Heilige Hildegard von Bingen, Kirchenlehrerin (g)

Predigtimpuls

Hildegard zeigt, was Gott aus einem Menschen machen kann

Lesung: Weish 8,1-6
Evangelium: Mt 25,1-13

Zehn Jungfrauen, fünf waren töricht: naiv sorglos und unbekümmert, dachten nicht voraus, gingen im Augenblick auf. Es ist ja wichtig, im Augenblick zu leben und sich nicht ständig in der Vergangenheit zu verlieren oder sich aufzureiben in Sorgen um das, was möglicherweise in der Zukunft einmal kommen könnte. Aber wir müssen uns doch für die Zukunft rüsten.

Die anderen fünf Jungfrauen waren klug, vorausschauend, dachten an das, was sie brauchen werden, sorgten für die Zukunft vor.

Von wem spricht Jesus hier? Von uns. Er ist der Bräutigam, der sein Kommen verheißen hat und uns warten lässt. Noch ist er für seine Wiederkunft nicht bereit. Oder sollen wir besser sagen: Wir sind noch nicht bereit? So zieht sich die Zeit hin, und das führt zu Problemen. Man fragt sich: Wann wird er denn kommen? Lohnt es sich, sich jetzt schon darauf vorzubereiten, oder sollen wir besser die Zeit für anderes nutzen? Wird er überhaupt kommen? Wie oft hat jemand behauptet, genau zu wissen, dass er an diesem oder jenem Tag kommen werde – und er kam nicht.

Wer rechnet noch damit, dass er bald, zu seinen Lebzeiten, ja sogar heute noch kommen könnte? Da ist es doch besser zu sehen, möglichst gut durch dieses Leben zu kommen mit Erfolg und möglichst wenig Problemen, zu sehen, dass man etwas von diesem Leben hat … Törichte Jungfrauen!

Was ist das Öl, das die klugen Jungfrauen in Krügen bei sich hatten und den törichten Jungfrauen fehlte, als der Bräutigam plötzlich angekündigt wurde? Worin besteht es für uns heute?

Wir können kurz sagen: in einem lebendigen, gelebten Glauben, und dazu gehören ein tiefes Vertrauen auf Gott und selbstlose Liebe. Hildegard hatte dieses Öl in reicher Fülle, denn sie hat es unaufhörlich gesammelt. In ihrer ersten Lebensbeschreibung heißt es von der noch jungen Einsiedlerin: „Es brannte in ihrer Brust eine Liebe, die keinen Menschen ausschloss.“ Ein Augenzeuge ihrer letzten Jahre schreibt: „Die Dienerin aller ward sie aus Liebe, ständig ganz hingegeben an die Forderungen des Augenblicks“, mit Paulus könne sie sagen: „Allen bin ich alles geworden.“

Wenn man auf das schaut, was Hildegard geleistet hat, stellt man sich eine Person vor, stark, gar robust, selbstbewusst, sprachgewaltig, voll Lebenskraft und unerschöpflicher Energie. Hildegard war das Gegenteil: zart, scheu, immer wieder krank, gehbehindert; sie selbst beschreibt sich als „weich im Fleisch und furchtsam im Geist“. Sie hätte also mit all ihren Talenten ein zurückgezogenes Leben in ihrer Klosterzelle leben können. Warum tat sie es nicht? Aus Treue zu Christus, dem sie sich bewusst geweiht hatte; so gehorchte sie der Stimme des Herrn in ihrem Innern.

Gegen ihren Willen zur Äbtissin gewählt in dem Kloster, das sich aus der Einsiedlerzelle am Benediktinerkloster entwickelt hatte, erkämpfte sie gegen harte Widerstände die Loslösung des Frauenklosters von den Benediktinern, baute ein eigenes Kloster auf dem Rupertsberg bei Bingen und später noch ein Tochterkloster gegenüber auf der anderen Rheinseite in Eibingen.

Immer wieder wurde Hildegard von Visionen überfallen. Sie wusste sehr wohl zu unterscheiden zwischen Visionen, die sie bei vollem Bewusstsein erlebte, und Träumen. Sie phantasierte sich die bildstarken Visionen nicht zusammen, sondern erfuhr sie als Offenbarung der Wahrheit. Die Zeitgenossen sahen sie zu Recht als „deutsche Prophetin“, und Prophetenamt ist Berufung und Auftrag von Gott, verbunden mit großer Verantwortung; und es ist schwere Last.

