7. Sonntag im Jahreskreis (C)

Predigtimpuls

„Seid barmherzig, wie es euer Vater ist“

1. Lesung: 1Sam 2,7-9.12-13.22-23
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: 1Kor 15,45-49
Evangelium: Lk 6,27-38

Seid barmherzig, wie es euer Vater ist

,Das „ Herzstück der Verkündigung Jesu – die Feldpredigt
Der erste Teil der Bergpredigt richtet sich auf Gottes Verheißungen, bei Lukas auch auf Gottes „Vergeltungen“ – die Weherufe, die im Zusammenhang der Beziehung des Menschen zu Gott und zum Menschensohn stehen. Im Vordergrund steht dabei das erste Gebot von der Gottesliebe. An den Weherufen lässt sich ablesen, was einer liebenden Beziehung zu Gott im Weg steht: Verhaftet-Sein an irdischem Besitz, volle Bäuche, Lachen über die Schmerzen der Welt und Opportunismus ohne eigenen Standpunkt – allen alles recht machen mit dem Ziel eigener Anerkennung.

Im zweiten Teil der Feldpredigt wird das Liebesgebot auf die Beziehungen der Menschen untereinander ausgedehnt. Zugrunde liegt das zweite Gebot: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Doch erfährt die geforderte Liebe zu den Menschen durch Jesu Worte eine radikale Erweiterung, denn diese Liebe hat keine Grenzen: Sie „ist“ einfach und macht keinen Halt vor Feinden. Gottes grenzenlose Liebe zu den Menschen will sich in der Liebe der Menschen untereinander spiegeln. So entspricht das neue Verhältnis der Menschen zu Gott durch Jesu freimachende Botschaft und Erlösung dem neuen Verhältnis der Menschen untereinander.

Zusammenhang von Gottes- und Nächstenliebe
Weg vom Ego, das ständig auf seinen eigenen Vorteil sieht, hin zu Gott und dem Menschen – dies bedeutet einen Perspektivenwechsel; nicht der einzelne selbst soll Mittelpunkt seines Lebens sein, sondern der stets gegenwärtige Gott. Grundlage aller Beziehungen und Begegnungen ist daher das „Sich-selbst-Loslassen“ und ,Einfühlen-können-in-Andere“, ohne die wirkliches Zuhören und Verstehen nicht möglich sind. Jesus spricht am Anfang des heutigen Evangeliums: „Euch, die ihr mir zuhört, sage ich“ – bedacht steht dieser Satz am Anfang, denn ohne Hören auf das, was Jesus uns ins Herz sagt, ist kein Verstehen seiner Lehre und kein Entdecken seiner Liebe möglich. Zu uns selbst finden wir erst, wenn wir Gott und den anderen finden. Gottes- und Nächstenliebe sind daher in den Evangelien auf das engste miteinander verknüpft. Die Parallele wird verdeutlicht in Mt 25, wo es sinngemäß heißt: wer einen Kranken besucht, besucht Jesus Christus. Die Beziehung zu Gott wird mit den Beziehungen zum Mitmenschen gleichgesetzt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass sich die Qualität der mitmenschlichen Beziehungen in der Qualität der Gottesbeziehung widerspiegelt. Will darum jemand wissen, wie seine Beziehung zu Gott aussieht, muss er seine mitmenschlichen Beziehungen in den Blick nehmen. Eine einfache Rechnung bringt nüchterne Klarheit: Mag er beispielsweise 20% seiner Mitmenschen, gehen ihm 30% auf den Wecker und sind ihm 50% egal, so folgt entsprechend der Übertragung auf seine Gottesbeziehung, dass Gott ihn zu 20% anspricht, er zu 30% Schwierigkeiten mit Gott hat und ihm 50% von Gott unbekannt sind und ihn nicht weiter interessieren. Um noch konkreter zu werden: Beneidet jemand einen Menschen, beneidet er auch Gott, ist jemand auf einen anderen Menschen wütend, hat er auch Wut gegen Gott, verachtet jemand einen Menschen, verachtet er auch Gott. Die Frage nach der Umsetzung eigenen Glaubens im Leben bekommt daher eine realistische Erdung. Hinter ihr verbirgt sich die Ansicht, großen Glauben zu haben, ihn aber nicht in Handlungen konkretisieren zu können. Aus dem vorgegebenen Beispiel wird uns aber eine umgekehrte Vorgehensweise vorgeschlagen: Jeder kann an seinem Alltag ablesen, wieviel Glaube er hat. Die Täuschung, selbst fromm zu sein mit guter Beziehung zu Gott, Nächstenliebe aber noch nicht zu leben, ist damit ausgeschlossen. Die Liebe, die Gott schenkt, macht vor Feinden nicht Halt. Unserem Vater im Himmel gleich sein sollen auch die durch Jesus Christus an ihn Glaubenden: Barmherzig sein gegenüber allen Menschen ohne Ausnahme.

Menschliche und christliche Wirklichkeit
Von Gottes- und Nächstenliebe reden fast alle Christen, die tatsächlich gelebte „Liebe“ ist meist jedoch nur diejenige, die auf Gegenliebe beruht. Es geht um Geben und Nehmen, um das Bemühen nach ständigem Ausgleich – im Guten wie Bösen. In Wirklichkeit handelt es sich bei dieser Liebe um ein Geschäft: Ich liebe dich nur, wenn du mich liebst – es ist kein freies Verschenken. Auf dieser gängigen Wirklichkeit basieren die menschlichen Beziehungen.

Jesus bringt mit seiner Person eine neue Wirklichkeit, die vom Aufrechnen empfangener Liebe befreit. Menschen, die bereit sind, ihm zuzuhören, gewinnen an Unabhängigkeit gegenüber den Reaktionen anderer. Sie geben Liebe, weil sie mit Jesus verbunden sind, der Liebe „ist“, sie verschenken Liebe, weil sie nicht anders können.

Denke ich an mein Verhältnis zu meinen Mitmenschen, merke ich, wieviel in mir noch erlöst sein will und wie sehr mich Christus noch umwandeln muss – zusammen mit meinem eigenen Mühen.

Meine Hoffnung und mein Gebet richtet sich darauf, dass wir Christen lernen, Jesus Christus zuzuhören und hinzuhören auf seine lebensspendenden und umwandelnden Worte, damit Worte der Liebe und Versöhnung keine leeren Worte bleiben.

[Anmerkung der Redaktion: Die von Herrn Holzschuh verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1998; S. 62f]

 

Wolfgang Holzschuh, Dipl.-Theol.