Allerheiligen (H)

Predigtimpuls

Wer sind diese Heiligen?

1. Lesung: Offb 7,2–4.9–14
2. Lesung: 1Joh 3,1-3
Evangelium: Mt 5,1–12a
Zum Kantilieren des Evangeliums: www.stuerber.de

Der römische Kaiser Hadrian, der sein Reich durch Verteidigungswälle an verschiedenen Fronten wie den Limes absicherte, ließ zwischen den Jahren 120 und 125 n.Chr. in Rom das Pantheon erbauen, einen antiken Tempel, ein Heiligtum aller Götter, auch jener Götter, die in den eroberten Gebieten verehrt wurden. Es ist ein mächtiger zylindrischer Ziegelbau mit einer achtsäuligen Giebelhalle. Der Innenraum ist kreisrund, überwölbt von einer kugelförmigen Kuppel. Im Mai 609 n.Chr. wurde das Pantheon dann der Jungfrau Maria und allen Märtyrern der Kirche geweiht. Dieser Weihetag des Pantheon ist ein Vorläufer zum heutigen Festtag: Allerheiligen wird etwa seit 1000 Jahren am 1. November gefeiert. In diesem Monat setzt die römische Liturgie einen strahlenden Lichtfunken neben schwarzen Novembergedanken, die allerdings auf der Südhalbkugel der Erde keine Rolle spielen.

Die Ostkirchen begehen das Fest Allerheiligen schon kurz nach Pfingsten. Sie weisen damit auf das Wirken des Heiligen Geistes hin als wirkliche Ursache von Heiligkeit. Er ist es, der heiligt und in die Gemeinschaft mit Gott führt, nicht etwa die Heiligsprechung. So bezeichnen die Ost- wie die Westkirchen Allerheiligen als befreiendes und glanzvolles Fest gegen Ende und Angst.

Es soll ja vorkommen, dass kirchlich Orientierte sich sozusagen als Alleinauserwählte fühlen, erhaben über Enge und Angst. Und für andere brauchen sie schon mal Bezeichnungen wie weltorientiert oder Weltkinder. Dabei ist eigentlich gar nicht klar, wie viel an Weltlichkeit es eigentlich braucht, um weltorientiert zu sein. Vermutlich sind das Menschen, deren Leben sich mit Dingen und Geschehen hier und jetzt völlig erschöpft. Oft sind es ja sogar Menschen, die wir bewundern wegen ihres Einsatzes, auch oft wegen ihrer sittlichen Grundsätze, obwohl sie nicht unbedingt bewusst etwas mit Gott zu tun haben. Sie denken nicht darüber nach, ob es noch eine Wirklichkeit gibt, die über dieses Leben hinausreicht. Sie leben einfach nur diesseitig und sind selten von Angst und Enge geprägt. Wenn allerdings unter solchen Umständen doch Angst entsteht und die Frage nach dem Sinn des Lebens, dann ergeben sich massive Probleme und psychosomatische Krankheiten. Oder man versucht es eben durch viel Erleben, Ausleben, sich Durchsetzen, alle möglichen Tätigkeiten über diese Gefühle und Gedanken hinwegzukommen und die Tage und Nächte auszufüllen.

Wahr ist aber wohl auch, dass in jedem von uns so etwas wie ein Weltkind steckt wie auch die Anlage zu einer religiösen Bindung, zu einem „Gotteskind“ also.

Die Heiligen, deren Heiligkeit in einem menschlichen Heiligsprechungsprozess bestanden hat – für mich ein fragwürdiges Verfahren – wären demnach eindeutige Gotteskinder und so dann erhaben über die weltlichen Kinder, jedenfalls offiziell, also so genannte Alpha-Menschen, Helden an der vordersten Front, oft Asketen mit aschfarbenen Gesichtszügen. Heilige, wie gewisse Leute sich eben Heilige so vorstellen.

Allerheiligen will diese Schräglage auf unsere menschliche Augenhöhe bringen. Der Typ von Menschen, der heute gefeiert wird, trägt die Bezeichnung: „Eine Schar, die niemand zählen kann!“ Ihre Namen stehen nicht im Kalender. Gefeiert werden an diesem Tag eigentlich jene, die von der Bühne des Lebens oft als untauglich weggeschoben wurden, deren Lebensaufgabe unvollkommen blieb. Die Nachwelt gibt ihnen offiziell keine Chance, vom Planeten Erde weg direkt in den Himmel zu marschieren. Es gibt sogar „Erleuchtete“, die glauben zu wissen, wie lange solche Menschen wie wir zu büßen hätten und wie viele Ablässe nötig wären, um uns nun doch noch die Möglichkeit zu erhalten, in den Himmel zu kommen.

Nein, Allerheiligen lädt ein, auf einen barmherzigen Gott, der wie Vater und Mutter ist, zu hoffen, der also nicht mit der Stoppuhr gute und schlechte Zeiten misst und nach Aktenlage Recht spricht. Allerheiligen will dazu beitragen, dass unser Leben ein Fest werde, ein Mahl, an dessen gedecktem Tisch der heilige Benedikt in der Festrede schließt mit den Worten: „Sooft du etwas Gutes zu tun beginnst, erflehe zuerst im Gebet, dass dein Werk vom einzigen Guten vollendet werde!“ Denn alles Gute kommt von ihm, aus uns selbst können wir doch nichts Gutes tun. Auch Martin Luther lebte von dieser Einsicht.

Aber da bleibt doch noch für einige von uns zumindest diese geheimnisvolle Zahl
144 000. Die moderne Bibelauslegung erkennt darin ein Zahlenspiel als Schlüssel zum Aufschließen der Enge und Befreien aus der Angst. Land, Meer und Bäume weisen hin auf die Zahl drei: Drei steht für das Göttliche, Allumfassende. Die genannten vier Engel stehen für den Kosmos, das All, mit den vier Himmelsrichtungen. Drei mal vier ergibt 12 als Zeichen, Symbol für göttliche Fülle. Multiplizieren wir die Zwölf mit der Zwölf, also 12 X 12, ergibt sich 144. Dieses Zahlenspiel weist eine Symbolik auf, welche unübersehbare Fülle meint. Aber noch nicht genug: Diese Fülle wird in eine gigantische Höhe getrieben durch die Multiplikation mit tausend. So weist die Symbolzahl 144 000 auf Grenzenlosigkeit hin. Sie ist für unser Verständnis unfassbar groß. Es geht um eine Zahl von Menschen aus allen Völkern, die niemand zählen kann. Wem das nicht genügt oder schleierhaft vorkommt, lese einmal im Johannesevangelium nach (Joh 12,32). Da unterstützt Jesus diese Berechnung mit den Worten: „Wenn ich über der Erde erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen.“ So wäre dann jede, jeder von uns aus Sternenstaub gemacht, ein Licht im Universum, Mitglied von Allerheiligen. Amen.

                                                                            (gehalten am 01.11.2018 in Emsdetten)

 

P. Hermann J. Schnieders SVD