Exodus und Taufe - Die Taufe wird zum Durchzug in ein neues Leben

Besinnung

Wie gehen die frühen Christen mit der mächtigen jüdischen Exodustradition um? Der Durchzug durch das Rote Meer wird für sie zum Bild eines christlichen Rite de passage - der Taufe! Doch genau das wird Teil einer polemischen Abgrenzung zum Judentum.

Ex 13,17-14,31


Der Durchzug durch das Rote Meer ist bis heute das biblische Muster der christlichen Tauftheologie. Die Befreiung Israels aus der Sklaverei Ägyptens, der Weg durch das Wasser des Meeres und die Wanderung hin zum verheißenen Gelobten Land wird bis heute auf das Taufgeschehen hin gelesen. Auch in der Geschichte der Taufliturgie haben die Exodus-Motive eine große Rolle gespielt. So nahm Martin Luther zur Deutung der Taufe die Sintflut und den Exodus auf: Gott hat „den verstockten Pharao mit allen seinen ym roten meer erseufft, und dein volck Israel trocken durch hyn gefurt, da mit dis bad deiner heiligen tauffe zukunfftig bezeichnet“, heißt es 1526 in Luthers „Taufbüchlein“.

Bis heute verwenden zahlreiche Agenden der Reformationskirchen dieses Motiv in ihren Gebeten, ebenso die katholische „Feier der Kindertaufe“: „Die Kinder Abrahams hast du trockenen Fußes durch das Rote Meer geführt und sie befreit aus der Knechtschaft des Pharao. So sind sie ein Bild der Getauften, die du befreit hast aus der Knechtschaft des Bösen.“

Die Taufe wird analog zur Befreiung der „Kinder Israels“ aus der Sklaverei des Pharao und zum rettenden Weg durch das Meer hin in das Gelobte Land gelesen: Sie führt den Menschen aus dem Reich des Todes in das Reich des Lebens.

Typologisch-allegorische Leseweisen des Exodus auf die Taufe hin begegnen bereits in ersten Jahrhunderten der Kirche. Wie bezieht die Frühe Kirche ihre Tauftheologie auf diese alttestamentliche Überlieferung und wie bezieht sich die Taufliturgie selbst auf den Exodus? Wie ist man mit diesem Motiv in der Frühzeit des Christentums, in den ersten Jahrhunderten, umgegangen? Aus der Fülle der Quellen können einige wenige im Folgenden vorgestellt werden.

Paulus bezieht den Exodus auf die Taufe
Im Neuen Testament spielt die Perikope Ex 13,17-14,31, also die Flucht des Volkes Israel und seine Rettung am Schilfmeer, eine erstaunlich geringe Rolle, wobei die Motive des Exodus nicht immer leicht identifizierbar sind. In der Rede des Stephanus Apg 7,13) wird er mehrfach erwähnt (7.25.36.40), auch in einer Predigt des Paulus findet sich ein Hinweis (Apg 13,17). In Hebr 3,16 und 8,9 dient der Verweis auf den Exodus dazu, Israels Untreue zum Bund als Anlass für den neuen Bund herauszustellen. Nach dem Judasbrief (Jud 5) hat nicht Mose, sondern Jesus Christus (!) Israel aus Ägypten gerettet und später die vernichtet, ,,die nicht glaubten“.

