32. Sonntag im Jahreskreis (A)

Predigtimpuls

Ihn mit brennenden Lampen erwarten

1. Lesung: Weish 6,12-16
2. Lesung: 1Thess 4,13-1 8
Evangelium: Mt 25,1-13

Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen, den fünf klugen und den fünf törichten, hat Prediger aller Zeiten inspiriert: Sie deuteten das Öl in den Lampen als gute Werke oder als Tugenden der Seele, als brennende Sehnsucht nach dem wiederkommenden Christus, als Bedingung für die Erlösung und das Eingehen in die himmlische Herrlichkeit.

Tatsächlich steht das Gleichnis im Matthäusevangelium im Zusammenhang mit der Erwartung des Richters Christus am Ende der Zeit. Für den Evangelisten ist klar, dass die Jungfrauen damit rechnen müssen, dass sich die Wiederkunft verzögert, sie dürfen weder müde werden noch das Öl in ihren Lampen ausgehen lassen. Den Hochzeitsbräuchen zur Zeit Jesu entsprechend sind die Frauen, die den Bräutigam erwarten, von großer Bedeutung für das Fest 1). Würden alle ihre Lampen erlöschen, wäre dies auch eine große Schande für den Bräutigam und Braut, sie würden zum Gespött des Ortes. So wird auch die Entscheidung der klugen Jungfrauen verständlicher, nicht teilen zu wollen. Sie haben mit ihrer zunächst unsozial wirkenden Entscheidung das Fest und die Ehre des Bräutigams gerettet 2). Wir dürfen dieses Gleichnis als eine Beschreibung des christlichen Lebens verstehen, im Hinblick auf den einzelnen, im Hinblick auf das kirchliche Leben: Es ist eine Geschichte, die von der Bedeutung der Erdenzeit spricht; eine Geschichte der Warnung vor dem Verpassen einer Chance, die nicht mehr wiederkommen wird; ein Gleichnis, das verdeutlicht, dass ich in den Grundentscheidungen meines Lebens nicht vertreten werden kann; eine Geschichte, die deutlich werden lässt, wie mein Verhalten den Zugang zum kommenden Bräutigam für andere erhellen oder verdunkeln kann.

- Die Bedeutung der Erdenzeit
Papst Franziskus hat uns in seiner letzten Enzyklika „Fratelli tutti“ („Alle Menschen sind Geschwister“) einen Text geschenkt, der unsere Verantwortung für unsere Welt eindringlich in vielen Facetten konkretisiert. Er verbindet innere Haltungen mit dem konkreten Tun des einzelnen, der Kirche sowie der universalen Gemeinschaft. Das Öl in den Lampen der Jungfrauen ist demnach nicht allein die innere Tugend, sondern immer gleichzeitig das Handeln, sowie die sozialen und politischen Folgen. Der Papst bringt es auf den Punkt: „Ich habe den großen Wunsch, dass wir in dieser Zeit, die uns zum Leben gegeben ist, die Würde jedes Menschen anerkennen und bei allen ein weltweites Streben nach Geschwisterlichkeit zum Leben erwecken. (…) Träumen wir als eine einzige Menschheit, als Weggefährten vom gleichen menschlichen Fleisch, als Kinder der gleichen Erde, die uns alle beherbergt, jeder mit dem Reichtum seines Glaubens oder seiner Überzeugungen, jeder mit seiner eigenen Stimme, alles Geschwister.“ (FT 8) Das Bild der wartenden Frauen aus dem Evangelium ist im positiven Fall kein ungeduldiges oder verträumtes Herumsitzen, sondern die aktive Sorge für die Zeit und die Welt, in der wir leben. Die brennende Lampe aus Mt 25 meditiert der Papst mit anderen biblischen Geschichten als Bild der Liebe. Diese Liebe zeigt sich in der Einstellung zu jedem anderen Menschen als Bruder oder Schwester, als Wertschätzung und Respekt vor der Persönlichkeit eines anderen Menschen. Aber es bleibt nicht bei der inneren Haltung: Die Liebe muss sich ausdrücken in der Hilfsbereitschaft, der Bereitschaft, sich zu verändern; sie muss sich zeigen in einer Frömmigkeit, die nicht ausgrenzt, sondern einschließt. Und sie muss bereit sein zu politischen Konsequenzen, die sich nicht in schönen Worten und Lippenbekenntnissen erschöpfen. Ähnlich wie in der Umweltenzyklika „Laudato si“ macht Papst Franziskus auch in diesem Schreiben deutlich, dass es nicht genügt, auf die große Politik oder „die da oben“ zu warten. Jeder und jede hat Möglichkeiten, dieses Netz der Liebe zu knüpfen: in einer Form der Begegnung, in der dieser Respekt erfahren werden kann, in einer Offenheit auch für die fernen Nächsten, in der Wachsamkeit für den Menschen in Not am Weg, in der Wahrnehmung von Ausgrenzung und Armut vor der eigenen Türe. Es hilft also nicht, über das ausgehende Licht in der Welt zu klagen, vielmehr gilt es, die eigene Lampe am Brennen zu halten.

