27. Sonntag im Jahreskreis (A) – Erntedank

Predigtimpuls

Sorge

1. Lesung: Jes 5,1-7
2. Lesung: Phil 4,6-9
Evangelium: Mt 21,33-44

„Sorge dich nicht, lebe“ - vielleicht kommt Ihnen das bekannt vor. Es ist der Titel eines Buches von Dale Carnegie. Das populärwissenschaftliche Werk erschien zum ersten Mal vor 70 Jahren und wurde seither zigmal neu aufgelegt und millionenfach in gedruckter Form oder als Hörbuch verkauft. Mich wundert das nicht, denn so ein Titel spricht die Menschen an – in diesen Zeiten vielleicht besonders. Denn die Sorgen sind groß – nicht nur um die Gesundheit, sondern auch existentielle Sorgen, weil Restaurants und Geschäfte nicht mehr laufen oder gar schließen mussten, weil zig Jobs gefährdet sind oder zumindest Kurzarbeit angesagt ist. Dazu kommen die Sorgen um das soziale Miteinander: Einerseits ist man gezwungen, auf teilweise engem Raum mehr Zeit miteinander zu verbringen infolge von Homeoffice und Homeschooling, andererseits sind Kontakte und Begegnungen nicht mehr möglich bei Festen, in Vereinen, am Arbeitsplatz, in der Schule und auch im kirchlichen Umfeld. Da ist die Sehnsucht schon groß nach Befreiung von diesen Belastungen. Die Erfüllung solcher Sehnsucht verheißt so ein Titel. Gleichzeitig mag es aber auch sein, dass Menschen so ein Titel fast wie Hohn vorkommt, gerade in Zeiten von Corona: „Wie soll man sich da nicht sorgen? Und vor allem: Was heißt hier leben?“

Und dann fordert Paulus heute in der Lesung: „Sorgt euch um nichts, sondern bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten mit Dank vor Gott!“ Diese Forderung richtet sich heute an uns und damit auch an all jene, die mit den gerade erwähnten Sorgen belastet sind. Ob Paulus bei all denen auf ein offenes Ohr stößt – nun ja, die Hoffnung stirbt zuletzt, aber ich habe da doch erhebliche Zweifel, noch dazu, da die paulinische Forderung ja noch weitergeht: Nicht nur in jeder Lage sollen/können wir unsere Bitten vor Gott bringen, sondern sie gleich mit Dank verbinden. Das setzt schon ein großes Gottvertrauen voraus, das davon ausgeht, dass Gott unsere Bitten erhört und erfüllt. Hohe Erwartungen an Gott, hohe Erwartungen auch an die Menschen, die Paulus da impliziert.
Und wie er es formuliert, mag in manchen Ohren provokativ klingen.

Hohe Erwartungen an die Menschen hat auch Gott. Davon zeugen die Worte der ersten Lesung und die kommen auch zum Ausdruck im Gleichnis von den bösen Winzern, das wir gerade im Evangelium gehört haben. Und auch die Formulierungen des Jesaja und Jesu mögen in manchen Ohren provokativ klingen. Der Weinberg steht in beiden Reden für Fruchtbarkeit, Fülle, Freude, mit einem Wort für Leben, halt genau das, was Gott für die Menschen will. Deshalb hat er seinen Bund mit Israel geschlossen, Israel zu seinem Volk gemacht. Aber was macht dieses Volk: Es lebt nicht nach den Maßstäben von Recht und Gerechtigkeit. Damit gemeint ist nicht die korrekte Erfüllung irgendwelcher rechtlicher oder ritueller Vorschriften. Gefragt ist die rechte Haltung, die Haltung, in der sich die göttliche Haltung widerspiegelt. Gott „hoffte auf Rechtsspruch - / doch siehe da: Rechtsbruch, auf Rechtsverleih - / doch siehe da: Hilfegeschrei.“ Die Enttäuschung Gottes ob dieses Verhaltens seines geliebten Volkes ist verständlich und groß. Die Folge: Der Bund steht in Frage, der Bund, der geschlossen wurde, damit es den Menschen gut geht, allen Menschen.

