2. Sonntag im Jahreskreis (B)

Predigtimpuls

Gott beruft ständig Menschen. Können wir seinen Ruf erkennen?

1. Lesung: 1Sam 3,3b-10.19
2. Lesung: 1Kor 6,13-15a.17-20
Evangelium: Joh 1,35-42

Die Berufung der ersten Jünger
Nach dem Fest der Taufe des Herrn lesen wir heute die Bibeltexte über die Berufung der ersten Jünger Jesu. Jesus, der Mensch, erkennt schon früh seine Berufung und lässt sich von Johannes taufen. Dieses Ereignis und besonders das Zeugnis, das Johannes der Täufer über Jesus gibt, veranlassen einige Beobachter der Szene, Jesus zu folgen.

Der Evangelist selbst ist einer von ihnen und beschreibt diesen Moment seiner Berufung sehr detailliert, weil sie für ihn zu einem unvergesslichen Ereignis wurde.

Auch heute gibt es viele Samuel
Die Berufungserzählungen sind oft denkwürdig. Schauen wir auf unsere erste Lesung aus dem Buch Samuel. Samuel hörte den Ruf und reagierte, konnte ihn aber nicht recht deuten.

Viele Menschen – auch heute – sind wie der junge Samuel. Sie hören den Ruf, wissen aber nicht, woher er kommt und wer sie ruft. Sie können den Ruf nicht erkennen.

Es geht um diese Stimme tief im Menschen – in mir, in meiner Seele, oder in meinem Kopf. Ich darf ihr zuhören. Ich darf die Stimme erkennen, denn Gott ruft ständig Menschen, ihm zu folgen.

Die Helfer/Erzieher/Begleiter
Das Erkennen dieser Stimme ist nicht immer einfach. Dazu brauchen Menschen oft einen Helfer/eine Helferin (Erzieher/Begleiter). In unserer ersten Lesung ist Eli ein solcher Helfer. Er erzieht und begleitet Samuel, bereitet ihn im Tempel vor, Diener Gottes zu werden, wie uns der Bibeltext berichtet. Heute würden wir sagen: „Er hilft Samuel, seine Talente (seine Begabung) zu erkennen und seine Lebensberufung zu finden.“

Die Aufgabe des Helfers/Erziehers/Begleiters ist schwierig, weil er/sie vermeiden muss, dem suchenden Jugendlichen die eigenen Vorstellungen überzustülpen. Die persönliche Freiheit muss in jedem Fall respektiert und gewahrt bleiben.

Eli half Samuel, sich Gott gegenüber zu öffnen, diese innere Stimme zu hören und entsprechend positiv zu reagieren. Was sie dann weiter für Samuel bedeutet, darf und muss dieser später selbst herausfinden und in seinem Leben umsetzen.
Wir wissen nicht, wie Johannes der Täufer seine Jünger begleitete und für Gottes Ruf sensibilisierte. Deutlich wird aber, dass er seine Jünger nicht hindert, sich Jesus anzuschließen.

In der christlichen Gemeinde
In der christlichen Gemeinde haben wir uns zu stark nur auf eine bestimmte Berufung konzentriert: Berufung zu einem geistlichen Beruf (Priester, Diakon) oder zum Leben in religiösen Gemeinschaften/Orden. Es gibt aber noch andere Berufungen. Gott ruft die Menschen auch zu verschiedenen Diensten innerhalb der menschlichen Gemeinschaft und jede Berufung ist wertvoll. Jede Berufung darf erkannt und anerkannt werden. Es sieht so aus, dass wir (oder die Verantwortlichen in der Kirche) mehr Sorge für die Kirche als Institution tragen, als für das Aufspüren der Stimme Gottes im alltäglichen Leben.

Einige Christen sagen, dass es kaum geistliche Berufungen in der heutigen Kirche im Westen gibt. Aber trifft das zu? Es gibt Berufungen – und oft sind es die Berufenen, die ihre Berufung erkannt haben, bereit, ihr ohne wenn und aber zu folgen, aber der Maßstab, den die institutionelle Kirche anlegt, lässt keinen Platz dafür.

Vielleicht sollten wir statt des Gebetes für die geistlichen Berufe eher dafür beten, dass die Kirche (und besonders die Verantwortlichen für die Kirche) den Formenreichtum der Berufe durch Gott besser zu erkennen und darauf hinzuarbeiten, dass die Berufenen, die ihre positive Antwort geben möchten, einen Platz, eine Gelegenheit finden, wo sie diesen Ruf umsetzen und verwirklichen können.

Wenn wir voraussetzen, dass die Kirche eine göttlich-menschliche Institution ist, dann sind der göttliche Teil wie auch der menschliche immer dynamisch (nicht statisch!), veränderlich und offen.

Wenn man seinen Beruf nicht annimmt oder annehmen kann
Es gibt noch einen anderen Aspekt, den wir nicht ausblenden dürfen. Hans Kruppa schreibt in einer seiner kurzen Geschichten, was passiert ist, wenn man seine Berufung ablehnt:
„Ich zweifle nicht daran, dass du eines Tages ein berühmter Dichter sein wirst. [sagte Maluna und Palo antwortete:].
„Ich träume oft davon, aber ich kann nicht daran glauben, dass sich mein Traum erfüllen wird. Alle sagen, das Schreiben sei eine brotlose Kunst. Ich habe gelesen, dass nur sehr wenige Schriftsteller von ihren Büchern leben können.“
„Du wirst einer dieser wenigen sein“, sagte Maluna.
Palo schüttelte unwillkürlich den Kopf: „Ich fürchte, dass ich als Lehrer enden werde, der mit seinen Schülern über Bücher spricht, anstatt sie zu schreiben. Dir ist es doch auch nicht gelungen, Sängerin zu werden.“
„Ich habe es auch gar nicht versucht, weil mir bewusst war, dass meine Begabung nicht ausreichte. Aber wenn man einen Traum hat und dazu über das erforderliche Talent verfügt, muss man ihn verwirklichen – sonst wird man unglücklich und krank.“
Maluna seufzte.
„In der Stadt, aus der ich komme, lebte ein Mann in meiner Nachbarschaft, der wunderschöne Bilder malte und davon träumte, als Maler zu leben. Aber er hatte Angst davor, nicht genug Geld mit seinen Bildern zu verdienen, und so ergriff er einen Beruf, der seine Taschen füllte, aber seine Seele leerte. Mit den Jahren wurde er immer trübsinniger und bekam schließlich eine unheilbare Krankheit, an der er leidvoll starb … Die Angst davor, unseren Träumen zu folgen, ist eine unserer gefährlichsten Feindinnen. Sie kann uns alles Leben aus der Seele und dem Körper saugen. Hüte dich vor ihr, Palo. Hab Angst vor dieser Angst!“

 (Ein Glück, dass es dich gibt! Gedichte, Geschichten & Gedanken, Münster, Coppenrath Verlag: 2020, I. Zauber der Freundschaft, S. 17-18)


Gilt das auch genauso, wenn eine Gemeinde die „Träume“/die Berufungen ihrer Mitglieder ablehnt?

P. Dr. Stanislaw Grodz SVD