Pseudoepigraphen

Gedankendiebstahl ist verwerflich. Aber noch verwerflicher als Plagiieren ist der Etikettenschwindel:

Gedankendiebstahl ist verwerflich. Aber noch verwerflicher als Plagiieren ist der Etikettenschwindel: wenn einer seine Gedanken, die niemand beachten würde, weil sie nicht viel taugen, einem, der Ansehen hat, unterschiebt, um sich so Beachtung zu erschleichen. Schon in der Antike fälschte man die Schriften von Dichtern oder Philosophen. Und im Mittelalter erfanden, rekonstruierten oder ergänzten literarische Fälscher verlorene gegangene Werke namhafter Autoren. Es dürfte kaum einen erfolgreichen Denker oder Dichter geben, dem man nicht irgendwelche Werke zuschrieb, die er nie verfasst hat. 

Auch die Kirche musste aus der Bibel Apokryphen, gefälschte Offenbarungen entfernen. Pseudoepigraphen sind auch heute am Werk. Sie versehen in Einkaufszentren minderwertige Produkte mit der Aufschrift einer anerkannten Firma, bieten in den Medien ihre Meinungen als Umfrageergebnis oder als Ergebnis einer "wissenschaftlichen Studie" an, und wenn Pseudoepigraphen religiös sind, begründen sie ihre überholten theologischen Ansichten mit einer zurückliegenden oder neueren Marienerscheinung oder behaupten, dass sie nur aus-sprechen, was Jesus gerne gesagt hätte oder heute sagen würde. So werten sie ihre Meinungen auf, die kaum jemand beachten würde und können darauf vertrauen, dass sie sich im Nu verbreiten.


Walter Rupp, SJ