Hochfest des heiligsten Herzen Jesu (B)

Predigtimpuls

„In der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet“

1. Lesung: Hos 11,1.3-4.8a.c-9
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: Eph 3,8-12.14-19
Evangelium: Joh 19,31-37
Zum Kantillieren des Evangeliums: www.stuerber.de


„In der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet“ (Eph 3,17b)

Vorbilder haben auch heute noch eine wichtige Funktion im Leben des Menschen; denn auch heute gilt: Worte belehrten, Beispiele reißen hin. So ist es nicht verwunderlich, dass ein Strang der Herz-Jesu-Verehrung in ihrer Geschichte an den Tugenden und Gesinnungen des Herzen Jesu, als seiner Personmitte, in ihrer Vorbildfunktion interessiert war. Es gab aber eine zweite Strömung, die vom am Kreuz durchbohrten Herzen Jesu (heutiges Evangelium) ausging, das als Quelle von Gnade und Erbarmen interpretiert wurde. Beide Richtungen sind im heutigen Tagesgebet [MB] zusammengeflossen: „Allmächtiger Gott, wir verehren das Herz deines geliebten Sohnes und preisen die großen Taten seiner Liebe. Gib, dass wir aus dieser Quelle göttlichen Erbarmens die Fülle der Gnade und des Lebens empfangen.“ Beide gehören zusammen, denn nur die „Fülle der Gnade“ ermöglicht es dem Menschen, an den „großen Taten der Liebe“ Jesu Maß zu nehmen und an ihnen Lebensorientierung zu finden. Versöhnung unter Menschen ist erst möglich, weil Gott im Kreuz Versöhnung geschaffen hat. Sein Leben ist ein Leben zum Tod; ein Leben der Hingabe, sein Tod ist uns Quelle des Lebens. Die Liebe ist die Klammer zwischen beiden Verehrungsweisen. Sie bestimmt Leben und Tod Jesu, sie bestimmt unseren Lebensweg. Liebe ist der zentrale Begriff in den Messtexten des heutigen Hochfestes. Das Wort Liebe/lieben kommt in ihnen nicht weniger als achtmal vor.

Jesus verkündigt das Reich Gottes und lässt es in dieser Welt Fuß fassen. Reich Gottes ist nicht eine schöne Idee, die die konkrete Welt nicht oder kaum tangiert, sondern es stellt den gesamten Wirklichkeitszusammenhang in Frage (E. Jüngel). Dieser ist geprägt von Macht, Durchsetzung von Eigeninteressen, Rivalität, kurz, ein Herrschaftszusammenhang. Reich Gottes unterbricht den Lauf der Dinge, es ist die große Störung des gewohnten Ganges der Welt, indem es ohne Wenn und Aber auf Liebe setzt; es ist wie ein Blitz in der Nacht. Das Bisherige gerät in die Krise durch die Revolution des Reiches Gottes, das Jesus zum Leuchten bringt. Er ist überzeugt, dass das Senfkorn, das er sät, zum großen Baum wird. Er ist ein vorwärts gewandter Mensch, dem das Noch-Nicht-Sein wichtig ist. Die Welt ist ihm weniger etwas Vorgegebenes als vielmehr etwas Aufgegebenes. Da die Liebe die Grundkraft seines Lebens ist, sieht er unzählige noch unrealisierte Möglichkeiten für diese Welt; denn sein Gott ist der „absolute Reichtum an Potentialität“ (Birch), wie es nur die Liebe sein kann. Reich Gottes ist das zukunftsträchtigste Potential für die vorbildliche Welt. So hat sich Christentum in seinem Gefolge trotz der dunklen Seite seiner Geschichte immer wieder bis heute als überraschende, beunruhigende und inspiritative Kraft erwiesen. Jesus war und ist ein ständiger Unruheherd, und das Prinzip der Innovation ist der Geist, den er den Seinen sandte.

Wenn Liebe die Grundkraft von Jesu Leben und Wirken war, dann kann sein Weg und das ist überraschend, ja erschreckend – nur der Kreuzweg sein, eben das genaue Gegenteil der Sieger-Straße der Welt. Und sein Leben war in der Tat ein solcher Kreuzweg, der buchstäblich am Kreuz endete. Wer nicht für sich lebt, wer sich in den Dienst der anderen stellt, wer Versöhntheit sucht, gerät auf den steinigen und dornenreichen Weg des Kreuzes. Eine Mutter, die sich im Dienst an ihrer Familie verzehrt, mag dafür ein typisches Beispiel sein. Die Liebe „sucht nicht ihren Vorteil“ (1 Kor 13,5). „Sie erträgt alles – und hält allem stand“ (V7). Doch trägt Liebe die Verheißung des Lebens in sich für den, der liebt, und die anderen; denn wer sein Leben in die Liebe hinein verliert, gewinnt wahres, sinnvolles Leben (vgl. Mk 8,35). Und: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“ (Joh 12,24). Genau diese überfließende Frucht hat Jesu Lebenskreuz und sein Tod für alle überreich erbracht. Durch sein Kreuz hat Gott Versöhnung gestiftet mitten in der kranken, unversöhnten Welt.

Diesem versöhnenden Handeln Gottes in Christus soll der Christ in der unerlösten Welt Raum schaffen, in dem er sich von derselben Liebe drängen lässt, die Jesus auf den Kreuzweg und in den Tod trieb. Unerlöst ist die Wirklichkeit in der Tat: jeder ist sich selbst der Nächste. Dienen schlägt nicht hoch zu Buche, geschweige denn, dass man für andere stirbt, vielmehr lebt man auf Kosten der anderen, und das im weltweiten Kontext. Noch in diesem Monat finden in Graz die 2. Europäische ökumenische Versammlung statt (23.-29.6.1997). Sie steht unter dem Motto: „Versöhnung, Gabe Gottes und Quelle neuen Lebens“. Sie bemüht sich, um Versöhnung zu beten und für sie zu wirken, Versöhnung zwischen den Konfessionen, zwischen den Religionen und Kulturen. Sie macht die Trias Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung zu ihrem Programm, Gerechtigkeit zwischen arm und reich, Friede zwischen Zerstrittenen, Versöhnung mit der Natur, deren Verwalter der Mensch ist, nicht deren Ausbeuter. Es geht um Überlebensfragen der Menschheit, die aus der christlichen Urbotschaft von Versöhnung durchaus ihre Antwort erhalten. Sie sind, wenn auch in einer veränderten Situation, fundamentale Anliegen Jesu, dessen Liebe wir daran erkennen, dass er in seinem Wirken und in seinem Tod sein Leben für uns hingegeben hat. Daher müssen auch wir im Einsatz für den Menschen „das Leben hingeben“ (vgl. 1Joh 3,16). Wer aber sein Herz verschließt vor der Not, den trifft die geballte Ladung der johannäischen Frage: „Wie kann die Gottesliebe in ihm bleiben?“ (1Joh 3,17).

[Anmerkung der Redaktion: Die von P. Rieger verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1997; S. 225f]


P. Josef Rieger SVD