Allerheiligen (H)

Predigtimpuls

Wir sind heilige Kirche – allumfassend, für alle!

1. Lesung: Offb 7,2-4.9-14
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: 1Joh 3,1-3
Evangelium: Mt 5,1-12a
Zum Kantillieren des Evangeliums: www.stuerber.de

Wir sind Heilige – aus Gnade

„Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige katholische Kirche, an die Gemeinschaft der Heiligen.“

Dieses Bekenntnis sprechen wir in unseren Gottesdiensten regelmäßig, oft sicher unbedacht. Es kann aber auch sein, dass uns ein derartiger Satz in diesen Tagen nicht mehr so einfach über die Lippen geht: Die katholische Kirche soll heilig sein, eine Gemeinschaft der Heiligen? Wir erleben es oft so anders. Wir erleben eine Kirche der Sünder, auch eine sündige Kirche. Mancher mag beim Beten des Glaubensbekenntnisses das Gefühl haben, insofern die Kirche sich als heilig feiern lässt, verdränge sie Vieles an Schuld, das in ihrer Geschichte aufzuspüren ist. Zwar feiert das Allerheiligenfest eher die Sonnenseite der Kirchengeschichte, aber die andere Seite gibt es deutlich wahrnehmbar auch. Wir müssen daher in diesen Tagen genau hinschauen, was wir glauben und bekennen.

Dem Neuen Testament ist sehr wohl bewusst, dass die Kirche eine Kirche der Sünder, auch eine sündige Kirche ist. Sie ist auch geprägt von Makeln und Flecken (vgl. Eph 5, 27). Aus sich heraus sind weder die Menschen in der Kirche noch die Kirche als Ganzes heilig. Heilig ist allein Gott selbst, heilig ist Jesus Christus, heilig ist der Geist Gottes. Heilig werden Menschen nur deswegen, weil Gott sie in seine Nähe ruft. Aus Gnade allein, sola gratia: Gott erwählt uns, die Menschen, er beruft uns, er liebt uns. Vor der Erschaffung der Welt hat er uns schon berufen, heilig und makellos zu sein, so der Epheserbrief. Jeder und jede Einzelne ist von Urbeginn im Herzen Gottes präsent und gewollt. Heilig ist die Kirche, heilig sind wir, weil Gott in uns wohnen will, weil wir seine Liebe und Herrlichkeit widerspiegeln dürfen. Bevor wir etwas tun, hat Gott uns im Blick, liebt er uns. Er möchte, dass wir ihm ähnlich werden. Der Grund ist darin gelegt, dass wir seine Ebenbilder sind. In der Taufe nun werden wir seine Kinder, er wohnt in uns, wir sind sein heiliger Tempel, in dem Gott wohnen will. Heilig sind wir, indem wir groß sind in den Augen Gottes. Heilig sind wir, weil Gott uns heilig hält. Wir sind Heilige – aus Gnade!

Heilig sind wir nicht, weil wir besonders moralisch leben, sondern aus Gottes Gnade. Heiligkeit ist in erster Linie keine moralische Kategorie, die sich Menschen zuschreiben oder verdienen, sondern das Bekenntnis zur Berufung durch Gott und die durch ihn geschenkte Würde. Oft wird in einem Sinne von Heiligkeit gesprochen, dass sie wenig erstrebenswert zu sein scheint. Heilige stehen auf einem Sockel, sind abgehoben von dieser Welt. Auch eine Kirche mit dem Anspruch, heilig zu sein, hat sich nicht selten so gebärdet. Der biblische Begriff von Heiligkeit meint aber, diese gottgeschenkte Berufung mitten in der Welt zu leben, sein Licht durchzulassen, seine Liebe zu bezeugen, dem anderen Menschen zu helfen, seine Würde als Gottes Ebenbild zu entdecken, ihn einzuladen, als Kind Gottes zu leben und ebenfalls Freude daran zu entwickeln, zu einem heiligen Menschen zu werden, der sich seiner Berufung von Ewigkeit her bewusst wird, der sich geliebt weiß von seinem Schöpfer und Vater. Wir sind Heilige – berufen, sein Licht weiterzugeben!

