4. Adventssonntag (A)

Predigtimpuls

Geheimnislüftung

1. Lesung: Jes 7,10-14
2. Lesung: Röm 1,1-7
Evangelium: Mt 1,18-24
Zum Kantillieren des Evangeliums: www.stuerber.de

Das Geheimnis eines Briefes
Einen echten, privaten Brief – und dann handgeschrieben auf besonderem Papier - zu erhalten, das ist schon ein Geschenk. Er macht schon beim Öffnen des Umschlages neugierig. Denn da kommuniziert jemand mit mir, da hat sich jemand Zeit genommen, da teilt mir jemand etwas mit, da werde ich gefragt, da werde ich mitgenommen in Freud und Leid, in schöne Zeit und schwere Zeit, daheim und auf Reise. Ein persönlicher Brief – das hat etwas. Von daher ist es auch verständlich, dass es ein Briefgeheimnis gibt. Die vertrauensvolle Atmosphäre, die ein Brief schaffen kann, soll nicht zerstört werden. Ich kenne Menschen, die haben ihre empfangenen Liebesbriefe ehrfürchtig bis zum ihrem Tod aufbewahrt.

Paulus, der Briefschreiber
Paulus ist ein professioneller Briefschreiber. Er kennt die Regeln des Briefschreibens seiner Zeit und hält sich auch an sie. Die Reihenfolge: Absender – Adressat – Grußformel wird auch von ihm eingehalten, wie wir in der zweiten Lesung gehört haben.

Paulus schreibt an seine römischen Gemeindemitglieder. Der Anfang seines Briefes hätte lauten können: „Paulus an die Gemeinde von Rom. Friede euch!“ Fertig. Aber nein, Paulus bläst das Schema auf, schreibt fast einen Roman im Briefkopf. Es fängt damit an, dass er nicht nur seinen Namen als Absender nennt, sondern sich gleich ausführlich vorstellt. Was will er den Christen in Rom so dringend mitteilen, dass er es schon im Briefkopf unterbringen muss?

Zunächst beschreibt er sich selbst mit drei Merkmalen: Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel und ausgewählt für das Evangelium. Paulus nennt sich Knecht und weist damit auf zweierlei hin: demütig im Hinblick auf sein Abhängigkeitsverhältnis zu seinem Herrn und selbstbewusst auf sein Beauftragungsverhältnis zu seinem Herrn – und dieser ist der Gesalbte, der Messias Jesus. Sodann bezeichnet es sich als berufener Apostel, wobei er sich nicht einfach als einen Gesandten des Herrn ausgibt, sondern sich dem Apostelkreis zugehörig fühlt, der von Jesus Christus zu einem besonderen Dienst beauftragt wurde. Und sein Auftrag – so führt Paulus aus – ist die Verkündigung der christlichen Botschaft.

An dieser Stelle scheint Paulus einen sehr dringenden Erklärungsbedarf für die frohe Botschaft zu spüren. So erläutert er: Die Frohbotschaft spricht von Gott und ist von ihm autorisiert, sie wurzelt in der Überlieferung und der Hoffnung Israels und sie führt zu Jesus Christus. Dieser – so schiebt Paulus nach – ist der verheißene Nachkomme Davids und seit seiner Auferstehung der bei Gott thronende Sohn.

Paulus stellt also in diesen ersten Zeilen des Briefkopfes klar: Er handelt in Vollmacht, das Evangelium zu verkünden. Das Evangelium aber hat seinen Gehalt und seine Kraft dadurch, dass es Evangelium von Jesus Christus ist. Die Größe und Bedeutung Jesu wird wiederum dadurch eindeutig, dass Gott durch ihn seine Zusage an Israel erfüllt und ihm durch die Auferstehung die Vollmacht gibt, sein Werk in dieser Welt ans Ziel führen.

Paulus kommt zurück auf seine Beauftragung. Von Christus hat er Gnade und Apostelamt empfangen. Beide Begriffe sind miteinander verwoben: Gnade ist nicht nur die Begnadigung von der in der Vergangenheit angehäuften Schuld, sondern auch die Begnadigung für eine neue Aufgabe. Gottes freie und gnädige Zuwendung zu einem Menschen bedeutet, dass dessen Leben in Dienst genommen wird und so Erfüllung und Weitergabe findet. Die Weitergabe hat den ‚Gehorsam des Glaubens aller Heiden‘ zum Ziel. Ein schwieriges Wort. Es geht darum, dass sich alle Menschen Gott ganz anvertrauen um der Botschaft von Jesus willen. Und mit der Wortwahl ‚Heiden‘ – gleichbedeutend mit ‚Nicht-Juden‘ – schlägt Paulus den Bogen zu seinen Brief-Adressaten, die mehrheitlich zu den Menschen außerhalb Israels gehören und doch auch Berufene Jesu Christi sind. Er findet des Weiteren schöne Worte für sie: von Gott Geliebte und berufene Heilige. So zeigt er, dass Gott die Menschen mit seiner Liebe umfängt und sie in seine Gemeinschaft beruft.

Und endlich kommt der Eingangsgruß, der typisch für jüdische Schreiber „Friede“ - „Shalom“ heißt, den Paulus auf seine eigene Art verbindet mit „Gnade“. Und woher kommt beides? Auch das muss Paulus noch schnell hinzufügen, um seinem Gruß die entsprechende Würde zu geben: „von Gott, unserem Vater“ – man beachte den Bezug auf das Jesusgebet und die persönliche Gottesbeziehung – und gleichzeitig „vom Herrn Jesus Christus“, unter dessen heilsamer Macht sich die Menschen bergen können.

Interessanterweise hat unsere zweite Lesung gar nichts aus dem eigentlichen Inhaltsbereich des Römerbriefes vermittelt, sondern „nur“ den Briefkopf wiedergegeben. Aber dieser hatte es in sich, wie wir gemerkt haben.

Die Lüftung eines Geheimnisses
Warum stellt uns die kirchliche Liturgie diesen Briefkopf zum vierten Advent vor? Sein Inhalt steht im Zusammenhang mit den anderen biblischen Texten des Tages, die auf ein Zeichen abstellen und deutlich machen: Gott wirkt wunderbar an seinen Geschöpfen. Er schenkt den Menschen „Immanuel“ – die zutiefst menschennahe Erfahrung „Gott mir uns“. Und dieses geheimnisvolle Wirken Gottes hat Paulus bewusst schon in seinem Briefkopf schlagwortartig – auf Neudeutsch vielleicht auch „Zwitter“-gerecht – vorgebracht.

Einem Brief an einen geliebten Menschen kann ich Geheimnisse anvertrauen. Das tut auch Paulus. Er legt uns jetzt kurz vor Weihnachten das Mysterium (Geheimnis) Christi ans Herz: Gottes Sohn kam als Heilsbringer und Türöffner zur Sphäre Gottes. Wahrhaft eine frohe Botschaft kurz vor Weihnachten! Lassen wir diese auf uns wirken!

 

P. Konrad Liebscher SVD