Jesaja ist einer der Propheten, die Gott zu den Menschen schickt, um sie wachzurütteln, ihnen mit deutlichen Worten, teilweise harten Worten klar zu machen: Wenn ihr nicht aufpasst, wenn ihr nicht anfangt, so zu reden und zu handeln, dass Recht und Gerechtigkeit spürbar, erfahrbar, wirkmächtig sind – Paulus würde sagen: wenn ihr nicht das tut, „was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert, ansprechend ist, was Tugend heißt und lobenswert ist“ –, dann ist Schluss. Was letztlich passieren wird, macht Jesus in seiner Rede an die Hohenpriester und Ältesten unmissverständlich klar. Er greift das Bild des Weinbergs auf, weil er feststellen muss, dass auch zu seiner Zeit die Erwartungen Gottes nicht erfüllt werden, dass sein auserwähltes Volk immer noch an Recht und Gerechtigkeit vermissen lässt. Alles prophetische Reden, selbst Provokationen und Drohungen im Stil des Jesaja haben nichts genutzt. Sogar vor einem Mord scheuten die Pächter nicht zurück. Die Konsequenz: Der Weinberg wird ihnen weggenommen werden.

Diese Aussage ist natürlich im historischen Kontext zu sehen. Als Matthäus sein Evangelium verfasste, hatte die junge Kirche schon die ersten Schritte weg vom Judentum gemacht, war nicht mehr nur der neue Weg im Judentum, sondern war dabei, zur Weltkirche zu werden. Diese junge Kirche hat Matthäus auch im Blick, die Ansage gilt auch ihr: Der Weinberg, der Euch jetzt gegeben, verpachtet wird, der kann Euch auch wieder weggenommen werden.

Und auch uns kann das passieren, denn das Bild vom Weinberg greift immer noch, gilt immer noch, uns als Kirche und jedem und jeder Einzelnen von uns als Teil dieser Kirche, als Christ und Christin. Auch uns ist der Weinberg anvertraut als Pächterinnen und Pächter, damit wir darin arbeiten und dafür Sorge tragen, dass er gute Früchte bringt, keine sauren Trauben, sondern Trauben, die schon so schmecken, und aus denen Wein werden kann, der das Herz des Menschen erfreut.

Da ist es wieder, dieses Schlüsselwort der heutigen Schrifttexte: Sorge.
Ja, wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott für uns sorgt, und müssen uns deshalb nicht sorgen.
Und ja, Gott vertraut uns, dass wir sorgen für seinen Weinberg, uns anvertraut, seine Welt, seine Schöpfung.
Sorgt euch nicht, aber sorgt dafür,
- dass der Friede möglich ist oder wird: in unseren Familien, in unserer Gesellschaft, zwischen den Nationen;
- dass die, die auf der Strecke zu bleiben drohen, gesehen und mitgenommen werden;
- dass die, die nicht imstande sind, ihre Stimme zu erheben und für sich zu sorgen, Fürsprecherinnen und Fürsprecher in uns haben;
- dass ein sorgsamer Umgang mit den Ressourcen, die Natur und Technik für uns bereitstellen, garantiert ist, damit sie auch zukünftigen Generationen noch zum Leben dienen;
- dass Rücksicht und Verständnis unseren Umgang miteinander prägen, insbesondere angesichts der besonderen Herausforderungen der Corona-Krise;
- dass die Kirche sich nicht auf falsche Sicherheiten verlässt, die sie blind und taub macht für das, was die Menschen brauchen, wirklich brauchen.

Ich wünsche Ihnen, ich wünsche uns allen, das Vertrauen, dass Gott für uns sorgt.
Ich wünsche Ihnen, ich wünsche uns allen, die Bereitschaft, dafür Sorge zu tragen, dass Leben für viele, Leben in Fülle ermöglicht wird.
Und ich wünsche Ihnen, ich wünsche uns allen, dass wir jeden Tag einen Grund sehen, Gott dafür zu danken, dass wir uns nicht sorgen müssen, aber sorgen dürfen für die Welt und die Menschen, die er uns anvertraut hat.

Maria Gleißl, Pastoralreferentin