1. Adventssonntag (A)

Predigtimpuls

Advent – ein Weckruf für mich und dich!

1. Lesung: Jes 2,1-5
2. Lesung: Röm 13,11-14a
Evangelium: Mt 24,29-44
Zum Kantillieren des Evangeliums: www.stuerber.de

Alte und moderne Weckrufe
Ich mag in der achten oder neunten Klasse gewesen sein. Wenn mein Mathematiklehrer meinte, Ruhe und neue Aufmerksamkeit in der Klasse herstellen zu müssen, nahm er den Zeigestock und schlug damit auf das Lehrerpult. Da wussten wir alle Bescheid. Jetzt hat die Stunde geschlagen. Jetzt müssen wir mit dem Blödsinn oder dem Geschwätz aufhören und uns auf das konzentrieren, was der Lehrer uns vorstellen will.
In den modernen Autos der gehobenen Klasse sind Aufmerksamkeitssensoren eingebaut. Wenn die Augenlider des Fahrers sinken und der Sekundenschlaf aufgrund von Müdigkeit oder Überanstrengung naht, wird der Fahrer durch ein Warnsignal aufgeschreckt und ihm die Ausfahrt zum nächsten Parkplatz nahegelegt.

Erinnern Sie sich auch an einen Weckruf?

Paulus, der Wecker vom Dienst
In der zweiten Lesung haben wir einen Weckruf an die römische Gemeinde vernommen. Die zunächst von vielen erwartete baldige Wiederkunft Christi trat nicht ein. Das hatte zur Folge, dass die Mitglieder der Gemeinde von Rom ein wenig träger wurden, nicht mehr aus dem ersten Elan lebten, den Idealismus der Anfangsphase schleifen ließen. Sie ließen es wohl locker angehen. Paulus dagegen glaubte weiterhin daran, dass Christus bald kommt, und bemühte sich daher, die Mitchristen auf dieses Ereignis der Rettung einzustimmen.

Sein Weckruf lautet: „Bedenkt die gegenwärtige Zeit. Die Stunde ist gekommen.“ Frei könnte auch übersetzt werden: „Hallo! Hey, was machst du da? In welcher Zeit lebst du? Reiß dich zusammen, die Zukunft wird dich einholen.“

Paulus verwendet das griechische Wort ‚kairos‘, um deutlich zu machen, dass es um einen besonders qualifizierten, schicksalsträchtigen Augenblick geht. Er benutzt Sprachformen und Bilder, die auch schon in einigen Gleichnissen Jesu vorkommen. ‚Voll wach sein‘, ‚den Schlaf hinter sich lassen‘, ‚warten wie ein Wächter‘ sind die Vokabeln für die angemessenen Verhaltensweisen, wenn es um das Kommen des Menschensohnes bzw. das Hereinbrechen des Gottesreiches geht. Auch wenn schon einige Zeit seit der Heimkehr Jesu Christi zum Vater verstrichen ist, so bedeutet das doch nur, dass die Christen dem Zeitpunkt der endgültigen Rettung nähergekommen sind als damals, als sie zum Glauben kamen. Und wenn die Zeit nähergekommen ist, die Zukunft also angebrochen ist, dann ist gesteigerte Wachsamkeit notwendig und sinnvoll.

Paulus nimmt für seinen Weckruf das Bild vom aufbrechenden Tag auf. Er gebraucht zur Verdeutlichung Gegenüberstellungen, die dem Leser und Hörer sofort klar machen, worum es geht: Nacht und Tag, Dunkel und Licht, Schlafen und Aufstehen, Ablegen und Anlegen. Der eine Zustand bzw. Prozess geht in einen anderen über. Vor allem der Wechsel der Tagzeiten ist nicht vom Menschen beeinflussbar, hat aber eine nicht unerhebliche Bedeutung für ihn. Der Mensch kann seinerseits nur eine angemessene Reaktion auf den Zeitenwechsel zeigen.

