16. Sonntag im Jahreskreis (A)

Predigtimpuls

Der Weizen und das Unkraut

1. Lesung: Weish 12,13.16-19
2. Lesung: Röm 8,26-27
Evangelium: Mt 13,24-43

1. „Er geht nicht mehr zur Kirche“
Wir alle erleben es in unserem Bekanntenkreis, ja auch in unserer Verwandtschaft: Wir haben unseren Sohn – unsere Tochter „christlich erzogen“, ihn auf ein christliches Gymnasium geschickt. Dann kam die Bundeswehr oder das Studium an der Universität – seitdem will er (sie) nichts mehr von der Kirche wissen. „Wer hat das Unkraut gesät?“ Und die Eltern fragen sich besorgt: Was können wir tun, wie können wir ihn (sie) zum Glauben zurückführen?
Die Tatsache, dass „er nicht mehr geht“, bedeutet zunächst noch nicht, dass er keine Fragen mehr hätte. Sie gilt es neu bewusstzumachen. Man kann durchaus traditionelle, für den Augenblick aber nicht mehr nachvollziehbare Formen aufgeben, aber es bleibt das Gefühl – oder es wächst jetzt erst eigentlich: Mir fehlt etwas. Mein Berufsalltag und der nächste Sommerurlaub, das kann doch nicht alles sein.

2. Sich und anderen Zeit lassen
Und nun gibt uns das Evangelium zunächst eine Antwort, wenn es zur Geduld mahnt. So wie es eine Lebensbiographie gibt, so auch eine Glaubensbiographie. Wenn der Glaube etwas Lebendiges ist, dann braucht er Zeit zum Wachsen. Dann kann er sich verändern. Dabei gibt es auch Irrwege und Umwege. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Gute und das Böse Geschwister sind, die dem gleichen Boden entstammen. Wieviel Schaden haben in der Geschichte die fanatisch Guten angerichtet, die die Welt von allem Unheil befreien wollten! Wie oft machen wir Erwachsenen als Eltern oder Lehrer große pädagogische Fehler, weil uns die Geduld oder die Nerven fehlen! Mit dem Kampf um die reine Lehre, den wahren Glauben, die echte Moral und die einzig richtige Pädagogik ist viel zerstört worden; viele Unschuldige wurden auf dem Scheiterhaufen als Unkraut verbrannt; viele missverstandene Kinder wurden als missraten eingestuft und blieben chancenlos. Auf dem „Unkraut-Ex“ liegt kein Segen! Auf Dauer wird der Boden vergiftet; dann wächst nichts mehr! Auch wenn Eheleute ständig bei ihrem Partner das Unkraut ausreißen wollen, wird Klima vergiftet. Deshalb stellt uns Jesus mit seinen Gleichnissen oft die Geduld Gottes vor Augen, die er mit uns hat. Und dann sagt er einmal sehr ernst: „Was siehst du den Splitter im Auge deines Nächsten und den Balken im eigenen Auge siehst du nicht.“ Und der Weizen im Evangelium wächst auch nicht schneller, weil man ständig an ihm zerrt und zupft. Und wenn ich allzu früh an ihm hantiere, könnte es sein, dass ich ihn mit dem Unkraut verwechsle. Wohl aber muss man die Saat ans Licht bringen und begießen – d. h. auch um Regen beten – und zwar rechtzeitig und andauernd. Und so mahnt uns der Herr: „Lasst erst mal beides miteinander wachsen!“ Und so gibt es eine wichtige Lebensregel: Siehe im anderen zunächst einmal das Gute, anerkenne seine Qualitäten, fördere das Schöne in ihm, ermutige ihn bei seinen Interessen, dann erledigt sich das „Unkraut“ oft von selbst. Das menschliche Herz ist ein Biotop, in dem sich alle Lebenspflanzen entfalten können.

