Die Ehe

Da es der Wissenschaft bis heute nicht gelungen ist, herauszufinden, wer die Ehe eigentlich erfunden hat, kursieren darüber widersprüchliche Meinungen.

Die Verhaltensforscher meinen, der Mensch bringe eben von Natur aus Verhaltensweisen mit, an die er sich, im Unterschied zu allen anderen Lebewesen, nur schwer gewöhnen kann. Die Mediziner konnten sich bisher nicht einigen, ob es sich bei der Liebe nur um eine tückische, aber schnell abklingende Fiebererkrankung handelt oder um eine weit verbreitete, unheilbare Volkskrankheit. Die Literaten sehen in den Ehen mehr oder weniger gelungene Romane, in denen es nur Opfer, aber selten Helden gibt. Und die Psychologen führen das häufige Nichtgelingen der Ehen auf die Tatsache zurück, dass man ihre Beratung immer erst nach einer Partnerwahl in Anspruch nimmt.

Bei der ältesten Form der Ehe, der Raub-Ehe, mussten die Männer noch etwas tun und sich sogar Gefahren aussetzen, wenn sie eine Frau erobern wollten. Bei der Kauf-Ehe sorgten die Eltern der Eheleute, dass das Eheband hielt, denn eine Auflösung der Ehe hätte immer materielle Nachteile mit sich gebracht. Seitdem jedoch die Eheleute ihre Partnerwahl selbst treffen, müssen Mann und Frau oft viele Jahre und viele Scheidungen abwarten, bis sie irgendwann einmal in ihrem Leben doch noch eine glückliche Ehe eingehen können. Das Zusammenleben von Mann und Frau wird wohl erst dann gelingen, wenn Eheleute künftig mit der Trauung - nicht wie bisher - eine ‘Ehe schließen‘, sondern beginnen.


Walter Rupp, SJ