33. Sonntag im Jahreskreis (A)

Besinnung

Das anvertraute Geld

(zu Mt 25,14)

Einmal erzählte der Meister ihnen folgende Geschichte: Ein Mann vertraute seinen Dienern sein Vermögen an. Dem einen gab er fünf Talente, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seiner Fähigkeit. Dann reiste er ab.

Als der Herr nach langer Zeit zurückkam, um mit seinen Dienern abzurechnen, trat der erste vor ihn hin und sprach: Herr, ich habe mit dem kritischen Verstand, den du mir gegeben hast, über die Rätsel dieser Schöpfung und über den Sinn des Bösen nachgedacht, aber ich kam dabei nicht weiter. Wer kann verstehen, dass du das Böse duldest?

Da antwortete der Herr: Warst du so naiv zu glauben, du könntest die Welträtsel lösen und das Böse durch Grübeln aus der Welt vertreiben? Du hast es dir sehr leicht gemacht. Du hättest es bekämpfen sollen!

Der zweite kam und sagte: Ich war von Kindheit an sensibel und hatte ein empfindsames Gemüt. Mir lag daran, meine Seele zu erforschen! Ich wollte mich selbst finden und verstehen. So habe ich mich einer Psychoanalyse unterzogen, die ich gewiss erfolgreich abgeschlossen hätte, hättest du mich nicht so plötzlich vor deinen Richterstuhl geholt.

Da sprach der Herr zu ihm: Gibt es denn nichts Wichtigeres als dich? Hast du nie gehört, dass sich nur findet, wer sich selbst verliert?

Der Dritte kam und rühmte sich: Ich habe die Missstände der Gesellschaft schonungslos gegeißelt und die unwissende und träge Masse darüber aufgeklärt, dass sie ihr Schicksal nicht als gegeben hinzunehmen braucht. Ich habe ihr Gewissen aufgerüttelt, wenn es einzuschlafen drohte.

Als er ausgeredet hatte, sagte der Herr: Hast du immer nur andere kritisiert, ermahnt und etwas tun lassen. Wusstest du wirklich nicht, dass du deine eigenen Talente und nicht die der anderen entfalten solltest?

Da kam der letzte und sprach: Herr, ich wusste, dass ich kein fauler Knecht sein darf. Ich habe deshalb täglich von neuem angefangen und getan, was jeder Tag von mir gefordert hat. Hoffentlich kannst du aus dem wenigen, das ich mitbringe, etwas machen.

Da lobte ihn der Herr und sprach: Jeder, der hat, soll wissen, dass er damit nicht Gott bereichert, sondern sich. Und jeder, der nichts erwirbt, soll wissen, dass er sich damit selbst schadet!

In: Walter Rupp SJ, Der verlorene Vater - Erstaunliche Gleichnisse, München 2003

 

P. Walter Rupp SJ