4. Sonntag der Osterzeit (B)

Predigtimpuls

„Der gute Hirt“ - ein Bild für uns oder ein Relikt aus der Vergangenheit?

1. Lesung: Apg 4,8-12
2. Lesung: 1Joh 3,1-2
Evangelium: Joh 10,11-18
Zum Kantillieren des Evangeliums: www.stuerber.de

Das Bild vom „Guten Hirten“- ein vertrautes Bild
Viele Künstler haben sich am Bild vom Guten Hirten versucht. Und so hängt es auch in so mancher Kirche und in vielen Wohnungen. Aus diesen Darstellungen spricht immer ein Stück Zeitgeist. Natur und Romantik werden darin eingefangen. Wir können die Darstellungen vom ,,Guten Hirten“ bis hin zu den Anfängen des Christentums verfolgen. Zur Zeit der Christenverfolgungen im antiken Rom finden wir es in den Katakomben: Christus als der Hirt trägt das Schaf auf seinen Schultern. Hier war es für die damaligen Christen ein Bild der Aufmunterung und des Trostes. Der Gute Hirt leitet seine Herde auch durch eine Zeit der Anfechtung und der äußersten Lebensbedrohung. Er sorgt sich aber auch um die Schafe, die vom rechten Weg abgeirrt sind und wieder zurückwollen.

Die Christen in Rom haben damit wohl wiederum das Bild der johanneischen Gemeinde aufgegriffen. Auch hier treffen wir auf eine Gemeinde, in der Spannungen, Polarisierungen und heftige Auseinandersetzungen an der Tagesordnung waren. Nicht alle in einer Gemeinde waren der gleichen Meinung. Man kam von verschiedenen Voraussetzungen und brachte unterschiedliche Lebensentwürfe und Philosophien mit. Gerade da konnte das Bild vom ,,Guten Hirten“ die Christen und die Gemeinden wieder zusammenführen und sie auf die Mitte ihres gemeinsamen Glaubens weisen: auf Jesus Christus selbst.

Aber wir dürfen wohl noch einen Schritt tief er gehen. Bereits im Alten Testament war das Bild vom ,,Guten Hirten“ ein gebräuchlicher Vergleich mit Gott. Was die Könige Israels als die Hirten des Volkes nicht schaffen, das bewirkt Gott selbst. Gott selbst ist der Gute Hin, der durch die Wüste und durch die Schluchten des Lebens und der Zeit führt. Ps 23 schildert dies mit eindringlichen Worten: „Der Herr ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen …“(Ps 23,1) Oder lesen wir in der Rede des Propheten Ezechiel: „Ich werde meine Schafe auf die Weide führen, ich will sie ruhen lassen – Spruch Gottes, des Herrn. Die verlorengegangenen Tiere will ich suchen, die vertriebenen zurückbringen, die verletzten verbinden, die schwachen kräftigen, die fetten und starken behüten. Ich will ihr Hirt sein und für sie sorgen, wie es recht ist.“ (Ez 34,15 f)

So können wir wie bei einem Gemälde, das im Lauf der Jahrhunderte restauriert und übermalt wurde, Schicht für Schicht abnehmen. In jeder Schicht unseres Gemäldes entdecken wir dann das Bleibende, das Zeitlose, die Grundaussage des Bildes, aber auch viel Beiwerk, die Aktualisierungen und Akzentuierungen der jeweiligen Zeit.

„Hirt und Herde“ – eine Anfrage
So lieb und schätzenswert uns auch all das geworden ist, müssen wir doch sagen, dass die Farben des Bildes vom ,,Guten Hirten“ erheblich verblasst sind. Bilder halten eben auch nicht ewig! Wir haben gerade zu diesem Bild ein „Gegen“-Bild entwickelt. Wer von unseren Gemeindemitgliedern möchte schon mit den Schafen verglichen werden, die sich so willig führen und leiten lassen? Als mündige Christen möchten wir selber den Weg wissen und bestimmen. Wir können ihn dann auch in eigener Verantwortung gehen. ,,Wenn Schafe selber denken …“ ist nicht nur der Titel eines Kabarettstückes, sondern es ist Zeitansage! Wir alle sind aufgefordert, diese Verantwortlichkeit für unser Leben zu erkennen und auch wahrzunehmen. Auch in der Kirche sind wir aufgerufen, Verantwortung mitzuübernehmen. Taufe und Firmung geben uns dazu den Auftrag. Das Bild vom mündigen Christen ist zu einem tragenden Bild unserer Zeit und auch unserer Kirche geworden. Vielleicht gehört es nun auch zum Reifungsprozess eines jeden Christen, ja der Kirche überhaupt, dass man selber neue Wege ausprobieren will, ob sie tragen und weiterführen. Wenn ich auf den Geist Gottes vertraue, dann werde ich gerade dazu ermuntert. Das Bild vom ,,Guten Hirten“ kann da eher hinderlich wirken, als dass es uns viel weiterhilft. „Das Schaf, das seine eigenen Wege geht“, ist also zu einem Gegenbild geworden und – wie ich meine – auch zu einem legitimen Bild, das unserer Zeit und auch der Botschaft Christi, die uns zur Eigenverantwortlichkeit ruft, gerecht wird. ­

Der Gute Hirt – ein Bild der Zuversicht
Müssen wir nun beide Bilder gegeneinander ausspielen: das Bild vom Hirten und der Herde und das Bild vom mündigen Christen, der eigenständig seinen Weg geht? Ich glaube, dass jede Zeit neu gewichten darf und ihre eigenen Akzente setzen muss. Dennoch will uns das Bild vom „Guten Hirten“ etwas mitgeben auf unseren Weg durch unsere Zeit:

- Jesus Christus hat sein Leben für uns hingegeben, damit wir das Leben haben (vgl. Joh 10,11). Wir sind also nicht von Gott abgeschrieben, sondern wir haben Bestand in den Augen Gottes. Mit allen Äußerungen unseres Lebens dürfen wir hintreten vor Gott.
- Es gilt ferner, sich immer wieder nach der ,,Stimme“ des Guten Hirten zu orientieren. Das Wort der Schrift wird also in unsere Hände gelegt, dass wir uns daran orientieren können und gemeinsam den Weg in die Zukunft des Reiches Gottes antreten.
- Und es gibt auch noch andere Herden – andere Gemeinschaften-, die Jesus Christus führen will und die sich auf ihn berufen. Es ist dies für uns ein Aufruf zu tätiger und gelebter Ökumene! Miteinander wollen wir auf die Stimme des Guten Hirten hören und uns darauf einlassen. Die eine Herde, die einmal sein wird, zeigt uns ein Ziel an, das zwar noch nicht erreicht ist, zu dem wir uns aber alle auf den Weg machen sollen. – Und vielleicht können dies recht unterschiedliche Wege sein, von denen wir her zusammenkommen.

Was bleibt also vom Bild des „Guten Hirten“? Zuversichtliches Vertrauen in Ihn, den Herrn, dass er uns nicht das Ziel aus den Augen verlieren lässt. Dies könnte uns machen, eigenständig Zukunft zu gestalten, weil er ja mit uns ist.

Welches Gebet könnte dies besser zusammenfassen als der Psalm 23:
„Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen.
Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser.
Er stillt mein Verlangen; er leitet mich auf rechten Pfaden, treu seinem Namen.
Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil;
denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht.
Lauter Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang,
und im Haus des Herrn darf ich wohnen für lange Zeit.“ (Ps 23,1-4.6)


[Anmerkung der Redaktion: Die von P. Zimmermann verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1994; S. 150-152]


P. Herbert Zimmermann SVD