- Die Gefahr einer verpassten nie wiederkehrenden Chance
Tatsächlich gibt es Zeitpunkte, die zum Handeln auffordern, die verpasst werden können. Das Leben ist nicht einfach eine Wiederholung beliebiger Augenblicke. Es gibt Türen, die sich nie mehr öffnen, wenn sie einmal verschlossen sind. Der Papst nennt zahlreiche Beispiele, die die Welt auf einem Weg zeigen, der auch ein Weg verpasster Chancen ist. Gab es einmal Bestrebungen eines einmütigen Europa, gibt es heute die Tendenzen zur Abschottung, zu neuen Nationalismen und zum Populismus einfachster Antworten, die spalten statt einen. Gab es eine Zeit der Abrüstungsbemühungen, sind wir weltweit auf einem neuen Weg neuer Aufrüstung und Waffengewalt. Nach der Erfahrung von Freiheit, der Bedeutung der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte sind wir auf einem Weg der Lüge, der Beliebigkeit, eines neuen Hasses und einer auch alltäglich wahrnehmbaren Menschenverachtung. Es kann ein Zeitpunkt kommen, dass sich Menschen derart an die hier nur angedeuteten Entwicklungen gewöhnen, dass Egoismus und die Abwertung anderer zur Normalität würden. Damit wäre ein Zeitpunkt verpasst, negative Prozesse aktiv zu stoppen.

Es gibt auch verpasste Chancen in der Geschichte der Kirche. Wir ringen derzeit, nicht nur in Deutschland, um die Frage einer dem Evangelium angemessenen Verkündigung und Praxis der Kirche. Nicht wenige Stimmen mahnen an, dass es für einige Themen bereits zu spät ist. Und da will ich nicht nur die bekannten „Reizthemen“ nennen, zumindest sind Geschlechtergerechtigkeit, die Frage nach der priesterlichen Lebensform, die kirchliche Bewertung menschlicher Sexualität für manche solche Reizthemen. Es ist vielleicht auch schon zu spät für eine überzeugende Glaubensweitergabe. Nicht nur die Menschen in Ostdeutschland haben sich weitgehend an ein glückliches Leben ohne Gott, Evangelium und Kirche gewöhnt. Auch in Westdeutschland und in großen Teilen Europas hat man sich auf breiter Fläche in einem Leben ohne religiöse Praxis gut und zufrieden eingerichtet, so dass Generationen wegbrechen werden oder schon weggebrochen sind, trotz guter Ideen in den kirchlichen Orten und viel Engagement. Pastoraltheologen und Soziologen halten diesen Prozess mittlerweile für unumkehrbar 3). Bei vielen ist die Wirklichkeit noch nicht im Bewusstsein. Dies spricht nicht gegen die aufgetragene Mission, zeigt aber, dass die Entwicklung nie durch einen einzelnen Grund bedingt verläuft. Und auch im eigenen Leben kann ich Chancen verpassen, die nicht mehr wiederkommen: die Gelegenheit zum Gespräch, zur Versöhnung, zur richtigen Prioritätensetzung. Dennoch geht es um das Licht der Hoffnung, das die Lampen der Jungfrauen symbolisieren. Christus hat nicht aufgehört, die Samen des Guten zu säen. Es schreitet Christus weiter durch die Zeit, und er braucht Menschen, die ihm den Weg bereiten und die ihm Raum geben. Und natürlich gibt es diese Menschen, und es wird sie geben.

