29. Sonntag im Jahreskreis (B)

Predigtimpuls

„So leben, dass andere neben ihnen aufleben können“

1. Lesung: Jes 53,10-11
Zwischengesang: www.antworpsalm.de
2. Lesung: Hebr 4,14-16
Evangelium: Mk 10, 35-45


 „So leben, dass andere neben ihnen aufleben können“

Über andere herrschen und sie unterwerfen, lustvoll Macht über andere genießen und Macht missbrauchen, andere herumkommandieren und sie schikanieren sind Möglichkeiten, die tief in den Abgründen unseres Menschseins wurzeln. Auch unter Christen, Klerikern wie Laien, sind die Gesetze der Macht und des Herrschens intakt.

Das Evangelium, das uns gerade verkündigt wurde, will uns die Maßstäbe in Erinnerung rufen, die bei denen gelten, die sich Christen nennen und sich so auf IHN, Jesus Christus, berufen. Dreimal heißt es ‘bei euch soll es nicht so sein’!

Jesus begründet auch, warum es bei uns anders sein sollte. Er sagt, unser Verhalten zueinander solle anders sein, weil er gekommen ist und einen anderen Weg des Umgangs miteinander gezeigt hat. Er, der Menschensohn, sei nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.

Wie revolutionär und schockierend diese Aussage war, versteht man erst, wenn man sich deren jüdischen Hintergrund vor Augen hält: Gott will in dieser Welt Heil schaffen. Doch macht der Mensch die Erfahrung, dass das Böse immer in der Welt ist. Die bedrängende Frage war daher, wie man das Böse und das Unheil aus der Welt schaffen kann. Eine erste Lösung könnte darin bestehen, dass der Täter für die Folgen seiner Tat einsteht und das wiedergutmacht, was er an Bösem verursacht hatte.

Nun gibt es aber Situationen, in denen es schier unmöglich ist, den angerichteten Schaden zu beheben. Was muss etwa getan werden, wenn man sich am Leben eines anderen vergriffen hat? In diesem Fall musste der Täter sein eigenes Leben hingeben. Denn wer sich am Leben eines anderen vergangen hat, hat sein Recht auf Leben verloren. Aber auch hier sah das jüdische Recht eine weniger radikale Lösung vor. Unter bestimmten Bedingungen konnte der geschädigte Betroffene auf sein Recht gegen den Täter verzichten und ihm als Sühne ein Lösegeld für sein Leben auferlegen. Dieser Gedanke wurde nun auf das Verhältnis zwischen Gott und sein Volk übertragen. Der Gott, der von seinem Volk geschädigt wurde, verzichtet nicht nur auf sein Recht auf Schadensersatz, sondern er bezahlt dazu auch noch an Stelle des Volkes selbst das Lösegeld.

In der jüdischen Religion stellte man sich vor, dass der Menschensohn komme, um auf einem Thron in seiner Macht über die Menschen zu Gericht zu sitzen.

Jesus sagt nun, er sei dieser Menschensohn, der nun in die Welt gekommen sei. Statt sich – wie es ihm zusteht – den Thron in Besitz zu nehmen, sich über die Menschen zu erheben und seine Macht zu demonstrieren, ginge es ihm jedoch darum, den Menschen zu dienen. Auch sei er nicht gekommen, um Gericht über die Menschen zu halten und das Todesurteil, das sie eigentlich verdient hätten, über sie zu fällen, vielmehr sei er gekommen, um freiwillig sein eigenes Leben hinzugeben, um viele aus dem selbstverschuldeten Todesverhängnis zu lösen.

Damit setzt Jesus gegen das Recht des Mächtigen die Macht der Liebe. Er rettet die Menschen aus der Macht des Todes, indem er sich für sie einsetzt und sein Leben für sie hingibt. So lebt er nicht auf Kosten anderer, sondern so, dass andere aufleben können.

So soll es bei euch sein! Bei uns gehen also nur diejenigen in seiner Spur, die nicht auf Kosten anderer leben, sondern die so leben, dass andere neben ihnen aufleben können. Es gehen allein diejenigen in seiner Spur, die nicht auf andere herabschauen und andere spüren lassen müssen, wer hier der Herr im Haus ist.

 

P. Dr. Bernd Werle SVD