Ausführlich greift aber Paulus in 1Kor 10,1f auf die Exodusüberlieferung zurück. Er liest sie als Vorbild der christlichen Taufe und erinnert daran, „dass unsere Väter alle unter der Wolke waren, alle durch das Meer zogen und alle auf Mose getauft wurden in der Wolke und im Meer“. Es geht Paulus nicht darum, die alttestamentliche Schriftstelle exakt nachzuerzählen, vielmehr geht er frei mit dem Text um. Als Paulus den Korintherbrief verfasst, besteht bereits eine christlich-rituelle Praxis ¬ und aus dieser Perspektive und ganz auf diese hin spielt er den Exodus ein. Die Auslegung erinnert an einen Midrasch, der verschiedene Texte aus dem Alten Testament zusammenschaut: Die religiösen Texte werden für eine neue Situation und in einem neuen Kontext ausgelegt. Die Wendung ,,unsere Väter“ zeigt, dass Paulus die christliche Gemeinde, an die er schreibt, als Nachfahrin des Volkes Israel sieht, also in einer heilsgeschichtlichen Kontinuität zu Israel. Wenn man ihm darin folgt, ist der Bezug auf den Exodus nicht nur ein Spiel mit Bildern, sondern er besitzt erhebliche theologische Tiefe. Paulus wird es möglich, das Befreiungsgeschehen des Exodus auf die gegenwärtige Situation der Gemeinde in Korinth zu beziehen. Dabei steht ihm die Taufe ganz offensichtlich vor Augen. „Unter der Wolke“ zu sein und ,,durch das Meer“ zu ziehen, heißt, von Wasser umschlossen zu sein, wie es in der Taufe geschieht. „Auf Mose getauft“ worden zu sein, d. h. unter seiner Führung durch das Rote Meer gezogen zu sein, meint, Mose zuzugehören.

In der christlichen Taufe wurde und wird ein Täufling „auf Christus“ getauft. So, wie Israel im Exodus aus dem alten Leben der Sklaverei – und dabei denkt Paulus an die Sünde – befreit worden ist, so wird den Christen in der Taufe diese Freiheit geschenkt. Zugleich wird im Folgenden deutlich, dass es Sünden und Gefährdungen gibt, die nicht nur Israel erlebt hat und denen es immer wieder erlegen ist, sondern die auch der christlichen Gemeinde widerfahren können.

Exodus und Tauftheologie bei den Kirchenvätern
Die Kirchenväter nehmen auf den Exodus häufig polemisch Bezug, indem sie Israel als Volk beschreiben, das sich von Gott retten ließ, Gott aber nicht treu blieb. Dies begegnet beim Kirchenlehrer Justin (2. Jh.) im Dialog mit dem Juden Tryphon (dial. 131,3) oder bei Bischof Zeno von Verona (360/380). Zeno stellt dem Durchzug Israels durch das Rote Meer, der das Volk nur in die Wüste führt, die wahre Befreiung der Christen zum Paradies durch das Wasser der christlichen Taufe gegenüber, welches die Sünden abwäscht. Von hierher entwickelt er dann ermahnende Predigten zur Taufe.

Von 1Kor her liegt es nahe, dass sich die Tauftheologie schon früh auf den Exodus zurückbezogen hat. So wird das Exodusgeschehen in der Literatur der frühen Christen immer wieder eingespielt, um die Taufe theologisch auszudeuten. Dabei begegnen Vorstellungen, die den Pharao und den Satan sowie Mose und Christus gleichsetzen. Das Wasser des Roten Meeres kann auf das Taufwasser bezogen, der Durchgang durch das Wasser als Bild des Taufgeschehens gedeutet werden.

Hier ist bereits zu erkennen, dass der Exodus immer wieder mit dem Überwinden von Sünde in Verbindung gebracht wird. So beschreibt Origenes (185-253), wie das Böse – den Ägyptern gleich – den Menschen jagt und wie der Mensch, indem er durch das Wasser der Taufe geht, nicht nur gerettet wird, sondern als neuer Mensch aus dem Wasser hervorkommt (Ex. Hom. 5,5). Die Seele, die auf dem Weg zu Gott ist, zieht dafür aus der Welt aus. Das wird im Motiv des Durchzugs beschrieben. Es geht um den geistlichen Exodus (so der jesuitische Theologe Jean Danielou) – die Taufe hat eine eschatologische Dimension.

Ähnliche Überlegungen und vergleichbare allegorische Verwendungen des Exodus begegnen immer wieder. In seiner Schrift über die Taufe (De bapt. 9,1) betrachtet Tertullian (ca. 160-220) Taufe und Exodus zusammen. Polemisch stellt er das ungezügelte Verhalten Israels nach dem Durchzug durch das Rote Meer dem Verhalten Jesu in den 40 Tagen nach seiner Taufe gegenüber, der sich gegenüber allen Versuchungen des Satans standhaft erwiesen hat. Der Kirchenlehrer Ephräm der Syrer (306¬373) liest den Exodus als Figura, also als Bild oder Vorbild der christlichen Taufe: Israel zog durch das Meer und blieb ungläubig, während die Christen glaubten und den Heiligen Geist empfingen.

