Umgang

Man wird den Wert eines Menschen nicht an seinem Auftreten ablesen können.

Diese boshafte und witzige Charakteristik, wie sie in der Beurteilung eines Piloten gestanden haben soll: „Ausgezeichneter Offizier in 3000 Meter Höhe, aber weiter herunter sollte er nicht!“, passt als Beschreibung auch für viele andere Personen. Wie oft beklagen wir uns über Menschen, die zwar beneidenswerte Qualitäten haben, in deren Nähe man es nur schwer aushält. Wie viele Väter sind hervorragende Familienväter, an Feiertagen oder solange sie entspannt mit ihrer Familie im Urlaub sind. Vielen Vorgesetzten, Mitarbeitern oder Untergebenen, deren Tüchtigkeit sonst Lob verdient, fehlt dieses so wichtige Talent, wie man verständnisvoll und freundschaftlich mit Menschen umgeht. 

Nun wird man den Wert eines Menschen nicht an seinem Auftreten ablesen können. Man sollte deshalb nicht zu schnell aus der äußeren Erscheinung Folgerungen ziehen. Die Wüstenväter der frühen christlichen Jahrhunderte waren gewiss integre und bei ihren asketischen Übungen zu Spitzenleistungen fähige Persönlichkeiten, aber sie hatten nicht die geschliffensten Manieren. Auch in den Reihen der Heiligen befinden sich neben vielen liebenswürdigen Gestalten doch auch manche mit herben, düsteren, ja sogar schroffen Charakterzügen. Auch Herr Knigge, der in seinem weithin anerkannten Anstandsbuch recht brauchbare Regeln für den Umgang mit den Menschen zusammenstellte, tat sich selbst bei seinem Umgang mit den Menschen schwer. Oft wurden herausragende und tüchtige Persönlichkeiten von ihren Mitmenschen als lästig und unbequem empfunden, was nicht bedeuten kann, dass lästige und unbequeme Naturen immer auch herausragende Menschen sind.

Umgangsformen kann man - im Unterschied zum Charme, den man hat oder nicht hat - erwerben. Man sollte sich um sie bemühen, weil sie für die zwischenmenschlichen Beziehungen unentbehrlich sind, und ein tägliches Lauftraining absolvieren und die unerlässlichen Pflichtfiguren einstudieren: Wie man seinen Unmut unterdrückt! - Wie man eine noch so gelungene Bemerkung hinunterschluckt, um einen anderen nicht zu verletzen! - Wie man sich für eine unscheinbare Geste bedankt, taktvoll Fehler korrigiert und ohne Schmeichelei Anerkennung zollt! 

Was nützt alle Tüchtigkeit, wenn die zwischenmenschliche Beziehung nicht stimmt? Mancher macht es sich da zu leicht. Er stellt sich auf den Standpunkt: Man soll mich nehmen wie ich bin. Aber er täte gut daran, etwas zu unternehmen, dass er sympathischer wirkt, und den anderen das Annehmen erleichtert.


P. Walter Rupp, SJ