Bekenntnisse

Die Generation von heute zeigt einen auffallenden Geständnisdrang und einen Hang zu schonungsloser Offenheit.

Die Generation von heute zeigt einen auffallenden Geständnisdrang und einen Hang zu schonungsloser Offenheit. Sie scheut sich auch nicht, öffentlich in Fernsehsendungen, in Journalen oder Büchern, die persönlichsten Empfindungen bloßzulegen. Heutzutage, schreibt der Psychologe Thomas Cottle, »kann niemand Stellung, Gesundheit, Jungfernschaft, Persönlichkeit oder den Verstand verlieren, ohne ein Buch darüber zu schreiben oder den Verlust in einer Talk Show zu bereden«. Dieses ungeduldige Mitteilungsbedürfnis, dieser hektische Geständnisdrang ist neu. Während die früheren Generationen bemüht waren, den persönlichen Bereich vor anderen schamhaft zu verdecken, kennt die Generation von heute kaum noch ein Tabu und ist sogar zu Beichten vor einem Millionenpublikum bereit. Die Schamgrenzen wurden weithin aufgehoben.

Bekenntnisse, in denen einer sich - wie Augustinus – vor Gott von seiner Schuld befreien und einen Neuanfang machen möchte, kommen kaum noch vor. Viele schreiben heute Bekenntnisse, wie sie Rousseau schrieb, um sich - wie er selbst gesteht – damit interessant zu machen. Seine Bekenntnisse sind ein literarisches Stilmittel der Selbstdarstellung. Und bei den autobiographischen Aufzeichnungen, die Rudolf Höß, der Lagerkommandant von Auschwitz verfasste, kam am Ende eine Anklageschrift gegen seine Zeit heraus, die ihn dazu zwang, dieses schmutzige Geschäft der Juden-Vernichtung zu betreiben, das ihm – wie er beteuert - im Innersten zuwider war. 

Es wird heute wie nie zuvor - sogar öffentlich – gebeichtet, aber ohne Reue. Man rückt nicht ab, man steht zu seiner Tat. Früher sah man seine Schuld oft als private Angelegenheit, die man mit „seinem Herrgott“ ausmacht. Heute neigt man dazu, bei der Bewältigung der Schuld Gott aus dem Spiel zu lassen. Man ist zufrieden, wenn an für sein Fehlverhalten von den Lesern oder Fernsehzuschauern die Absolution erhält. Doch der fehlende Gesinnungswandel macht ein Bekenntnis sinn- und wertlos.

Bekenntnisse wurden ein Stilmittel der Selbstdarstellung. Ihr Sinn wurde auf den Kopf gestellt. Sie wollen nicht mehr zu einem Neuanfang verhelfen, sondern Aufmerksamkeit erregen für eine bislang wenig oder nicht beachtete Person und ihr - oft verkorkstes - Leben.


Walter Rupp, SJ