3. Glaube als Existenzvermittlung
Den jungen Menschen von heute, die ehrlich ringen, geht es zunächst nicht um Detailfragen, sondern um das grundsätzliche Problem des Nicht-Glauben-Könnens. Ob der Papst unfehlbar ist und ob die Erweckung des Lazarus sich genau so abgespielt hat, interessiert zunächst weniger als die Frage: Wie bringe ich den Glauben und das, was meinen Alltag ausmacht, in Verbindung? Kurz: Was bringt mir die Liturgie, was bringt mir der Glaube? Wie hilft er mir, intensiver, freier und mit mehr Perspektive zu leben? Theologie wird für viele dann zur spitzfindigen Haarspalterei, wenn sie ihre lebendige Kraft nicht erfahren können. Gefragt ist die Zeugenschaft vieler. Wenn ich als „Glaubensloser“ oder „Suchender“ in diese Kirche komme, oder in Ihre Gemeinde zu Hause, oder in Ihre Familie, und ich spüre, hier ist irgendwie ein anderer Geist als „draußen“; ich weiß zwar noch nicht, was diesen Geist ausmacht, aber die Menschen hier beeindrucken mich durch ihre Offenheit, Fröhlichkeit, Toleranz, durch ihre Hoffnung und den ganzen Umgang miteinander, dann werde ich neugierig und frage: Woher kommt das?

Und so erzählen unsere Missionare, wie sie heute zunächst sehr lange mit den Einwohnern des Landes zusammenleben, um einfach in allen Fragen für sie dazu sein; irgendwann kommt die Frage: Pater, warum bist du eigentlich zu uns gekommen? Dann kann er von seinem Glauben erzählen, ihn weitergeben. In Taize sagt man: Lebe das, was du heute vom Evangelium begriffen hast, und du wirst auch den nächsten Schritt finden. Jedenfalls geht Glaubensvermittlung nur über den Kontakt mit anderen, auch wenn Eltern manchmal nichts anderes übrig bleibt, als ihren Kindern das vorzuleben, was ihnen wichtig ist.

Evangelisation meint nicht missionarische Penetranz, die sich aufdrängt. Es geht um Feingefühl, um Zwischentöne, um Warten-Können, Geduld. Aber es geht dann um Deutlichkeit und Direktheit, wenn der richtige Augenblick gekommen ist.

Wir haben verlernt, über unseren Glauben zu reden. Christen neigen zu Extremen: Einige sind fanatisch, die meisten verschämt oder zumindest sehr unsicher. Hier gilt das Wort: „Rede nicht, bevor du gefragt wirst, aber lebe so, dass du gefragt wirst!“ Ich erinnere hier nochmals an das bekannte Wort von A. de Saint Exupery: „Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“

4. Miteinander, füreinander, aneinander wachsen
Eltern müssen unbedingt das Gespräch (miteinander) suchen, wenn sie erfahren, dass „er (sie) nicht mehr zur Kirche geht“. Wenn sie und wir alle die Fronten aufzubrechen versuchen, kann es sein, dass beide Seiten völlig neue Wirklichkeiten erfahren. Wir dürfen gerade da auf die Einheit im Geiste Jesu hoffen, wo wir uns momentan nicht mehr verstehen. Uns fehlt leider oft eine ganze Portion Toleranz. Damit zeigen wir dann auch eine eigene große Unsicherheit.

Wie faszinierend ist die Gelassenheit des heutigen Evangelientextes! So kann nur jemand aus ganz tiefem Glauben und Vertrauen sprechen. Übrigens: aus allen Gleichnissen vom Himmelreich spricht auch die feste Überzeugung, dass der Herr selbst das Gute ausgesät hat und für dessen Wachstum Sorge trägt. Sie laden uns ein, die wir uns um die Aussaat des Guten mühen – sei es in der religiösen Erziehung der Kinder, sei es als Versuch, die Menschen zu einem Leben nach dem Evangelium zu bewegen -, darauf zu vertrauen, dass Gott diese Saat auch aufgehen, wachsen und Früchte bringen lässt, wenn wir wachsen lassen, wenn wir aneinander und miteinander wachsen. Und da wir uns selbst gehalten und ausgehalten wissen, können wir auch leichter andere aushalten und ertragen, selbst wenn wir meinen, dass ihre Haltung und Meinung mehr dem „Unkraut“ gleicht.

5. Ich schließe mit einer kleinen Meditation:
Geh deinen Weg, wie ich den meinen suche, zu dem Ziel, Mensch zu werden. Unterwegs begegnen wir der Wahrheit, der Freiheit und uns selbst. Unterwegs wächst und reift eine Weggemeinschaft, die uns befähigt, anderen Rastplatz zu sein und Wegweiser!

Du und ich gehen den Weg.

[Anmerkung der Redaktion: Die von P. Schmitz verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1996; S. 279-281]

 

P. Josef Schmitz SVD