25. Sonntag im Jahreskreis (B)

Predigtimpuls

Von den kleinen unterirdischen Nischen in Rom

1. Lesung: Weish 2,1a.12.17-20
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: Jak 3,16 - 4,3
Evangelium: Mk 9,30-37

Von den kleinen unterirdischen Nischen in Rom

Das Markus-Evangelium, vermuten die Fachleute, ist in Rom entstanden. In der Wiedergabe der Taten und Worte Jesu findet sich auch das Kolorit des Entstehungsortes, der lebendigen Gemeinde in der Hauptstadt des Römerreiches. Das ist immer so, wenn man sich erinnert. Nicht alles und jedes ist von Interesse, sondern zuerst das, was für das Leben wichtig ist – für das Leben der Gemeinschaft, für das persönliche Leben.

,Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf.“ Es ist zweifellos ein Jesus-Wort. Der Satz hat aber auch einen besonderen Rom-Klang. Wie dieser Satz in Rom gelebt wurde, lässt sich heute noch in den Katakomben sehen. Entlang den vielen Kilometern der unterirdischen Gänge finden sich auffallend viele kleine Einbuchtungen: Kindergräber vor allem an den Ecken, wo die Gänge sich kreuzen, findet man sie gehäuft. Ihre kleinen Körper verlangten nicht so viel Hohlraum. Dadurch war die Stützfunktion der Eckmauern wenig beeinträchtigt.

Das Christentum ist vorwiegend über die unteren sozialen Schichten stark geworden. Diese Menschen hatten es oft schwer; von den etwa 1,3 Millionen Einwohnern der Stadt waren schätzungsweise 60.000-70.000 Sklaven. Menschen also, die großenteils in die Kapitale zwangsverfrachtet worden waren, keine Rechte hatten, keinen Besitz, keinerlei soziale Sicherheit und Geborgenheit in einer angestammten Familie. Sie wurden weitgehend rücksichtslos ausgenutzt und geschunden. Sie hatten keine Zukunft und keine Hoffnung. Und natürlich auch keine Stätte zur letzten Ehre, kein Grab.

Ein weiterer großer Prozentsatz der in Rom Lebenden waren Landflüchtige. Von überall her aus den brutal ausgebeuteten Provinzen hatten sie sich in die Hauptstadt durchgeschlagen, um ihr Glück zu machen. Auch sie blieben in der Regel Nichtse, Entwurzelte.

Die Christengemeinde wurde für viele dieser Namen- und Heimatlosen zu einer Art Zuhause und Familie. Den Christen lag daran, ihren Schwestern und Brüdern im Glauben eine würdige Ruhestätte (Coemeterium) zu verschaffen, wo sie ihre Auferweckung erwarten konnten. Weil sie dafür keinen Grund und Boden hatten, begruben sie unterirdisch. Das war kein Geheimnis, das war öffentlich bekannt. Unter dieser armen Bevölkerung ging es den Kindern oft sehr schlecht. Sie wurden ausgesetzt und verjagt, waren krank und verloren: Straßenkinder. Die Kindersterblichkeit war sehr hoch. Die Christen haben sich häufig ihrer angenommen und die oft Unrettbaren wenigstens in Würde bestattet. Die meisten der gefundenen Platten, mit denen die unterirdischen Grabnischen verschlossen waren, tragen keine Namen, wohl weil die Verstorbenen allein auf der Welt waren und niemand ihr Grab besuchte. Die Christen gaben ihnen eine würdige Stätte zum Ausruhen in Frieden und in der Erwartung eines neuen Lebens.

Ganz unten wächst die neue Gesellschaft
Die schier endlosen unterirdischen Gänge mit ihren Grabnischen und den auffallend vielen Kindergräbern geben dem Jesuswort von der Aufnahme eines Kindes um seinetwillen das römische Kolorit. Dieses unbeabsichtigte Zeugnis der Christen im Dunkel der Erde dokumentiert, dass sie das Wort Jesu verstanden haben. Es zeigt, wo die oft bedrängten Christen die Nähe des auferstandenen Herrn gesucht und gefunden haben: unter jenen, bei denen nichts mehr zu machen ist, bei den Geringsten, bei den Allerletzten. „Wer ein solches Kind aufnimmt, der nimmt mich auf.“ Die frühe Christengemeinde in Rom hat dieses Jesuswort sicher auch als Wort der Ermutigung verstanden. Denn ein solches Kind – oft verwahrlost und verroht aufzunehmen, verändert die gewohnte Lebensweise, verlangt große Geduld und Kraft zum Einstecken, nicht so sehr vom Kind, sondern von den Verwandten und Nachbarn. Heute müssten jene auf der Kanzel stehen, die ein solches Kind aufgenommen haben: eine Kriegswaise aus Vietnam oder Kinshasa, ein Straßenkind aus Peru oder Brasilien.

Kostet es schon viel, eine Atmosphäre des Zuhause zu schaffen, in der das aufgenommene Kind gedeihen kann, so gehört wohl mit zu den bittersten Erfahrungen der aufnehmenden Eltern, dass sie „ihr“ Kind auf eine fremdenfeindliche Umgebung vorbereiten müssen. Es gibt leider auch unter denen, die sich als ordentliche Christen aufführen, nicht wenige, die das fremde, ausländische Kind ablehnen und politische Kandidaten wählen, die solche Kinder abschieben. Denen wird das heutige Jesuswort zum Gericht: Wer ein solches Kind ablehnt, der lehnt mich ab und den. Der mich gesandt hat.

Die Katakomben erzählen die Geschichte derer, die keine Geschichte gemacht haben. Sie bezeugen die Achtung vor der Würde des Fremden, des Anderen. Darin zeigte sich die alles durchdringende Kraft des Christentums.

Wenn das Christentum mitgestalten will an der gesellschaftlichen Entwicklung des kommenden Jahrtausends, dann ist es vertane Mühe zu restaurieren. Früheres wieder zu beleben. Es muss gläubige Menschen geben, die nicht sich suchen, sondern ihr Leben am Dienst an den Anderen ausrichten, besonders an den Fremden, den Heimatlosen. Die Gesellschaft nach dem Evangelium kennt keine Rassentrennung und keine Spaltung in erste und dritte Welt.

Der schärfste Christenverfolger, Kaiser Diokletian (284-305), war ein sehr ordentlicher Mann, ein tüchtiger Herrscher, der Militär, Finanzen und Verfassung des Weltreiches wieder auf Vordermann gebracht hat. Das Christentum mit seiner Kraft, alle Rassen und Schichten zu integrieren, empfand er als Gift für die alte Ordnung. Er wollte diese Bewegung ausrotten. Er hatte aber keine Chance. Der selbstlose Dienst an dem, der meine Hilfe braucht, ist eine ansteckende und unwiderstehliche Kraft, der mit Strafrecht und Abschiebung, ja nicht einmal mit Ausrottungsprogrammen beizukommen ist. Diese ureigene christliche Unruhestiftung braucht das kommende Jahrtausend.

[Anmerkung der Redaktion: Die von P. Birk verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1997/; S. 349-351]

 

P. Dr. Gerd Birk SVD