Solche Polemiken, die sich nur aus einem zeitgenössischen Bemühen um Abgrenzung erklären lassen, tauchen in der Rezeption der Exodus-Perikope wiederholt auf. Durch solche Prozesse des Othering wird die eigene Identität gebildet und werden die „Anderen“ als Gegenbild konstruiert.

Für Augustinus (354 430) (Sermo 213) wäscht die Taufe die Sünden ab, die Menschen in der Vergangenheit belastet und „verfolgt“ haben. Sie vernichtet die Schuld. Diese theologische Aussage setzt er in Analogie zum Exodus: Die Ägypter, also die Verfolger der Israeliten, stehen dabei für die Sünden. Diese Verfolgung dauert bis zum Roten Meer, wo den Bedrängern, also den Sünden, ein Ende gesetzt wird: Sie ertrinken, und zwar so, wie Augustinus mit Ps 106,11 festhält: „Ihre Bedränger bedeckte das Wasser, nicht einer von ihnen blieb übrig.“ Er deutet das alttestamentliche Bild noch weiter aus, indem er die rote Farbe des Meeres auf das Blut Christi am Kreuz hin liest. Die Überwindung der Sünde in der Taufe findet durch das Kreuzesgeschehen statt. Der Tod am Kreuz ist für Augustinus das Fundament der Taufe.

Der Bischof und Patriarch Cyrill von Jerusalem (313-386/7) fordert seine Zuhörer in der ersten Mystagogischen Katechese geradezu heraus, vom ,,Vorbild“ zur „Wirklichkeit“ zu gehen, vom Volk in der Sklaverei Ägyptens zu den durch Christus von der Sünde Geretteten. Das Böse, das im Meer unterging, verschwindet jetzt im Taufwasser (cat.myst. 1, 2/3).

Der Asket und Bischof von Konstantinopel Johannes Chrysostomus (349-407) ruft den gerade Neugetauften zu: „Mensch, du hast Ägypten verlassen, suche nicht von neuem Ägypten und die Bosheit Ägyptens auf!“ (in bapt. Hom. 2/4,24). Die Sklaverei der Barbaren und die grauenvollere Knechtschaft der Sünde, Mose und Christus, Wüste und Himmel werden einander gegenübergestellt (ebd., 24f), um die wunderbaren Konsequenzen aus der Taufe für den Neugetauften möglichst nachdrücklich zu illustrieren.

Auch für Ambrosius, Kirchenlehrer und Bischof in Mailand (333/4-397), ist das Geschehen des Exodus Figura („Vorbild“) der Taufe, wie er in einer Katechese mit Bezug auf 1Kor 10,1f erklärt (de sar. 6. 20), die er den Täuflingen nach ihrer Taufe hielt. Ging es für Israel nur um den Modus des Vorbilds, so für die Kirche um ein Geschehen in veritate („in Wirklichkeit“). Israel murrte und blieb schuldig. Vor dieser Gefahr werden die Neugetauften gewarnt. In Bedrängnis sollen sie Gott anrufen und bitten, sich ihm aber nicht widersetzen. Ambrosius nutzt also die Exodus-Überlieferung für eine mahnende Rede, sich gegen Versuchungen zu wappnen. In einer anderen Katechese erfährt man, dass die „gute Wolke“ die Leidenschaften abgekühlt hat und über denen war, auf die der Heilige Geist herabgekommen war (de myst. 13).

