Hochfest der Verkündigung des Herrn

Predigtimpuls

Jesus gehört in unsere Welt

1. Lesung: Jes 7,10-14
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: Hebr 10,4-10
Evangelium: Lk 1,20-38
Zum Kantillieren des Evangeliums: www.stuerber.de

Jesus Christus – das geht nicht
Der Schriftsteller Max Frisch beginnt sein Tagebuch der Jahre 1946-1949 mit folgender Szene:

Gestern, unterwegs ins Büro, begegne ich einem Andrang von Leuten, die bereits über den Randstein der Straße hinaus stehen, alle mit gestreckten Hälsen; manchmal ein Lachen aus der unsichtbaren Mitte – bis der Gendarm kommt.

Er fragt, was geschehen sei, und da wir es nicht wissen, keilt er sich in den Haufen hinein, nicht barsch, aber von Amts wegen entschieden: Das gehe nicht, sagt er mehrmals, das gehe nicht! Wahrscheinlich wegen des Verkehrs.

Und dann: Ein junger Mensch steht da, groß, bleich, eher ärmlich was die Kleidung angeht, aber kein Bettler, wie es scheint, heiter, unbefangen wie ein Kind; ein offener Koffer liegt neben ihm, und dieser Koffer, wie man sieht, ist voller Marionetten. Eine hat er herausgenommen und hält sie eben an den Fäden, so, dass das hölzerne Männlein gerade auf dem Pflaster spazieren kann; unbekümmert um den Gendarm, der einen Augenblick ratlos scheint.

„Was soll das?“
Der junge Mensch, keineswegs verdutzt, zeigt weiter, wie man die einzelnen Gliedmaßen bewegen kann, und einen Atemzug lang, lächelnd und den Daumen im Gürtel, schaut auch der Gendarm zu, der das liebe Gesicht eines Bienenzüchters hat.

„Was soll das?“
Der Mensch, indem er auf die Puppe schaut, lächelnd, da jedermann die Antwort sehen kann: „Jesus Christus!‘

Der Gendarm: „Das geht nicht – hier nicht … das geht nicht …!“

Und Maria: „ Mir geschehe …!“
Zunächst könnte ich mir die Reaktion Marias ähnlich vorstellen, die erschrocken reagiert bei der Erscheinung des Gottesboten und schockiert von seiner Botschaft. „Du wirst ein Kind empfangen, es wird groß sein und Sohn des Höchsten heißen.“ Und so kommt auch gleich die Frage: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ Aber dann erzählt Lukas von einer Maria, die am Ende sagt: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du gesagt hast.“ Sie lässt sich auf Gottes Plan ein, weil sie seiner Botschaft glaubt.

Wenn wir nun die Tagebucheintragungen mit der biblischen Botschaft in Beziehung setzen, dann muss uns auffallen, dass es M. Frisch durch seine Erzählweise nicht nur um das Verbot des Puppenspiels mitten in der Stadt geht, das den Verkehr behindern könnte. Es ist eine Figur, Jesus, die plötzlich in den Mittelpunkt rückt. Der Einwand des Gendarmes bekommt nun andere Farben: Jesus Christus – mitten in der Stadt, mitten unter heutigen Menschen – das geht nicht. Jesus, der passt nicht mehr hierher, der ist überholt. Während er als Marionette Leute vorübergehend anzieht, bleibt das doch ein harmloses Spiel. Aber die biblische Geschichte erzählt den Ernstfall: Jesus Christus kommt in die Welt. Er möchte ankommen mitten im Leben der Menschen; er will durch seine Gegenwart etwas verändern. Er will Menschen anziehen, ermutigen, dass sie ihre gewohnten Geschäfte einmal unterbrechen. Später wird Maria im Magnificat deutlich machen, was Jesus verändern will: „Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen …“

Jesus gehört in unsere Welt
Hochmut und Machtgelüste spielen bei uns eine große Rolle; Gewalt und Hass sprengen menschliche Gemeinschaften. Radikalismus und Ausländerfeindlichkeit zerstören menschliches Zusammensein. Diese Haltungen fallen nicht vom Himmel; sie haben zu tun mit unserer eigenen Verfasstheit. Wer ständig nur meint, das eigene Glück käme durch Besitz, kann jungen, orientierungslosen Menschen nicht zeigen, was die wirklichen Werte sind. Wir brauchen in unserem Land eine Diskussion über das, was das menschliche Leben im letzten ausmacht, wie es einen tiefsten Sinn finden kann.

