Freiheit

Disziplin und Selbstbeherrschung, die heute aus der Mode gekommen sind, sind für die Lebensgestaltung noch immer unentbehrlich.

Der bekannte Bischof und Kirchenlehrer Augustinus, der vor seiner Bekehrung kein vorbildliches Leben führte und in seinen Bekenntnissen offen über seine Schwächen und sein ausschweifendes Leben spricht, musste nach seiner Bekehrung die Erfahrung machen, wie schwer es ist, sich von seinen Begierden und Gewohnheiten zu lösen und seine Freiheit zurückzugewinnen. 

Er schrieb einen Satz, den man in alle pädagogischen Lehrbücher aufnehmen sollte: "Wer alles, was erlaubt ist, tut, ist nicht mehr fern vom Unerlaubten." Man muss sich etwas abverlangen können. Disziplin und Selbstbeherrschung, die heute aus der Mode gekommen sind, sind für die Lebensgestaltung noch immer unentbehrlich. Ohne diese beiden Tugenden gerät einer leicht aus dem Gleichgewicht, weil unsere Natur uns drängt, gierig zuzugreifen, wenn etwas Lust verspricht. Wer seinen Wünschen immer nachgibt, ist in Gefahr, seine Freiheit zu verlieren. Wer das Nein-Sagen nicht lernt, wird dann nicht Nein sagen können, wenn es gefordert wird. 

In den Wohlstandsgesellschaften, in denen jeder sich schier jeden Wunsch erfüllen kann, versäumen die Menschen, sich Grenzen zu setzen und einmal nicht zu haben, was man nicht haben muss. So werden sie oft, sobald sie nach etwas Begehrenswertem greifen, davon abhängig, meist ohne es zu merken. Die Befriedigung der Lust macht ja, weil sie neue Lust weckt, die wieder befriedigt werden will, schließlich unzufrieden. Am Ende regt sich fast immer Unlust.


P. Walter Rupp, SJ