14. Sonntag im Jahreskreis (A)

Predigtimpuls

Sehnsucht und Erfüllung

1. Lesung: Sach 9,9-10
2. Lesung: Röm 8,9.11-13
Evangelium: Mt 11,25-30

1. Die Kraft der Sehnsucht
,Alles beginnt mit der Sehnsucht‘, sagt die Dichterin Nelly Sachs. Ja, die Sehnsucht ist eine mächtige Kraft, die den Menschen in seine Zukunft hineintreibt. In ihr träumt er sich in ein Leben, in ein Dasein und in eine Welt hinein, die ihre gegenwärtigen Gestalten weit übersteigt. Aus ihr entfaltet er Bilder eines gelingenden Lebens, eines erfüllten Daseins und einer heilen Welt, die ihn animieren, sich darauf zuzubewegen. Je stärker die Sehnsucht aufblüht, umso glühender, farbiger und bunter gestalten sich diese Bilder und das Vermögen, sie Wirklichkeit werden zu lassen.

2. Das Sehnsuchtsbild des Sacharja
Die Sehnsucht spielt bei den Menschen der Bibel eine große Rolle. Vor allem die Propheten finden in ihr die Quelle für ihre starken, attraktiven und faszinierenden Bilder einer neuen, erfüllten messianischen Zukunft. Aus ihr speist sich auch die Botschaft des Propheten Sacharja, die wir in der 1. Lesung hören. Die Sehnsucht nach dieser Zukunft lässt ihn einen König sehen, der in Jerusalem, dem Zentrum seiner Lebenswelt, auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin, sitzend einzieht. Das, was er hier sieht, zeigt sich ihm als ein sprechendes Bild und Symbol für einen königlichen Lebensentwurf, der alle bisherigen Entwürfe überschreitet. Dieser Lebensentwurf setzt nicht auf Macht, Gewalt, Herrschaft, Terror und Unterdrückung, jene zerstörerischen Programme, die letztlich alles ins Chaos treiben. Er setzt auf Demut, das heißt auf jenen Mut zum Dienen, der nach den Quellen sucht, die das Leben Jerusalems, der Tochter Zions, der Menschen, die sich in ihr und um sie zentrieren, und der Völker überhaupt auf die Spur des Gelingens bringen. Deswegen entfaltet diese königliche Gestalt ein therapeutisches Handeln, das zu Gerechtigkeit und Frieden führt. Sie schafft einen Lebensraum, der von diesen beiden Grundpfeilern getragen, den Menschen eine Heimat und Geborgenheit schenkt, in der sie versöhnt mit sich, mit anderen und der Welt leben können. Sie erfahren den Prozess einer fundamentalen Heilung, der sie etwas von dem endzeitlichen Heil, das sie ersehnen, erblicken lässt. Gerade darin enthüllt sich diese königliche Gestalt als Repräsentant Jahwes, des ,Ich-bin-da‘, der sich leidenschaftlich für das Gelingen des Lebens seines Volkes und der Menschen überhaupt einsetzt. Das lässt die Menschen in Freude und Jubel ausbrechen. Sie erfahren eine frohmachende Botschaft, die sie aufatmen lässt.

3. Seine Erfüllung im Jesusgeschehen
Als die Jüngerinnen und Jünger Jesu im Lichte ihrer Jesuserfahrung diese Botschaft des Sacharja hörten, sahen sie sie im Jesusgeschehen erfüllt. Jesus erfuhren sie als den königlichen Menschen, der aus einer ungeahnt dichten Gemeinschaft mit dem Jahwe-Gott, den er seinen Vater nennt, sein Leben entwirft und sich für das Gelingen des Lebens einsetzt. Wenn dieser Jesus im Evangelium spricht: „Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“, dann legt er damit die Dichte dieser Gemeinschaft aus. Sie ist so überraschend, ungeahnt und neu, dass sie den Weisen und Klugen, das heißt denjenigen, denen in ihrem Wissen und ihrer Klugheit ihre Gottessehnsucht abhandengekommen ist, verborgen bleiben muss. Sie enthüllt sich aber denen, die angesichts ihrer Gottessehnsucht mundtot gemacht oder selbst sprachlos geworden sind, die sich aber dennoch von ihr leiten lassen. In ihrer Jesusbegegnung dürfen sie die Erfüllung ihrer Gottessehnsucht erleben. Sie eröffnet ihnen den Lebensraum, in dem sie selbst darin beheimatet und geborgen, erfahren dürfen, was Frieden und Gerechtigkeit, jetzt sehr persönlich gefärbt, bedeuten. Sie dürfen eine fundamentale Versöhnung und Heilung kennenlernen, die ihr Leben zu Rrecht bringt, ihnen die Kraft schenkt, ihr mühevolles, lastvolles und überbürdetes Leben zu bejahen, anzunehmen und in seine Zukunft führen zu lassen. Die Jesusbegegnung – Jesus lädt dazu ein – zeigt ihnen, dass das letzte Geheimnis ihres Lebens ihnen gnädig und gütig zugewandt ist und in der Gestalt Jesu mit ihnen geht. In ihm können sie die existentielle Ruhe und das rettende Aufatmen, das ihr Leben auf die Spur des Gelingens bringt, finden. Als so zurechtgebrachte, geheilte und versöhnte Menschen geht von ihnen eine Gerechtigkeit und Frieden schaffende Wirkung aus, die das Antlitz des Lebens und der Welt verwandelt. Ein neues Leben beginnt mit einer großen Hoffnung auf Erfüllung.

4. Einladung an uns
Das Sehnsuchtsbild, das Sacharja entwirft und das sich in Jesus erfüllt, gehört nicht der Vergangenheit an. Es ist lebendig wie eh und je und lädt auch uns ein, seine Lebensbotschaft und Lebenskraft zu erproben. Es hält uns rege, wach und lebendig und führt uns jener Zukunft entgegen, die wir hoffentlich ersehnen.

[Anmerkung der Redaktion: Die von P. Janicki verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1996; S. 274f]

 

P. Franz-Josef Janicki SVD