Gott selbst steht hinter dem Kind, das da angekündigt wird. Gott selbst steht hinter allen, die auf dieses Kind ihre Hoffnung setzen. Und weil er sich für ein Kind entscheidet, zeigt er seine Abneigung gegen die Mächtigen. In der Ankündigung, das Kind würde Sohn Gottes genannt werden, liegt der christliche Optimismus begründet. Neun Monate später – am Heiligen Abend – werden wir die Geburt dieses Kindes feiern. Es ist die fast längste Nacht des Jahres. Und eben in der dunkelsten Nacht des Jahres sucht er uns auf; deshalb nennen wir sie die Heilige Nacht.

Mit der Krippe kehrt Gott in gewisser Weise alle Vorstellungen um, die Menschen sich immer wieder machen und gemacht haben. Der Große, Unvorstellbare ist klein und greifbar, der Feme ist plötzlich ganz nahe. Und diese solidarische Nähe wird sein ganzes Leben durchziehen.

Und alles geht – muss gehen …
Heilig ist das neugeborene Kind – und mit ihm jedes Kind, das geboren wird, ob im Kreißsaal einer großen Klinik oder in einer armseligen Hütte im Slum von Rio. Heilig ist auch das Kind in Jugoslawien und in Algerien sowie das vielleicht ungewollte Kind in unserer Heimat. Heilig ist aber gleichzeitig jeder Mensch. Heilig ist jeder von uns und die ganze Schöpfung, denn Gott selbst wird ein Teil von ihr. Und so muss es möglich sein, dass auch wir mit der heutigen Lesung aus dem Hebräerbrief sprechen: „Siehe, ich komme, deinen Willen zu erfüllen.“ Dieses Programm führt uns auch als Christen in ein Leben des Kampfes, das nur nach dem Kreuz in der Freude der Auferstehung endet. Wir feiern das Fest nicht rein zufällig mitten in der Fastenzeit. Maria stellt sich unter das gleiche Programm mit ihrem: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort.“ Sie teilt das Leben, das Sterben und die Auferstehung ihres Sohnes. Wenn wir uns im Vaterunser (… dein Wille geschehe …) zum gleichen Programm in der Nachfolge des Sohnes Gottes bekennen, werden wir ähnliche Schicksale bestehen. Vieles wird gehen, wird uns möglich sein, wie es uns die zahlreichen Zeugen Jesu immer wieder zeigen. Sie arbeiten wie ER an der Heilung der Schöpfung, daher nennen wir sie Heilige. Wie sagt der Dichter Bernhard Shaw: „Früher oder später muss man Partei ergreifen, wenn man Mensch bleiben will.“ Und wenn und sooft wir es tun, können wir mit seiner Hilfe rechnen.

Im Lied Nr. 291 des Gotteslobes [aGL] ist der Psalm 91 vertont. Dort heißt es in der letzten Strophe:
„Denn dies hat Gott uns zugesagt: Wer an mich glaubt, sei unverzagt. Weil jeder meinen Schutz erfährt und wer mich anruft, wird erhört. Ich will mich zeigen als sein Gott, ich bin ihm nah in jeder Not; des Lebens Fülle ist sein Teil, und schauen wird er einst mein Heil.“

[Anmerkung der Redaktion: Die von P. Schmitz verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1998; S. 107-109]

 

P. Josef Schmitz SVD