16. Sonntag im Jahreskreis (C)

Predigtimpuls

Martha und Maria – beide zusammen ergeben das Ganze

1. Lesung: Gen 18,1-10a
Zwischengesang: www.antwortpsalm.de
2. Lesung: Kol 1,24-28
Evangelium: Lk 10,38-48

Alle drei Jahre hören wir das Evangelium von Martha und Maria, den beiden Schwestern aus Betanien, die Jesus besucht, von denen die eine müßig dasitzt und nichts tut, während sich die andere abrackert und sich obendrein noch eine Rüge Jesu gefallen lassen muss. So regelmäßig diese Perikope gelesen wird, so regelmäßig stellt sich wohl auch der Unmut bei manchen Hörern ein, besonders bei denen, die sich alle Mühe geben, zu Hause einen perfekten Haushalt zu führen.

Und es ist doch wahr! Ist Jesus hier nicht höchst ungerecht? Sicher unangemeldet – was wir Deutschen ja gar nicht mögen; Besuch sollte sich bitteschön möglichst langfristig ankündigen, damit auch alles perfekt vorbereitet sein kann – steht er auf der Matte. Uns allen ist wohlbekannt, wie wichtig einem Orientalen die Gastfreundschaft ist. So ist es das Selbstverständlichste der Welt, dass Martha, offensichtlich die Chefin im Haus, sich sofort daran macht, für gastliche Atmosphäre und ein gutes Essen zu sorgen. Dass sie alle Arbeit macht, komplett verärgert ist über ihre Schwester, die, wie gesagt, müßig zu Füßen des Gastes sitzt und sich so wie dieser von der Älteren bedienen lässt, können wir nur zu gut verstehen. Martha hat bei uns allen ganz ohne Zweifel ein hohes Identifikationspotential.

Freilich, dem ein oder anderen fällt vielleicht auf, dass sie, statt ihre Schwester direkt anzusprechen und mit ihr persönlich das Problem zu bereden, sich an Jesus wendet. Ihn will sie als Verbündeten gewinnen und für sich instrumentalisieren. Er möge doch der Schwester die Unmöglichkeit ihres Verhaltens klarmachen. Vielleicht steckt sogar noch mehr hinter ihrer Anrede an Jesus. Er muss doch auch sehen, wie rücksichtslos ihre Schwester ist! Wieso ergreift er nicht schon ohne ihre Bitte Partei für sie?

Jedenfalls können wir in Marthas Verhalten unschwer auch uns selbst in so manchen Situationen wiedererkennen. Statt direkt mit einem Menschen zu reden, machen wir es gelegentlich gerne über den Umweg anderer, die wir für unsere eigenen Zwecke einspannen. Doch da ist Martha in Jesus an den Falschen geraten.

Auch wenn uns das Evangelium Marthas Reaktion nicht verrät, können wir uns leicht ausmalen, wie vor den Kopf geschlagen sie sich gefühlt haben muss, als sie merkt: Jesus springt ihr nicht nur nicht bei, sondern er gibt auch noch ihrer Schwester Recht. Noch einmal die Frage: Ist das nicht einfach nur ungerecht und verletzend, diese Nichtbeachtung all der Mühe, die sie sich gibt; diese Zurücksetzung, die sie als gute Gastgeberin erfährt? Aber trauen wir Jesus ein solches Verhalten zu?

Schauen wir also noch einmal etwas genauer hin! Was sehen wir da? Es scheint, als hätte Jesus nicht einmal die Chance gehabt, etwas zu sagen, geschweige denn einen Wunsch zu äußern. Martha weiß von vorneherein – darüber gibt es gar keine Diskussion mit ihr –, was zu tun ist. Sie ist so gefangen in ihren eigenen Vorstellungen von dem, was nun zu tun sei, dass sie gar nicht mitbekommt, dass Jesus sie offensichtlich in diesem Moment eben nicht als Gastgeberin, sondern als Zuhörerin wünschte.

Wir können ruhig unserer Phantasie ein wenig freien Lauf lassen. Vielleicht hatte Jesus unterwegs, keine 300 m vom Haus entfernt, einen hungrigen Bettler gesehen und wollte die Schwestern bitten, zunächst für diesen einen Bissen Brot und ein wenig Wasser bereitzustellen oder ihm zu bringen. Vielleicht war er auch gar nicht hungrig und wollte sich einfach nur mit beiden unterhalten, ihnen zuhören und sie bitten, ihm zuzuhören.

Offensichtlich hatte Maria besser verstanden, was Jesus, der Gast, von ihnen wollte. Und so war es ihr selbstverständlich, ihm diesen Wunsch zu erfüllen.

