Herrgottsecke

Gott gehört in unserer Welt zu dem, was weniger wichtig, oder gar zu dem, was überflüssig ist.

So sehr, wie es scheinen mag, unterscheiden sich die Menschen von ge-stern und von heute nicht. Auch die Menschen von heute haben – wie die Bauern der vergangenen Jahrhunderte in ihren Stuben – in ihrem Herzen eine Herrgottsecke. Sie wollten ihm wohl einen Ehrenplatz zuweisen, haben ihn aber in Wirklichkeit dort abgestellt. Ihr Herrgott darf zuschauen, wie sie essen beten oder Karten spielen. Sie denken auch gelegentlich an ihn: am Abend und am Wochenende. Aber im Alltag und dort, wo sie tätig sind, spielt er bei ihnen keine Rolle. 

Gott gehört in unserer Welt zu dem, was weniger wichtig, oder gar zu dem, was überflüssig ist. Unsere Generation hat ihn zu einem Feiertagsgott gemacht, an den man sich in den wenigen frommen Stunden erinnert, die wir uns gönnen, und natürlich in den Situationen, in denen wir in Bedrängnis geraten sind. In der Hierarchie der Werte stehen andere Dinge obenan: die Familie, der Beruf, das Vergnügen oder die Karriere. Und viele glauben in der Tat: es sei nicht möglich, Gott und Welt miteinander in Einklang zu bringen.

Gott muss heraus aus der verschämten Herrgotts-Ecke. Wir sollten ihn mitnehmen, wenn wir zur Arbeit gehen, ihn mitreden lassen bei unseren Gesprächen, und ihn nicht zuhause lassen, wenn wir uns erholen oder auf Reisen gehen. 

Der Glaube an Gott ist nicht nur nütze, dass unser Leben nicht leer und sinnlos wird, nicht nur, damit wir die Orientierung nicht verlieren. Wir brauchen ihn, weil er die Lust am Leben erhält.


P. Walter Rupp, SJ