6. Sonntag der Osterzeit (B)

Predigtimpuls

Ostern zeigt uns, dass Gott uns liebt

1. Lesung: Apg 10,25-26.34-35.44-48
2. Lesung: 1Joh 4,7-10
Evangelium: Joh 15,9-17
Zum Kantillieren des Evangeliums: www.stuerber.de

Im heutigen Evangelium spielen wichtige österliche Begriffe eine Rolle: Liebe, Freude und Freunde. Es handelt sich um Wirklichkeiten von Gott her, die dem Menschen Leben, Hoffnung und Zukunft schenken.

1. Dies braucht der Mensch, um leben zu können. Viele Menschen haben heute Angst; sie kommen mit ihrem Leben nicht zurecht; sie resignieren und verzweifeln. Da erzählte mir vor ein paar Tagen ein Mann, dass er das Leben nicht verstehe, dass er auch Gott nicht verstehe. Deshalb gehe er auch kaum zur Kirche und bete kaum. Er habe nichts gegen die Kirche; er habe einen sehr guten Freund, der Priester sei und den er sehr schätze. Aber all das ändere nichts an seiner Resignation. Wie kommt dieser Mann zu einer solchen Lebenseinstellung? Die Ursachen liegen in Erfahrungen während des Zweiten Weltkrieges. Er war auf dem Balkan stationiert. Der Kampf gegen die Partisanen war grausam. Wie viele Menschen mussten unschuldig und auf grausame Weise ihr Leben lassen! Er stellte sich immer wieder die Frage: Wo ist denn Gott? Er könnte doch alles verhindern. Er fand keine für ihn befriedigende Antwort, und die Frage beeinträchtigt bis heute sein Leben. Er kommt mit Gott nicht zurecht und erst recht nicht mit den Menschen. Verstehen Sie: es geht nicht um eine intellektuelle Frage, sondern um eine existentielle für diesen Menschen.

Und noch eine andere Geschichte möchte ich erzählen, die ich in den letzten Wochen und Monaten immer wieder erlebte. Da sind Geschwister total miteinander zerstritten. Sie können sich nicht mehr sehen; sie können nicht mehr miteinander reden. Einer der Geschwister ist ganz entmutigt, verzweifelt. Er kann nicht verzeihen. Da er nicht verzeihen kann, fühlt er sich auch von Gott zurückgestoßen. Aber er kann Gott nicht mehr verstehen.

2. Im heutigen Evangelium heißt es: „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe!“ Im Ostergeschehen hat Gott gezeigt, wie sehr er uns Menschen liebt: er hat seinen eigenen Sohn dahingegeben. Oder, in den Worten des heutigen Evangeliums: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben hingibt für seine Freunde.“ Gott liebt uns Menschen bedingungslos, voraussetzungslos. Das war ja der Inhalt der Botschaft Jesu vom Reich Gottes: Gott ist wie ein barmherziger Vater, der auf euch zukommt, der euch entgegenkommt, der euch aufnimmt, der euch annimmt. Er schaut nicht auf eure Vergangenheit, sondern allein seine Liebe und Vergebung zählt. Sichtbar wurde diese Liebe Gottes im Leben Jesu von Nazareth. Er ist auf die Menschen zugegangen, hat sich um sie gekümmert und sie angenommen, gerade die, die am Rande der Gesellschaft und des Lebens standen. Er hat nicht nach ihrer Vergangenheit gefragt, sondern sie in seine Gemeinschaft hineingenommen, ihnen Mut, Hoffnung und Zukunft geschenkt. Keiner braucht zu verzweifeln, wenn er nicht weiterweiß und weiterkann. Auch wenn er Gott nicht versteht, Gott nimmt ihn an und weist ihn nicht zurück.

3. Das zweite Wort des heutigen Evangeliums heißt Freude. „Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird.“ Die Freude ist eine Gabe des auferstandenen Herrn. Es ist seine Freude. Es handelt sich nicht um eine oberflächliche Freude, nicht um eine von uns Menschen gemachte Freude. Es ist die Freude gemeint, die aus der erfahrenen Liebe Gottes zu uns kommt. Die Freude, die Jesus schenkt, ist eine Freude ganz tief in der Mitte unserer Existenz. Es geht um die Freude, die aus dem Glauben kommt, für immer von Gott geliebt und angenommen zu sein. Diese Freude hält und trägt auch in schweren Stunden, wo menschlich gesehen alles kaputt und verloren scheint. Uns kommt hier der heilige Thomas Moros in den Sinn, der angesichts des Todes noch scherzen konnte. Oder wir können an so manche Märtyrer der Nazizeit denken, etwa an Pater Alfred Delp. In all ihrer Not und menschlichen Ausweglosigkeit zeigen ihre letzten Aufzeichnungen eine tiefe innere Freude, die aus der Geborgenheit in Gott kommt, wie sie der Psalmvers ausdrückt, den einer von ihnen noch kurz vor der Hinrichtung an die Kerkerwand kritzelte: „Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen.“ Diese Freude schenkt Hoffnung und Zuversicht, auch wenn ich nichts mehr verstehe.

4. Das dritte Wort des heutigen Evangeliums lautet: Freunde. „Ihr seid meine Freunde … Ich nenne euch nicht mehr Knechte, denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe.“

Um dieses Wort aus dem Munde Jesu zu verstehen, müssen wir auf das Alte Testament zurückgreifen. ,,Freund Gottes“ ist dort eine ganz besondere Auszeichnung. Sie wird von herausragenden Persönlichkeiten ausgesagt, von Persönlichkeiten, die eine ganz besondere Beziehung zu Gott haben, die in einer ganz besonderen Nähe zu Gott stehen. Nur Abraham und Mose werden, Freund Gottes“ genannt. Sie sind die beiden großen Persönlichkeiten Israels. Auf ihnen beruht das Volk Gottes. Sie durften mit Gott verkehren und ganz in seiner Nähe sein. Sie waren die besonderen Erwählten Gottes.

Jetzt sagt Jesus zu seinen Jüngern und durch sie zu allen, die an ihn glauben: Ihr seid meine Freunde. Dies bedeutet: Gott hat uns in seine besondere Nähe gerufen; er liebt uns und will mit uns Gemeinschaft haben.

So heißt es auch in der Offenbarungskonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über das Verhältnis Gottes zu uns Menschen: „In dieser Offenbarung redet der unsichtbare Gott aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde und verkehrt mit ihnen, um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen (DV 2). Gott hat uns in Jesus zu seinen Freunden gemacht, so wie Abraham und Mose Freunde Gottes waren. Wir brauchen keine Angst zu haben, was auch immer geschehen mag: Gott hat uns zu seinen Freunden gemacht; er steht zu uns.

Ostern zeigt uns, dass Gott uns liebt, indem er uns zu seinen Freunden macht. So schenkt er uns seine Freude, die uns niemand nehmen kann. Wahrhaft, wir haben Hoffnung und Zukunft.

[Anmerkung der Redaktion: Die von P. Bettscheider verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1994; S. 185-187]
 

P. Dr. Heribert Bettscheider SVD