6. Sonntag im Jahreskreis (A)

Predigtimpuls

„LIEBE!“

1. Lesung: Sir 15,15-20 (16-21)
2. Lesung: 1Kor 2,6-10
Evangelium: Mt 5,17-37

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche,
ein uralter Witz ist folgender, oft gehört doch immer wieder erzählt: „Fritzchen geht mit seiner Oma über die Straße. Da sieht er ein Bonbon auf der Straße liegen und will es aufheben. Die Oma sagt: `Lässt du das wohl liegen! Was auf der Straße liegt, hebt man nicht auf!´ Kurz darauf rutscht die Oma auf einer Bananenschale aus und fällt hin. `Hilf mir mal auf, Fritzchen!´, sagt sie. Darauf Fritzchen: `Nein, nein! Was auf der Straße liegt, hebt man nicht auf!´“

Wie gesagt, ein alter Witz, über den sich aber gerade Kinder köstlich amüsieren können. Kein Wunder, denn ständig bekommen Kinder ja zu hören: `Das musst du machen! Das darfst du nicht!´ Auch ich als Kaplan sag es öfters in der Schule. Ja, ständig bläut man Kindern Regeln ein und in dem Witz wendet sich am Ende die Regel, die sie selbst aufgestellt hat, gegen die Oma. Das finden Kinder einfach witzig.

Liebe Schwestern und Brüder,
das Zusammenleben von Menschen braucht Regeln und Gesetze. Fast 4000 Jahre alt ist die älteste Gesetzessammlung der Welt, der Codex Hammurabi aus Babylonien. Da es Gesetze schon solange gibt, merken wir, ohne Gesetze geht es nicht. Sie sind Teil der menschlichen Kultur. Zehntausend Gesetze gelten hierzulande und jede Woche kommen neue dazu. Aber es gibt trotzdem ein Problem: Obwohl es so viele Gesetze gibt, ist das Leben trotzdem komplizierter und vielfältiger als alle Gesetzesbücher der Welt. Und so muss ich oft an einen Satz denken, denn ich mal gehört habe: „Jedes Gesetz ohne Ausnahme wird irgendwann unmenschlich.“ Jedes Gesetz ohne Ausnahme wird irgendwann unmenschlich. Für jede noch so sinnvolle Regel kann es eine Situation geben, in der die Regel nicht mehr sinnvoll ist. Der Witz mit Fritzchen und seiner Oma ist dafür ein Beispiel. Jedes Gesetz ohne Ausnahme wird irgendwann unmenschlich. Doch wir kennen eher den umgekehrten Satz: Ausnahmen bestätigen die Regel. Was macht jetzt ein Gesetzgeber, wenn er merkt, dass ein Gesetz in einem Fall nicht greift? Er macht ein neues Gesetz. Er versucht, auch aus der Ausnahme eine Regel zu machen, so wie aktuell in den USA mit dem Einreisegesetz. Wenn man versucht, für jeden einzelnen Fall eine spezielle Regelung zu finden, nennt man es Kasuistik. Vom lateinischen casus, der Fall.

Wir haben in der katholischen Kirche ein dickes Kirchenrecht einen Codex mit 1752 Kanones. Zu dieser Kasuistik gibt es eine Alternative. Man kann bei jedem einzelnen Gesetz auch fragen: Welche Haltung, welche Gesinnung, welcher Wert steht eigentlich dahinter? Dazu regt uns auch Papst Franziskus an und dies wird ihm auch manchmal zum Vorwurf gemacht. Doch er fragt sich, nach meiner Meinung, wer oder was soll da eigentlich geschützt werden? Kann man nicht vielleicht Tausende von Geboten zusammenfassen in ein paar Prinzipien, Grundhaltungen, zentralen Werten und Anliegen?

Gibt es nicht vielleicht einen großen Schlüssel für das Ganze?

In der Mitte der Bergpredigt steht das zentrale Prinzip Jesu: „Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen!“ Diese sogenannte „Goldene Regel“ ist auch der Schlüssel für die Gegenüberstellungen, die Antithesen, die Jesus heute im Evangelium aufstellt. Sechsmal sagt er in der Bergpredigt: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist – ich aber sage euch.“ Wir verstehen diese Antithesen falsch, wenn wir meinen, die alten Gebote sind überholt oder müssen verschärft werden. Jedes Mal macht Jesus nämlich deutlich: Es geht ihm nicht zuerst um die Tat, die einen anderen schädigt. Es geht zuerst einmal um die Haltung, mit der ich meinen Mitmenschen begegne. Die muss stimmen. Auf die innere Einstellung kommt es an. Ein Beispiel: Wann beginnt Gewalt? Doch nicht erst da, wo die Fäuste fliegen! Wenn auf dem Schulhof oder auf einer Party eine Schlägerei losgeht, dann ist meist eine Beleidigung vorausgegangen.

Die Gewalt hat nicht erst begonnen, als der Schlag kam, nein sie begann mit der Beleidigung. Was und wie sagte Jesus in seiner ersten Antithese? „Euch ist gesagt worden: Du sollst nicht töten. Ich aber sage euch: Wer zu seinem Bruder sagt: Du Dummkopf (heute du Idiot, du Depp), soll dem Spruch des Hohen Rates verfallen sein.“ Jesus will sagen: Schon beim bösen Wort stimmt was nicht mehr. Schon das böse Wort müsste eigentlich bestraft werden, weil es dadurch zur Gewalt kommt. Noch einmal: die Gewalt beginnt schon mit der Beleidigung. Wer noch genauer hinschaut, muss sagen: Sie beginnt noch früher, schon bevor mir die Beleidigung über die Lippen kommt, habe ich ja im Herzen Hass, Groll, Zorn auf den anderen aufkommen lassen. Eigentlich beginnt die Gewalt schon da, wo ich schlecht oder herabsetzend über den anderen denke. Deshalb sagt Jesus auch überspitzt: Jeder, der seinen Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein. Kein Gericht der Welt könnte einen Prozess führen über Gefühle, die ein Mensch einem anderen gegenüber empfunden hat. Nein, hier wird deutlich, wie wichtig für Jesus die innere Einstellung ist, mit der ich anderen begegne.

Jedes Gesetz ohne Ausnahme wird irgendwann unmenschlich.
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche,
ich meine, als Christen, als Kirche, tun wir gut daran, uns von einem nur kasuistischen Denken zu verabschieden. Das hat noch nie wirklich zu Jesus gepasst. DOCH das heißt aber NICHT, wie manche dann schnell unterstellen: Du kannst treiben, was du willst. Wenn das der Fall wäre, dann würde gar nichts mehr gelten. Sondern das Gegenteil ist der Fall. Hinter dem Anspruch Jesus steckt etwas viel Größeres. Achte auf deine Haltung, deine innere Einstellung! Lass dich nicht von Gefühlen bestimmen, die nicht gut sind, ob es jetzt um das Thema Gewalt geht, um Freundschaft und Feindschaft, um Sexualität, um Wahrhaftigkeit oder Umgang mit Unrecht. ACHTE darauf, aus welcher Einstellung heraus, aus welcher Haltung heraus, du etwas tust!

Der heilige Augustinus hat diese Position Jesu meisterlich in einem einzigen Satz zusammengefasst: „LIEBE – und dann tue, was du willst!“ Ich glaube, wir würden uns alle sehr schwertun, für diese Regel eine Ausnahme zu finden. Deshalb: „LIEBE – und dann tue, was du willst!“
Noch einmal: LIEBE!

 

Michael Schmitt, Kpl.