Wenn wir nun an den weiteren Verlauf denken, so ist es höchst unwahrscheinlich, dass Maria unentwegt hocken blieb und gar nicht mehr aufstehen wollte. Sicher hätte sie keine Sekunde gezögert, wenn Jesus sie aufgefordert hätte, ihrer Schwester zu helfen oder etwas anderes zu tun. Aber was immer der Inhalt des Gesprächs gewesen sein mag – sicher enthielt es irgendeine Art von Auftrag. Nachdem sie zugehört hatte, war dann auch für sie die Zeit da, sich zu erheben und zu tun, was sie vernommen hatte.

Und genau das ist der entscheidende Unterschied zwischen Maria und ihrer Schwester: Martha werkelt einfach drauflos, ohne vorheriges Zuhören. Maria aber wird ihre Arbeit tun aus einer vorausgehenden Haltung des Zuhörens heraus. Martha ist gefangen in ihren eigenen Vorstellungen von dem, was zu tun sei. Maria gibt den Vorstellungen Jesu Raum, um sich nach diesen zu richten. Martha geht auf in reiner Geschäftigkeit, Maria verbindet Jesu Wort mit ihrem Tun. Martha verliert sich in ihren Sorgen, so dass sie gar keinen Blick mehr für das eigentlich Wichtige hat, für das eine Notwendige, von dem Jesus spricht und das den kleinen Notwendigkeiten des Alltags erst Sinn und Richtung gibt. Maria aber gibt diesem einen Notwendigen den Raum, den es braucht, um so allem anderen Sinn und Ziel zu verleihen.

An dieser Stelle ist es gut, noch einmal innezuhalten, um in den Urtext hineinzuhören. Die neue Einheitsübersetzung übersetzt hier genauer und nicht so sinnentstellend wie die alte. Diese ließ Jesus einfach sagen: Maria hat das Bessere gewählt. Wörtlich aber heißt es: Maria hat den guten Teil gewählt.

Was bedeutet das? Es bedeutet: Das zuhörende, vielleicht auch fragende, bittende, dankende, betrachtende, schweigende Verweilen Marias bei Jesus ist nicht schon das Ganze; nein, es ist nur ein Teil. Es ist daher auch nicht das einzig Notwendige, wohl aber als das eine Notwendige. Es ist der eine absolut notwendige Teil gegenüber allen relativen Notwendigkeiten des Alltags, die es natürlich auch gibt. Warum? Es ist jener Teil, der das Ganze gut macht. Man kann sogar sagen: der auch die Arbeit gebethaft macht, weil sie aus dem Gebet kommt und zum Gebet zurückführt. Maria ist gleichsam wie ein Schwamm eingetaucht in die Atmosphäre Jesu und hat ihn und sein Wort in sich aufgenommen, aufgesogen. Und wie ein Schwamm die Feuchtigkeit hält, auch wenn man ihn aus dem Wasser genommen hat, so ist das auch mit dem Gebet. Ein Tag, der mit Gebet beginnt, ist als ganzer ein anderer als der, in den man hineinstolpert nach der Art: Wecker aus, Radio an, duschen, Zeitung überfliegen, schnelles Frühstück, ins Auto, zur Arbeit, schuften bis zum Feierabend, freie Zeit, fernsehen, schlafen, aufwachen, Wecker aus, Radio an, duschen …, und so weiter und so fort – jeden Tag die gleiche Mühle. Oder: Eine Woche, die mit dem Sonntagsgottesdienst beginnt, ist eine andere als die, die ihn, aus welchen Gründen auch immer, ausspart.

So kann man als Fazit sagen: Jesus will Marthas Einsatz nicht herabsetzen, ihr aber zu verstehen geben: Deinem Tun fehlt noch etwas, ja, ihm fehlt das Entscheidende. Maria hat das verstanden, und das will ich ihr nicht nehmen. Ihr beide zusammen, Martha und Maria, das erst ergibt das Ganze.

Und so gilt: Was immer wir tun – wenn es aus dem Gebet kommt und ins Gebet mündet, trägt es ein Vorzeichen, das sich auf unser Arbeiten auswirkt, es gewissermaßen unter das Vorzeichen Gottes stellt. Denn das Gebet, der Gottesdienst, das Verweilen beim Herrn und das Ihm-Zuhören wirkt weiter und drückt dem Tag, der Woche, ja, allem Tun gleichsam den „Stempel Gottes“ auf. Wenn wir das mitnehmen aus dieser kleinen Erzählung von Jesus und Martha und Maria, dann haben wir viel verstanden darüber, wie es geht, unseren alltäglichen Alltag christlich zu leben. Dass Ihnen und uns allen das mehr und mehr gelinge, das wünsche ich uns sehr.

 

Pfr. Bodo Windolf