet war und ist und sich von da auch bei den Christen ausbreitete und die Liebe vieler Beter gewann. Der Dominikaner Alanus de Rupe wandte sich gegen den Rosenkranz und trat für das Psalterium Mariae ein. Doch verhalfen schließlich die Dominikaner, später auch die Jesuiten, dem Rosenkranz zum Durchbruch. Prior J. Sprenger von Köln gründete 1475 die Rosenkranzbruderschaft. 1483 gab es bereits den Rosenkranz mit den 15 Geheimnissen wie heute. Das Gebet wurde durch die Päpste Sixtus IV., Pius V. und vor allem durch Leo XIII. gefördert. Den Sieg über die Türken in der Schlacht bei Lepanto 1571 schrieb man dem Rosenkranzgebet zu, und daher wurde zum Dank das Rosenkranzfest am Jahrestag der Schlacht (7. Oktober) eingeführt. In unserem Jahrhundert schrieb Pius XII. eine, Johannes XXIII. zwei Enzykliken über den Rosenkranz.  

Leo XIII. ging 1883 in zwei Enzykliken auf den Rosenkranz ein, lobte ihn, zeigte seine Bedeutung für die Kirche, verwies auf die Übel der Zeit und erinnerte an die Macht und Güte Mariens und schrieb wörtlich: „Deswegen richten Wir die dringende Mahnung an die Christen, sie möchten öffentlich oder privat zu Hause in der Familie das Rosenkranzgebet eifrig verrichten und es zu einer ständigen Gewohnheit werden lassen. Darüber hinaus aber ist es Unser Wille, dass der ganze Monat Oktober der himmlischen Königin vom Rosenkranz gewidmet sei. Wir bestimmen und gebieten darum, dass in der ganzen katholischen Welt in diesem Jahr das Fest der allerseligsten Jungfrau vom Rosenkranzfest besonders festlich und feierlich begangen werde; ferner sollen vom ersten Oktober bis zweiten November überall in allen Pfarrkirchen … wenigstens fünf Gesetze des Rosenkranzes mit der Lauretanischen Litanei andächtig gebetet werden …“ (Supremi Apostolatus, 1883). Auch Salutaris ille, 1883, und Superiore Anno, 1884, gehen auf den Rosenkranz ein. Der Papst sah im Rosenkranz einen Ausdruck beharrlichen Gebets, und Maria fordert dort, wo sie erschienen ist, zum treuen und beharrlichen Rosenkranzgebet auf Leo XIII. schrieb von 1891 bis 1898 jährlich eine Enzyklika über den Rosenkranz, zuletzt 1901, und legte eine Fülle von Gedanken dazu dar. Auch Papst Johannes Paul II. verdanken wir Anregungen zum Rosenkranzgebet, das eine gute Hilfe zur Meditation und eine liebenswerte Form des gemeinsamen Gebetes ist. Hier sollen einige Anregungen zum Bedenken folgen. 


1. Woche: Erfahrungen mit dem Rosenkranzgebet 

Liebe oder Abneigung bilden sich aufgrund der äußeren Erfahrungen mit dem Rosenkranzgebet. In meiner Kindheit war es zu Hause ein ungeschriebenes Gesetz, dass wir täglich am Oktober-Rosenkranz in der Kirche teilnahmen. Das Gebet war für uns zu lang, doch fanden wir es als erträglich, weil wir abwechselnd vorbeten durften. Die Abenteuer auf dem Kirchweg machten den Rosenkranz anziehend. Eine weitere Erinnerung knüpft an den Rosenkranz: Wir Kinder besuchten in den Ferien regelmäßig eine klösterliche Tante und erlebten es, dass beim Kartoffelschälen, Bohnenschnippeln und dergleichen der Rosenkranz gebetet wurde.  