So ein Weckruf erhält seinen Sinn darin, auf die ungute Situation aufmerksam zu machen. Manchmal ist mit dem Weckruf schon alles getan und der Geweckte weiß, worauf es jetzt ankommt. Manchmal ist es aber gut, mit dem Weckruf bestimmte Konsequenzen und Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt zu bekommen. So weisen die mit den Aufmerksamkeitssensoren ausgestatteten Autos den Fahrer auf die nächste Haltemöglichkeit hin und manche bieten darüber hinaus sogar Instruktionen für Dehn- und Steckübungen an.

Paulus belässt es auch nicht nur bei seinem Weckruf. Er hat eine konkrete Vorstellung davon, was jetzt die aufgeweckten – oder sollen wir sagen: aufgeschreckten – Christen tun bzw. lassen sollen, und er schließt sich selbst dabei ein: „Lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts“. Finsternis steht für das Böse, das Schädigende, das Un-heile; Licht dagegen für das Gute, das Heilvolle, das Gottgewollte. Die genannten Tätigkeiten ‚ablegen‘ und ‚anlegen‘ beziehen sich eigentlich auf Kleidung. Hier geht es allerdings um einen existentiellen Kleiderwechsel, der eigentlich schon vollzogen ist. In der Taufe hat der Christ schon Christus angezogen und doch ist es wichtig, dieses immer wieder neu lebensbereichernd zu vollziehen. Denn das faktische Anlegen/Auflegen des Taufkleides im Ritus der Taufe ist nur eine kleine Momentaufnahme und könnte fälschlicherweise verstanden werden als eine Aktion zu einem Topereignis, wie das Tragen des Brautkleides am Hochzeitstag. Das paulinische Bild vom Anlegen der Waffen des Lichts bzw. das Anziehen des Herrn Jesus Christus will deutlich machen, dass es um keine geringe, äußerliche Sache geht, sondern um die tiefe Wirklichkeit, in Gottes Gemeinschaft zu leben. Und so eine Wirklichkeit soll auch das Tun und Verhalten nach außen bestimmen. Dabei hält sich Paulus recht kurz: „Lasst uns ehrenhaft leben wie am hellen Tag“. Eigentlich unterscheidet sich der Christ gar nicht in seinem Tun von anständigen, guten Menschen, die nicht Christen sind. Nur seine Motivation für diesen Lebensstil zieht er nicht aus der bürgerlichen Moral oder philosophischen Lebensweisheiten, sondern aus dem Mitsein mit Jesus Christus. Um die ehrenhafte, anständige Lebensführung doch noch ein wenig deutlicher zu machen, bringt Paulus zur Abgrenzung recht plakativ einen kleinen Lasterkatalog, wobei er vielleicht das Nachtleben der römischen Gesellschaft vor Augen hat: unmäßiges Essen und Trinken, ungezügeltes Sexual- und Rauschleben, ungehöriges Sozialverhalten wie Intrigen und Mobbing. Paulus ist sich dabei bewusst, dass sich Laster und Untugenden nicht nur bei Nachtschwärmern finden lassen, sondern dass es eine Nachtseite bei jedem Menschen gibt. Deshalb stellt er mit dem letzten Satz der heutigen Lesung einen Gegenentwurf, einen alternativen Lebensstil der Christen vor: „Zieht den Herrn Jesus Christus an“. Noch einmal die Erinnerung an die Taufe, noch einmal der Hinweis auf das Geschenk eines neuen Lebens, noch einmal die Aufforderung, Jesus Christus ähnlich zu werden.

Advent – Weckruf zur inneren Ausrichtung
Diese Lesung ist somit ein adventlicher Weckruf für uns. Es geht um die Erneuerung unserer inneren Ausrichtung. Wer seine Lebensführung nach Jesus Christus gestaltet, der weiß, wie er das Miteinander pflegen kann, wie er mit eigenen Bedürfnissen umzugehen hat, wie er erlittenes Unrecht verarbeiten kann und wie er auf die Not anderer Menschen reagieren sollte.

Advent – der Weckruf für dich und mich!

 

P. Konrad Liebscher SVD