2. Fastensonntag (A)

Predigtimpuls

Der Mensch gewinnt Ansehen, wenn er angesehen wird

1. Lesung: Gen 12,1-4a
2. Lesung: :Tim 1,8b-10
Evangelium: Mt 17,1-9

„Dinner in the Dark“: das Abendessen im Dunkeln. Damit wirbt ein Veranstalter im Rheinland um potentielle Gäste. Beim freiwilligen Verzicht auf optische Reize kann die Besucherin oder der Besucher dort leibhaftig erleben, was die anderen Sinne tatsächlich leisten können, wenn das Sehen ausgeschaltet wird. Es ist ja tatsächlich so: Erst, wenn man am Auge erkrankt oder gar das Augenlicht verliert, merkt man, welchen Wert dieses Sinnesorgan hat. Unsere Augen bestimmen nämlich in der Tat unseren Alltag viel häufiger, als wir meinen, und sie beeinflussen unser Leben weit mehr, als wir glauben.

Wohin unsere Augen schauen, dorthin wird normalerweise auch unser ganzes Wesen angezogen. Niemand weiß das besser, als die Werbebranche. Mit Farben und Formen arbeitet sie täglich und überflutet so unseren Sehnerv permanent: im Supermarkt genauso wie beim Shoppen im Internet, im Fernsehen ebenso wie auf den riesigen Plakatwänden am Rande unserer Straßen. Vielleicht wäre da einmal ein „Fasten mit den Augen“ in dieser österlichen Bußzeit ganz hilfreich, also der konkrete Verzicht, im Fernsehen zu zappen oder im Internet zu surfen.

Was ich im Alltag sehe, ist oftmals bereits eine Mischung aus objektivem Tatbestand und subjektiver Bewertung. So kann mein ganzes Glücksgefühl am gedeckten Tisch unter Umständen davon abhängen, ob ich mein Glas Wein wirklich schon als halb leer oder noch als halb voll ansehe. Während der Blick ins halbleere Weinglas verschmerzt werden kann, ist es im Hinblick auf meine Mitmenschen schon gravierender: Kann ich beispielsweise nach zwanzig Ehejahren nur noch die Fehler meines Ehepartners sehen oder gelingt es mir, immer wieder den Blickwinkel zu wechseln und auch das Gute und Wertvolle in ihm oder ihr wahrzunehmen? Fragen, denen ich in diesen Wochen vor Ostern nachspüren könnte.

Der Mensch gewinnt Ansehen, wenn er angesehen wird. Das ist wohl auch der Grund, warum sich verliebte Menschen scheinbar ewig lang tief in die Augen schauen können und die Welt um sich herum dabei vergessen. Das ist in der Beziehung zu Gott nicht wesentlich anders. Auch der gläubige Mensch weiß sich von Gott gesehen, geliebt und gewollt. Das erst schenkt ihm wahre Würde und Ansehen. Vielleicht war die Verklärung Jesu auf dem Berg Tabor, von dem das heutige Tagesevangelium spricht, so etwas wie ein erster „Einblick“ der Jünger in die Liebe, die Gott zu seinem Sohn Jesus hat.

Mystiker und große Beter aller Weltreligionen lieben die Zeit der „Betrachtung“, das stille Verweilen im Gebet. „Ich schaue Ihn an, und Er schaut mich an. Das ist genug.“ So antwortete ein alter Mann seinem Pfarrer, als dieser ihn fragte, wie er zu Gott beten würde. Das wiederum erinnert an den biblischen Beter, der zu Gott spricht: „Gott, richte uns wieder auf! Lass dein Angesicht leuchten, dann ist uns geholfen“ (Ps 80,4). Der Volksmund sagt: „Augen sind das Fenster zur Seele“. Tatsächlich ist nichts schöner, als in strahlende Augen zu blicken. Junge Eltern und erst recht die stolzen Großeltern schauen das Neugeborene an, um ihm ein Lächeln zu entlocken. Aber auch Traurigkeit, Schmerz und Lüge kann ich in den Augen eines Menschen wiederfinden. Ich mag da beispielsweise an die müden Augen der Menschen denken, die mit mir in der Früh im Bus sitzen und zur Arbeit fahren.

Auch die Bibel erzählt von vielen „Augenblicken“ Jesu mit seinen Mitmenschen. So schaute er den reichen Jüngling an und gewann ihn lieb (Mk 10,21). Die Pharisäer, die seine Botschaft nicht annehmen wollten oder konnten, schaute Jesus hingegen „voll Schmerz und Zorn“ an (Mk 3,5) und als Jesus Petrus nach dessen dreifachem Verrat anschaute, musste dieser bitterlich weinen (Lk 22,62). In den Osterevangelien schließlich geht es sogar um eine Art „Sehschule“, in die der Auferstandene die Jünger von Emmaus schickt, weil sie „mit Blindheit geschlagen“ sind und offenbar nichts begriffen haben von seiner Botschaft.

Im Grunde geht es also darum, schon jetzt mein Leben mit österlichen Augen anzuschauen, meint Bischof Klaus Hemmerle, wenn er schreibt: „Ich wünsche uns Osteraugen, die im Tod bis zum Leben, in der Schuld bis zur Vergebung, in der Trennung bis zur Einheit, in den Wunden bis zur Herrlichkeit, im Menschen bis zu Gott, in Gott bis zum Menschen, im Ich bis zum Du zu sehen vermögen.“

 

© P. Norbert Cuypers SVD