Das Rosenkranzgebet – Hilfe zur Meditation

Rosenkranz

2. Woche

Verweilen in der Lebenssphäre Mariens 

Obwohl wir beim Rosenkranz meistens Maria ansprechen, steht doch Jesus Christus im Mittelpunkt des Gebetes. Auf ihn geht in Gemeinschaft mit der Mutter des Herrn unser Blick. Also entspricht der Rosenkranz ganz dem Leben der Gottesmutter, das ja auch völlig auf Jesus und durch ihn auf Gottvater bezogen war. Betrachten wir die fünfzehn Geheimnisse des Rosenkranzes, wie sie uns überliefert sind, dann sehen wir, was das Leben Mariens ausmacht und erfüllt. Maria haben wir vor Augen als betende, für Gott restlos geöffnete und bereite Frau, als eine große Liebende, die nur Gott als Geliebten kennt. Gott muss seine Ansprüche auf Maria nicht nachdrücklich geltend machen. Maria gehört ihm schon längst, als er seine Hand auf sie legt und sie zu seinem besonderen Eigentum (darin vergleichbar mit Israel) macht. Maria glaubt an Gott mit einer Dichtigkeit, die dank der Gnade Gottes nicht das geringste Un- und Widergöttliche einlässt und unter allen Menschen nicht ihresgleichen hat. Glaube heißt, Gott gehören und nach seinem Willen mit ihm in Gemeinschaft leben. Die Gemeinschaft mit Gott wird bei ihr einmalig; schenkt sie doch dem Sohn Gottes in ihrem Mutterschoß seine menschliche Existenz und nimmt alle Konsequenzen, die das hat, bedenkenlos, weil innigst vertrauend, auf sich. Matthäus und Lukas lassen uns ahnen, dass mit der Geburt des Herrn für Maria Sorgen und Demütigungen verbunden sind. Da diese um Gottes willen auf Maria zukommen, freut sich Maria und frohlockt wie alle Späteren, die um Christi willen verleumdet und verfolgt werden. In der Schwangerschaft also beginnt das Martyrium der Mutter mit ihrem Sohn, das über die Weissagung Simeons, den Verlust Jesu im Tempel und zu Beginn seiner öffentlichen Tätigkeit, die Anfeindungen ihres Sohnes und seinen Kreuzweg unters Kreuz und mit Christus in den Tod führt. Das Schwert, das laut Simeon Mariens Seele durchdringt, ist nicht ein bildhaftes Symbol, sondern reale Wirklichkeit und bringt in Wahrheit den Tod mit dem Herrn, wie wir ihn – damals unbewusst – mit Christus in der Taufe gestorben sind, um für die Sünde tot zu sein. Maria hat, anders als wir, dieses Sterben intensiv als furchtbaren Schmerz empfunden. 

Lassen wir das Leben des Glaubens, wie wir es bei Maria erkennen, als Martyrium mit Christus an uns vorüberziehen. Schmerzen und Leiden sind nur eine Seite dieses Martyriums. Seinem Wesen nach ist das Martyrium nicht schlechthin Leiden, sondern das Auftreten als Zeuge, als Zeuge für Christus. Die Erfahrung der Liebe zeigt seit den Tagen des Herrn auf Erden, dass seine Zeugen auf Erden selten geehrt, häufig verlacht und von allen Feinden Jesu verfolgt werden. Ein jeder Christ ist ein beauftragter Zeuge des Herrn, der seinerseits der einzigartige Zeuge Gottes und der strahlenden Herrlichkeit Gottes ist und Zeugnis ablegt, damit die Menschen an Gott glauben und ihn als den Höchsten und Liebenswertesten loben und preisen. Der Lobgesang Marias, das Magnificat, liegt genau auf dieser Linie, und so kann der Rosenkranz, der uns auf Maria und durch sie auf Christus schauen lässt, alle für unser Zeugnisamt wichtigen Lehren erteilen. 

Der Tod hat genausowenig wie der Teufel das letzte Wort. Gott hat den gekreuzigten Herrn Jesus Christus von den Toten auferweckt und zu seiner Rechten erhöht! So lautet die einhellige Aussage der Zeugen Jesu, die ihren Glauben an die Auferstehung im Umgang mit dem Auferstandenen gewonnen haben und nun bekunden, damit auch wir glauben und an der Auferstehung Christi teilhaben dürfen. Das Rosenkranzgebet ehrt Maria als die, die vor allen anderen an der Auferstehung und dem Leben ihres Sohnes in Herrlichkeit ihren Anteil bekommen hat und uns nun bestärkt in der Hoffnung, dass der Herr uns ebenso zum gleichen Ziel führen wird, vorausgesetzt, unsere Einstellung zum Leben insgesamt gleicht mehr und mehr der Einstellung Mariens. Wie gut kann der Rosenkranz zu diesem Ziel hin auf uns einwirken! 


Pfr. Alfons Bungert - [Anmerkung der Redaktion: Die von Pfr. Bungert verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1985; S. 491-494]