Der Exodus in der Taufliturgie …
An den Exodus wird u.a. auch in Eucharistiegebeten, Exorzismen, in Liturgien zu Epiphanie oder in der Totenliturgie erinnert. Über eine Predigt des Bischofs Melito von Sardes (2. Hälfte des 2. Jh.) zum Pascha fest lässt sich zudem erschließen, dass Ex 14 bereits in dieser frühchristlichen Paschafeier ein Lesungstext gewesen sein muss – bis heute ist die Erzählung vom Durchzug durchs Rote Meer eine der wichtigsten Lesungen in der Osternacht. Die Lesung eignete sich, um den Durchzug/ Transitus vom Tod zum Leben – Tod und Auferstehung Christi – auszudeuten und zu beschreiben, dass die Rettung des Menschen durch Gott auch in der Gegenwart Realität ist. Wer dem Auferstandenen nachfolgt, kann den Übergang aus der Welt der Sünde in die Welt himmlischer Vollkommenheit vollziehen. Das wird dann auch auf die Taufe übertragen.

Mit dieser Theologie korrespondieren die Taufliturgien, aber auch manche der Räumlichkeiten für die Taufe in dieser Zeit. Der Rückgriff auf die Exodus-Perikope legt einen Umgang mit dem Taufwasser nahe, durch den der Täufling zumindest mit dem Wasser umhüllt wird. Die Vorstellung der theologischen Forschung vergangener Jahrzehnte, Taufe in der Frühzeit des Christentums sei generell durch Untertauchen vollzogen worden, ist durch archäologische Funde infrage gestellt worden. Sicherlich hat es eine solche Praxis gegeben. Doch viele frühchristliche Taufbecken, die man heute kennt, sind zu klein und eng, als dass man dort einen Ritus des Untertauchens hätte durchführen können. Auch der Platz für einen Täufer hätte nicht ausgereicht. Vergleiche beispielsweise mit der antiken Badekultur legen eher ein Übergießen mit Wasser nahe. Bildliche Darstellungen von Taufhandlungen weisen in eine ähnliche Richtung. Generell wird man allerdings von vielfältigen und unterschiedlichen Praktiken des Wasserritus ausgehen müssen.

Die Vorstellung, dass die Taufe vergleichbar dem Durchzug durch das Rote Meer ist, setzen jene Taufbecken um, in denen die Täuflinge wirklich durch das Wasser hindurchgehen konnten. Möglicherweise mit einer West-Ost-Achse versehen, zogen sie dann aus dem – symbolisch verstandenen – Bereich des Bösen und des Todes in den Machtbereich Christi. Der Rite de passage im Sinne des Exodus wurde im Raum körperlich erfahrbar. Wenn das Taufbecken zudem noch eine Kreuzesform aufwies, wurden alt- und neutestamentliche Deutung der Taufe zusammengebracht. Ritualtheoretisch betrachtet, entfalten solche Raum- und Körpererfahrungen eine besondere Wirkung, der allein Texte nur schwer nahekommen.

… und heute?
Die spätantiken Zeugnisse für Taufliturgie und -theologie müssen in ihrer Zeit gelesen werden. Die sehr starke Fixierung auf die Sündigkeit des Menschen befremdet heute. Das Menschenbild hat sich geändert und der Mensch wird nicht vorrangig als Sünder betrachtet. Auch sind aus heutiger Sicht Rezeptionen des Alten Testaments auf Kosten des Judentums inakzeptabel. Bemerkenswert bleibt gleichwohl die große Bedeutung, die dem Alten Testament für die Erschließung der christlichen Taufe zugesprochen wird. Die frühen Christinnen und Christen haben die Kontinuität der Heilsgeschichte in Erinnerung gehalten und die Taufliturgie eindrucksvoll biblisch konturiert. Es lohnt sich, die Taufliturgie der Gegenwart mit der Perspektive des Exodus als Befreiungsgeschichte neu zu erleben.

Aus: WUB 2/2019 S. 45-49
Mit freundlicher Genehmigung des Katholischen Bibelwerkes vom 12.03.2020

 

Prof. Dr. Benedikt Kranemann lehrt Liturgiewissenschaft an der Universität Erfurt. Forschungsschwerpunkte liegen auf der Geschichte der Liturgie seit der Frühen Neuzeit und Liturgie im religiösen Pluralismus der Gegenwart. Zuletzt erschienen (Mitherausgeber und Autor): Geschichte der Liturgie in den Kirchen des Westens. Rituelle Entwicklungen, theologische Konzepte und kulturelle Kontexte (Münster 2018).


Prof. Dr. Benedikt Kranemann