3. Sonntag der österlichen Bußzeit (B)

Predigtimpuls

Sein Leben als Antwort auf den Gott, der befreit, verstehen.

1. Lesung: Ex 20,1-17
2. Lesung: 1Kor 1,22-25
Evangelium: Joh 2,13-25
Zum Kantillieren des Evangeliums: www.stuerber.de

Ertappt fühlte ich mich vor einigen Jahren, als ich eines Morgens im Radio eine Morgenandacht hörte. Ein evangelischer Geistlicher erzählte von einer Umfrage in England, die ergeben hätte, dass ein beträchtlicher Prozentsatz der Geistlichen die Zehn Gebote nicht mehr vollständig aufsagen könne. Er schloss daraus, dass, was in England so ist, hier sicher nicht anders wäre.

Ich machte prompt die Probe aufs Exempel und versuchte die Zehn Gebote der Reihe nach aufzusagen: bei Nr. 2 stockte ich das erste Mal, danach war ich mir nicht sicher bei der Reihenfolge von Nr. 5 und Nr. 7, Nr. 8 fiel mir nicht mehr ein und bei Nr. 9 und Nr. 10 war mir der genaue Wortlaut nicht geläufig. Ich dachte bei mir: Volltreffer!

Aber vielleicht geht es Ihnen ja anders und Sie bekommen alle zehn auf die Reihe!
“Ich bin der HERR, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus” (Ex 20,2). Mit diesen Worten wird die Verkündigung der Zehn Gebote eingeleitet. Sie sind der Schlüssel, um die Gebote richtig zu verstehen. Gott stellt sich vor als der, der sein Volk befreit hat - buchstäblich: aus dem Sklavenhaus. Dieses große Vorzeichen steht vor den nun folgenden Geboten.

Diese können darum nicht einfachhin das Gegenteil meinen. Wer sie als Einengung und Verneinung von Leben und Freiheit sieht, hat sie also gehörig missverstanden. Es geht um zehn Worte des befreienden Gottes, die Freiheit und Leben befreiter Menschen sichern und fördern wollen; um zehn Worte, die dazu dienen, Leben zu ermöglichen und Leben schützen: Das ist Gottes Wille. Und den kann man sich dann auch an seinen zehn Fingern immer wieder zu Gemüte führen.

Die Zehn Gebote sind auch keine Befehle. Denn zu dem Gott stehen und dem Gott treu sein, der befreit, das muss nicht befohlen werden. Wer diese Gebote zu seiner Lebensregel macht, setzt einfach nur die richtige Antwort auf das, was Gott für ihn oder sie getan hat und tut. Für alle, die begriffen haben, wer Gott für sie ist und was ER für das Leben und Überleben seines aus der Sklaverei befreiten Volkes bedeutet, ergeben sie sich von selbst.

Darüber, was ER für mich und uns bedeutet, wer ER für mich und uns ist, muss ich dann aber auch zuerst nachdenken. Wer sich nicht klar macht, wer der Gott Israels und der Gott Jesu für ihn oder sie ist, weiß auch nicht, was es bedeutet, sein Leben als Christ oder Christin zu gestalten. Solange ich nicht weiß, wer der Gott ist, von dem uns Jesus spricht, oder wenn mir das egal und nicht der Mühe wert ist, werden andere Götter seine Stelle in meinem Leben einnehmen: der Gott des ‘Jeder soll tun, was er will’; der Gott, der Eisen wachsen ließ - Schwerter, Panzer und Bomben, Geld und Autos; der Gott, der Leistung sehen will; der Gott gnadenloser Vergeltung; der Gott des ‘all is fun’.

Darum, so bin ich überzeugt, enthält der einleitende Satz zu den zehn Gottesworten doch ein verstecktes Gebot. Das Gebot: Du sollst vergleichen! Frage dich: Wer oder was auch immer sich ‘Gott’ nennt oder Gott genannt wird oder die Stelle eines Gottes in unserem Leben oder unserer Gesellschaft einnimmt, ist das ein Gott, der befreit und Leben schenkt - oder ist es ein Gott, der abhängig macht, der in neue Zwänge führt oder mutwillig Leben zerstört?

Wenn ich mit Fug und Recht sagen kann: Ja, es ist ein Gott, der befreit und Leben schenkt, und wenn ich auch sicher bin, dass ich mich damit keiner Scheinfreiheit ausliefere oder einer Scheinfreiheit auf den Leim gehe, dann folgt daraus von selbst: An diesen wahren Gott, der befreit und des Menschen freie Antwort sucht, - und nur an ihn - hänge ich mein Herz. Neben diesem Gott werde ich keinem anderen dienen, weil ich gar keinem anderen mehr dienen will und darf.

Wer sich dem befreienden und Leben ermöglichenden Gott anvertraut, lässt sich auch nicht so leicht in die Irre führen, von all dem, was nur vorgibt, die Rätsel unseres menschlichen Lebens zu lösen. Wer aus der freien Selbstbindung an den wahren Gott lebt, durchschaut all die Götzen, die versprechen, seinem Leben Sinn zu geben, obwohl sie nur ein Stück dieser Welt sind.

Wer sein Leben als Christ gestalten will, versteht sein Leben als Antwort auf den Gott, der die Seinen, der alle, die ihm angehören, aus allen erdenklichen Sklavenhäusern befreit. Die Zehn Gottesworte werden für ihn die Ur-Kunde des Willens Gottes an befreite Menschen. Im Licht dieser befreienden und Leben fördernden Worte werden sie versuchen, immer neu die Wirklichkeit ihres Lebens und die der Gesellschaft, in der sie leben, zu lesen. Und so kommt in ihrem Leben und Handeln nach und nach wieder mehr Leben ins Leben.
 

 

P. Dr. Bernd Werle SVD