Vielleicht wird jetzt etwas deutlicher, dass eine solche Berufung, in Gottes Gemeinschaft zu leben, ein Gemeinschaftsprojekt ist. Den Weg der Berufung kann niemand allein gehen. Bereits in den Büchern des Alten Testaments wird ein Volk, wird Israel als Gemeinschaft gerufen. In dieser Tradition steht die Kirche. Wir brauchen die Gemeinschaft derer, die sich ihrer Berufung gewiss sind und sie leben wollen. Nicht umsonst nennen uns die Bibel und die Tradition der Kirche das heilige Volk Gottes. Wir sind gemeinsam auf dem Weg. So entsteht die Kirche aus dem Willen Gottes, die Menschen zu einer Gemeinschaft, zu seiner Gemeinschaft zusammenzuführen. Weil Gott uns ruft, sind wir Gemeinschaft der Heiligen. In der Tradition wurde das Bekenntnis aber auch so übersetzt: Wir haben gemeinsam teil am Heiligen. Kirche ist keine Institution, die Menschen gegründet haben, sondern sie entsteht, indem Gott durch Christus in der Kraft des Heiligen Geistes Menschen in den Sakramenten, den heiligen Zeichen, Anteil an seinem Leben schenkt. Ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller; ein Brot, also sind wir viele ein Leib; die Sakramente als heilige Zeichen sind die Grundlage kirchlicher Gemeinschaft, die Feier der Einheit, die Gott schenkt. Wir sind Heilige – als sein Volk!

Wenn wir heute über Heiligkeit nachdenken, ist es gerade in dieser Zeit wichtig zu betonen, dass wir uns durch die Berufung zur Heiligkeit nicht selbst erhöhen, dass wir nicht den Anspruch erheben, aus eigener Kraft die besonders guten Menschen zu sein, oder eine Gemeinschaft zu bilden, die moralisch über anderen steht. Wir sollen zeigen und leben, wozu Gott alle Menschen gerufen hat: in seiner Gemeinschaft als sein Ebenbild und sein Kind zu erfahren, dass wir geliebt sind, dass wir gewollt sind und Würde haben. Wenn wir uns zu einer heiligen Kirche bekennen und zur Gemeinschaft der Heiligen, geht das nur in der Offenheit, die Menschheit insgesamt einzuladen und mitzunehmen. Das meint: „katholisch“ zu sein. Allumfassend, offen, einladend, die alle umfassende Liebe zu bezeugen, weltweit, niemanden ausschließend, missionarisch. Diese Berufung sieht die katholische Kirche als ihren Auftrag, den Gott ihr gegeben hat. Wir sind heilige Kirche – allumfassend, für alle! Wir haben darüber nachgedacht, dass Heiligkeit allein Gottes Gabe ist, der Mensch nur weitergeben kann, was ihm geschenkt ist, und das allen Menschen. Das bekennen wir, wenn wir beten: Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige katholische Kirche, an die Gemeinschaft der Heiligen, die Gemeinschaft am Heiligen.

Wenn ich dies sage, dann ist mir natürlich bewusst, wie weit wir, wie weit ich oft von dieser Berufung entfernt bin. Je höher die Berufung und die Würde, desto größer die Fallhöhe. Die Berufung zur Heiligkeit in der Kirche kann ein schmerzlicher Stachel sein, wenn ich die Wirklichkeit meines Lebens, wenn ich die Wirklichkeit der Kirche sehe. Wie groß ist die Berufung, wie armselig oft die Antwort des Menschen, auch meine Antwort. Heilig sein meint dann aber auch, dass Gott uns nicht fallen lässt, dass es die Möglichkeit zur Neuorientierung und zum Neubeginn gibt. Gott bleibt treu, gerade wenn wir umkehren müssen. Die vielen Heiligen, die wir heute feiern, sind Helfer auf diesem Weg der neuen Hinkehr zu Gott und zu unserer Berufung von Ewigkeit her. Gott möge uns helfen, wieder heilig zu leben und wirklich katholisch zu sein, dass die Menschen, die uns begegnen, ihre Würde erfahren und ihren eigenen
Weg als Kinder Gottes gehen lernen können. Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige katholische Kirche, an die Gemeinschaft der Heiligen – dieser Satz bleibt unser Bekenntnis zur Heiligkeit und Größe Gottes, der uns Menschen groß macht, heilig macht, in der Gemeinschaft der Kirche. Gott wartet auf Antwort.

Predigt beim Pontifikalamt an Allerheiligen im Dom zu Mainz (1. November 2018)  in: "Unterwegs auf Augenhöhe", Broschüre mit Predigten von Bischof Peter Kohlgraf, Mainz im März 2019, S. 30-32

 

Dr. Peter Kohlgraf, Bischof von Mainz