- In den Grundentscheidungen meines Lebens kann mich niemand vertreten
Manche stolpern beim Lesen des Gleichnisses über die Unbarmherzigkeit der fünf klugen Jungfrauen. Sie geben von ihrem Öl nichts ab. Damit retten sie jedoch die Hochzeitsfeier als Ganze. Die Kirche ist eine Glaubensgemeinschaft, und jeder einzelne lebt von der Beziehung zu jemand anderem. Christlicher Glaube ist immer ein Beziehungsgeschehen. Und dennoch muss jeder und jede den eigenen Glaubensweg gehen, die eigene Lampe am Brennen halten, die ganz persönliche Antwort auf den Ruf des Bräutigams geben. Vor dem wiederkommenden Christus werde ich persönlich stehen, und ich werde mein Leben ihm in die Hände geben. Es mag manche äußeren Umstände geben, die mein Leben beeinflusst haben, aber die Grundentscheidung für oder gegen ihn (wenn ich ihn denn kennengelernt habe!) oder eine Entscheidung für oder gegen Menschlichkeit liegt in der je eigenen Verantwortung. Diese kann niemand an jemand anderen delegieren. In dieser Frage spricht das Gleichnis eine deutliche Sprache.

- Die Frauen im Gleichnis haben Einfluss auf das Ansehen des Bräutigams
Christus will in dieser Weltzeit nicht ohne den Menschen handeln. Dieses Grundprinzip durchzieht die gesamte Heilsgeschichte. Wir sind seine Hände und Füße. Es stimmt, dass mancher den Zugang zum Glauben nicht findet oder verliert, weil das „Bodenpersonal“ so unglaubwürdig erlebt wird. Niemand erwartet fanatische Missionare, aber ohne die Erfahrung, dass der oder die Glaubende für Christus brennt, werden sich nur wenige überzeugen lassen, dass das Evangelium eine wirklich gute Botschaft ist. Eine Kirche, die ausschließlich als Routine erlebt wird, ein Glaube, der museal wirkt, ein Bote, der selbst freudlos daherkommt, überzeugt nicht. Der Papst ermahnt auch gläubige Katholiken, im Austausch den Anstand nicht zu verlieren (FT 46). Wenn sich Christinnen und Christen im Namen ihres Glaubens beleidigen und verdächtigen, müssen sie sich nicht wundern, dass niemand von der Botschaft und letztlich von Christus und seiner Liebe überzeugt wird.
Im heutigen Evangelium steckt eine Menge Stoff zum Nachdenken. Im letzten geht es darum: Jesus will keine Marionetten, sondern wachsame, überzeugte, aktive Täterinnen und Täter des Evangeliums, die auf ihn bauen und ihn mit brennenden Lampen erwarten. Daher konnten die frühen Christen überzeugt beten: Komm, Herr Jesus (Offb 22,20). Und dies verstanden sie nicht als Aufforderung, die Hände in den Schoß zu legen.


1)Vgl. dazu Gerhard Lohfink, Die vierzig Gleichnisse Jesu, Freiburg, Basel, Wien² 2020, 167-173.
2) Ebd. 172.
3)Vgl. Meldung auf www.katholisch.de vom 4.10.2020, Zulehner: Schwindende Glaubenspraxis kulturell bedingt und unvermeidbar (https://www.katholisch.de/artikel/27096-zulehner-schwindende-glaubenspraxis-kulturell-bedingt-und-unvermeidbar)

 

Dr. Peter Kohlgraf, Bischof von Mainz