Während des Krieges beteten wir den Rosenkranz häufig im Luftschutzkeller, was uns innere Ruhe verschaffte, wenn die Motore der Flugzeugverbände dröhnten oder in der Nähe Bomben fielen. Zu Hause beteten wir in jenen Jahren der Gefahr und Not, auch noch nach dem Krieg, täglich gemeinsam den Rosenkranz, zumal mein Vater Kriegsgefangener war. Viele Frauen beteten unentwegt den Rosenkränz um gute Heimkehr ihrer Männer oder Söhne aus dem Krieg. Es kam vor, dass eine Frau den Rosenkranz so sehr als Wundergebet betrachtete, dass sie ihn nie mehr anrührte, nachdem ihr Sohn gefallen war- als hätte der Rosenkranz versagt. Schon mehr als ein Seelsorger hat davon gesprochen, dass er auf dem Weg zu ihm anvertrauten Menschen, besonders bei Versehungen, den Rosenkranz gebetet hat. Um gleichsam seine geistliche Hilfe vorauszuschicken. Wer erinnert sich nicht an das gemeinsame Rosenkranzgebet unterwegs bei Prozessionen, Beerdigungen, Wallfahrten und an Wallfahrtsorten – oder an den Betten sterbender Menschen? Aus all diesen Erlebnissen und Erfahrungen ist bei vielen die Liebe zum Rosenkranz erwachsen, da der Rosenkranz doch sehr mit unserem Schicksal verbunden ist. Mir jedenfalls ist er seit frühen Tagen ein ständiger lieber Begleiter. Manchmal hörte ich Stimmen gegen den Rosenkranz. Er sei überholt, eintönig und langweilig, im Vergleich zur Meditation oder zu biblischem Beten auch ein wenig primitiv. Man habe ihn Leuten, die nicht lesen konnten und die Heilige Schrift nicht kannten, zumuten können. Für junge Menschen unserer Zeit sei der Rosenkranz wirklich eine Zumutung, es sei weitaus besser, sie in die Psalmen einzuführen. Nun, wir sollten das eine tun und das andere nicht lassen: es hat sich nämlich erwiesen, dass es auch unter den heutigen jungen Gläubigen solche gibt, die den Rosenkranz mögen und beten, und zwar wegen seines meditativen Charakters. Ständige Wiederholungen, wie sie der Rosenkranz und unsere Litaneien kennen, werden heute keineswegs immer als eintönig empfunden. Beobachten wir doch Leute bei Demonstrationszügen: Sie gehen in geschlossenen Formationen und rufen unentwegt dieselben Forderungen, um ihnen unwiderstehlichen Nachdruck zu verleihen. Pop- und Rockmusik leben geradezu von stereotypen Wiederholungen: moderne Schriftsteller wenden zwischendurch einen litaneiartigen Stil an. Somit ist auch das Wechselgebet aktuell geblieben und keineswegs unmodern und veraltet. 

Schauen wir auch auf den Rhythmus des Rosenkranzgebetes, das ja durchaus keine christliche Erfindung ist, sondern aus uralter Tradition lebt und sogar im Rhythmus des Atmens die natürlichen Gesetze der Meditation einhält. Sogar Goethe hat aus natürlicher Erkenntnis dazu etwas zu sagen:

Im Atemholen sind zweierlei Gnaden:
Die Luft einziehn, sich ihrer entladen.
Jenes bedrängt, dieses erfrischt.
So wunderbar ist das Leben gemischt.
Du danke Gott, wenn er dich presst,
und dank ihm, wenn er dich wieder entlässt.
(West-Östlicher Divan)

Bedenken wir doch die äußeren, sinnlichen Dinge mit; denn Beten ist nicht eine rein geistige Angelegenheit, sondern Tun des ganzen Menschen mit Leib und Seele, mit Sinnen und Geist. Gott und Mensch, Himmel und Erde begegnen sich im Gebet. Vergessen wir deshalb die Erde nicht.

 

Pfr. Alfons Bungert - [Anmerkung der Redaktion: Die von Pfr. Bungert verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1985; S. 491-494]