Von allen Seiten wurde Hildegard um Rat und Hilfe gebeten, sogar von Kaiser und Papst. Sie scheute sich nicht, offen Kritik auszusprechen. Menschenfurcht darf einen Menschen nicht hindern, auszusprechen, was Gottes Wille ist. An König Konrad III. schrieb sie: „Bessere dich… dass du nicht mehr über deine Taten zu erröten brauchst!“

Friedrich Barbarossa hatte sie zum Gespräch nach Ingelheim in seine Pfalz bestellt und ihr einen Schutzbrief für ihr Kloster ausgeschrieben. Als Friedrich durch Aufstellen eines zweiten Gegenpapstes – der erste, den er aufgestellt hatte, war gestorben – das kirchliche Schisma verlängerte, mahnte Hildegard ihn: „Hüte dich, dass der höchste König dich nicht um der Blindheit deiner Augen willen verwerfe.“

Von Menschen von außen und von Gott im Innern gedrängt, verließ Hildegard mehrfach ihr Kloster, um Ordensleuten in Klöstern und Klerus und Laien in Städten zu predige, in Franken und Schwaben, an der Mosel bis nach Luxemburg, rheinabwärts bis an die Ruhr. In einer Kurzbiographie heißt es: „Sie bringt Trost und macht Mut, sie weckt die Gewissen und predigt Buße.“ Die an der Situation der Kirche litten, begrüßten Hildegards Predigten mit überschwänglicher Freude und Dankbarkeit und suchten ihr Leben entsprechend zu ordnen.

Aber der Klerus und die Klöster waren weithin verweltlicht, vielen Priestern und Ordensleuten lagen weltliche Aufgaben und Vergnügen mehr am Herzen als Gebet, Predigt und Gottesdienst, und viele Äbte und Bischöfe gefielen sich mehr als Territorialherren und Krieger denn als Mitarbeiter Christi und Hirten der ihnen Anvertrauten. Es wäre ein Wunder gewesen, wenn sie dieser Prophetin, die sie hart kritisierte, nicht große Widerstände entgegengesetzt hätten; niemand lässt sich gern kritisieren, noch dazu öffentlich. Aber ging es denen, die unbeirrbar treu zu Gott und Jesus Christus stehen, je anders? Ist eine solche Gegnerschaft nicht geradezu ein Kennzeichen der echten Diener Christi?

Heute denkt man, wenn man den Namen Hildegards hört, vor allem an ihre Heilkunst. Was hatte sie von der Vergangenheit übernommen? Was hatte sie, die hoch sensible, naturverbundene Frau selbst an Heilkräutern und Heilmitteln entdeckt? Was hatte die ewig Kranke am eigenen Leibe als heilsam erfahren? Ihre Heilkunst machte sie weit im Umkreis bekannt, und die Kranken strömten in Scharen zu ihrem Kloster, um von ihr behandelt zu werden und Kräuter, Salben, Tinkturen und heilsame Ratschläge mit nach Hause zu nehmen, voll Vertrauen, so Heilung zu finden.

Hildegard wurde 81 Jahre alt. Noch einmal aus der erwähnten Kurzbiographie: „Als sie in der Morgenfrühe des 17. September 1179 heimging, müde von der Mühsal eines langen Weges und sehnsüchtig nach der ewigen Heimat verlangend, weinten nicht nur ihre Töchter am Rupertsberg und in Eibingen. In ihre Klage mischte sich die Stimme des ganzen Rhein- und Nahegaues. Denn ihnen allen war die Mutter gestorben.“

Hildegard zeigt uns, was Gott mit einem Menschen und aus einem Menschen machen kann, sogar seiner/ihrer Natur und seinem/ihrem Charakter zum Trotz, wenn er/sie sich ganz Gott schenkt und sich mit allem, was er/sie ist und was er/sie hat, vom Herrn in Dienst nehmen lässt. Wenige sind von Gott so reich mit Gaben beschenkt wie Hildegard, aber jedem/jeder von uns hat Gott Gaben geschenkt, mit denen er/sie auf vielfältige und unterschiedliche Weise dem Wohl der Menschen und dem Leben der Gemeinde und der Kirche dienen kann, wie das II. Vatikanische Konzil mit Hinweis auf Paulus festgestellt hat.

Kennen Sie Ihre Gaben? Sind Sie bereit, sie nicht nur für sich und Ihre Familie, sondern zum Wohl für andere und zum Segen für die Kirche einzusetzen, also letztlich für Christus?

 

P. Lothar Janek SVD